Love is in the air
Darf der das? Nicht die Krawatte. Sondern da hingucken, wo er hinguckt? – Ist es nicht verwirrend wie das Stoffmuster, dass einem eine solche Frage in den Sinn kommt? Statt Pril-Blumen zum Beispiel. Was ist da passiert mit uns, seit Robert Lebeck diese wunderbare Aufnahme in Westerland machte? (Die sich in guter Gesellschaft mit Werken von Warhol bis William Klein in der Online-Auktion der Berliner Villa Grisebach zum Thema „Die Krawatte in der Photographie“ findet). 1968 hat Lebeck die Szene fotografiert. Damals, als braun werden ein Ausdruck von Wohlstand und Orange die Megafarbe war, als die Deutschen das Wirtschaftswunder entdeckten und auch die Rebellion. Als entscheidende Weichen gestellt wurden für die gesellschaftlichen Freiheiten, die heute absurderweise von eigenwilliger moralischer Hysterie wieder eingekreist werden. Wir wollten frei sein und wir wurden es.
Natürlich gibt es noch Optimierungsbedarf, aber ganz wesentliche Themen wie Emanzipation, Akzeptanz von Diversität und Sexualität, Religionsfreiheit, freie Lebensentwürfe wurden doch in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts überhaupt erst möglich. Manchmal sorge ich mich. Wenn Natur nicht verstanden wird. Kunst einfach abgehängt, weil sie angeblich belästigt, statt sich darüber auszutauschen. Wenn in der Berliner Blase genderneutrale Toiletten an Grundschulen thematisiert werden, statt das eigentliche Problem zu politisieren, dass wirklich in jeder Hinsicht gute Schulen noch immer Glückssache im reichen Deutschland sind. Und vieles mehr. Aber dies ist ICON. Das Anti-Problem. Wir suchen stets nach Schönheit, Inspiration, Zuversicht. Nach denen, die was machen aus der wunderbaren Welt, die uns trotz aller Unwägbarkeiten zur Verfügung steht. Weil das Gute heilt. Kürzlich sagte ein Musikwissenschaftler im Deutschlandfunk, Kultur sei kein Kohlehydrat, sondern ein Enzym. Also lebenswichtig. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Freude beim Lesen! Morgen in WELT AM SONNTAG. Ihre Inga Griese