Le Corbusier, Jackie Kennedy, Sofia Coppola und Yves Saint Laurent waren alles Kunden bei Maison Bonnet. Kein Wunder, die Brillen der berühmten Manufaktur senden eine Botschaft von persönlicher Autorität. Sie verstärken das Charisma ihres Trägers. Kitzeln Profil sogar aus ansonsten scheinbar durchschnittlichen Gesichtern. Ein Besuch.
BLICK MAL DURCH
Ein bisschen französische Komödie ist auch im Spiel: Wie guckt man würdevoll, wenn drei Menschen einem wiederholt erwartungsvoll, aber kritisch ins Gesicht starren? So, als wäre man kurz davor, ein kompliziertes Gedicht aufzusagen, aber Sorge bestünde, dass Petersilie zwischen den Zähnen steckt. Zum Glück wird in den Räumen von Maison Bonnet viel gelacht und lebhaft diskutiert. Empathisch über eine Maßanfertigung mit auffälligen Folgen verhandelt – eine neue Brille soll es sein. Eine, die perfekt zum Gesicht passt und den eigenen Typ unterstreicht: „Es geht um nichts Geringeres als Identität“, sagt Frank Bonnet, einer der Chefs des Hauses, der es zusammen mit seinen Brüdern Steven und John in vierter Generation leitet. „Schuhe, Anzüge, Taschen. Alles nicht vergleichbar“, fügt er hinzu.
Die Reise nach Paris, zur berühmten Brillenmanufaktur, ist also auch eine Reise zu sich selbst. Man könnte dafür auch nach London reisen; in Mayfair eröffnete das Haus unlängst die erste Zweigstelle. Der Beweis, dass mit Brillen mehr als nur ein Look, sondern ein Image und unter Umständen sogar eine ganze Vorstellungswelt erschaffen werden kann, offenbart sich in der Kundenliste von Maison Bonnet: Denken Sie sich eine Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, deren Brille im Stil-Gedächtnis verankert ist – und Sie können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Brille einst hinter dem Palais Royal in einer Passage in diesem Atelier gefertigt wurde. Audrey Hepburn, Yves Saint Laurent oder Jackie Kennedy-Onassis beispielsweise. Drei Menschen, für die ihre Brille zum Markenzeichen, ja fast zum Kostüm wurde. Hinter ihren Modellen konnten die Stars sich paradoxerweise gut verstecken und trotzdem für alle Welt weiterhin erkennbar sein.
Brille auf dem Kopf geht natürlich auch: Frank Bonnet, Chef von Maison Bonnet
Als Alfred Bonnet 1930 eine kleine Werkstatt in der französischen Region des Jura eröffnete, war die Welt der Schönen und Mächtigen für ihn noch weit entfernt. Sein Sohn Robert brachte das Geschäft in den 50er-Jahren nach Paris. Es dauerte nicht lange, bis illustre Kunden auf seine Kunst aufmerksam wurden. Eine der markantesten Brillen der Designgeschichte beispielsweise, die von Le Corbusier, fertigte Robert Bonnet in Zusammenarbeit mit dem Architekten. Picasso und Jacques Chirac waren weitere frühe Bonnet-Träger.
Mehr Männer als Frauen: Arthur Miller mit Marilyn Monroe, Le Corbusier, Jackie Kennedy, Yves Saint Laurent und Aristoteles Onassis waren alles Kunden bei Maison Bonnet. Sie wussten um die Kraft einer guten Brille.
Le Corbusier
Ungefähr 500 Basis-Designs aus allen Epochen bietet das Haus heute an. „Jede von ihnen wurde einst für jemanden eigens entworfen“, so der Chef. Aus diesen Modellen ergeben sich heute unendliche Varianten, denn am Ende diktiert die Physiognomie des Kunden, wie das Endprodukt genau auszusehen hat. Niemand betritt die kleinen, schummrigen Verkaufsräume und verlässt sie umgehend mit einer neuen Brille. Gestell und Besitzer finden in einem vorgegebenen Prozess und über mehrere Termine zueinander:
„Es kann sein, dass ich Ihnen Fragen stelle, die verrückt klingen, aber wir müssen möglichst viel über Ihre Lebensgewohnheiten herausfinden“, erklärt Morgane Oudine-Maury, eine Mitarbeiterin des Hauses. Also eine Art Therapiestunde? „Viel besser“, sagt sie und lacht.
Dachte ich bisher, dass eine Brille mir lediglich gut stehen müsse, so hatte mich das Studium der Fotos von „Les Amis“, also den Freunden beziehungsweise Kunden der Maison auf der Website, auf ganz andere Gedanken gebracht. Klar, Brillen unterstreichen die eigene Identität, aber sie können noch viel mehr. Sie senden auch eine Botschaft von Macht und persönlicher Autorität. Sie verstärken das Charisma ihres Trägers. Kitzeln Profil sogar aus ansonsten scheinbar durchschnittlichen Gesichtern. Männer haben, den Fotos nach zu urteilen, dieses Geheimnis seit Längerem für sich zum Vorteil genutzt.
Auch wenn aktuell gerade Sofia Coppola oder die amerikanische Botschafterin in Frankreich ihr neuestes Modell abgeholt haben: Die meisten Namen auf den Kästchen im Atelier, deren Inhalt auf die neuen Besitzer wartet, sind maskulin. Frank Bonnets Theorie dazu: „Männer entscheiden sich einmal, wer sie sein möchten und was sie darstellen wollen. Frauen spielen lieber mit ihrer Identität.“ Das bedeutet auch: Männer kaufen sich unter Umständen mehrere Varianten der gleichen Brille, Frauen folgen der Mode, legen sich weniger gern fest und sehen weniger den Sinn darin, für eine maßgefertigte Brille mehr Geld hinzulegen als für ein gutes Paar Schuhe. Was schade ist, denn das eigene Gesicht ist ja eher keine Modeerscheinung und die Sorge, sich zu sehr festzulegen, ist ebenfalls unbegründet: Nichts lässt sich einfacher ablegen als eine Brille.
Kostbarer als Gold: Schildkrötenhorn aus den Restbeständen des Hauses
„Es geht um nichts Geringeres als Identität“
Frank Bonnet, Chef von Maison Bonnet
Mein Briefing an das Team lautet: Ich wünsche mir eine erwachsene, elegante Brille mit eingebautem Männertrick. Das heißt eine, mit der man mich ernst nimmt, bevor ich überhaupt den Mund aufmache. Von Männern lernen, bedeutet auch mit Insignien von Autorität zu spielen. Und da Frank Bonnet erläutert, dass die Brille nie das Gesicht überschatten dürfe, dass sie am besten als fast natürliches Körperteil zur Kenntnis genommen werden sollte, bin ich beruhigt – sie werden mich nicht verkleiden.
Pierre Kraus zieht nun die Schubladen auf, nimmt hier und da ein Gestell heraus und breitet eine Auswahl aus. Gleich das erste Modell gefällt mir ausnehmend gut, aber die Experten pfeifen mich zurück: „Nicht im Spiegel auf das Gesicht fokussieren. Bitte die Wirkung in voller Größe prüfen“, so seine Kollegin. Auf das Verhältnis zum gesamten Körper komme es an, auf die Nase natürlich, darauf wie die Augen und die Pupillen zueinander stehen, sowie auf den Blick ganz allgemein. Ein großer Fehler wäre es, die Augenbrauen zu verdecken. Bei Sonnenbrillen ginge das, aber bei Alltagsbrillen passiere Seltsames:
„Es ist ein ähnlicher Effekt wie bei Botox. Das Minenspiel des Brillenträgers kann ohne die Bewegung der Augenbrauen nicht mehr gelesen werden, es ist verstörend“, so Frank Bonnet.
Nach knapp zwei Stunden Rollenspiel vor dem Spiegel, fällt die Entscheidung für eine Form, danach geht es um Material und Farbe. Zur Auswahl stehen japanisches Acetat, Büffel- oder Schildkrötenhorn. Letzteres ist seit 1973 verboten, nach Frankreich zu importieren, aber Maison Bonnet verfügt noch über Restbestände zum Teil noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und die dürfen auch heute noch verarbeitet werden. Dementsprechend tendieren die Kosten für eine Brille aus dem Naturmaterial Richtung Kleinwagen, Preis je nach Farbschattierung nach oben offen. Büffelhorn hingegen ist Abfallprodukt der Fleischindustrie und Glanz und Maserung sind nicht ganz so perfekt wie bei der Schildkröte, aber es hat ebenfalls diese gewisse Wärme und Tiefe, die Horn so besonders macht. Die Kosten dafür liegen im unteren It-Bag-Bereich.
Frank Bonnet empfiehlt jedoch, beim ersten Mal mit dem günstigeren Acetat zu beginnen und sich bei Gefallen hochzuarbeiten. Bleibt also nur noch die Farbe. Die Wahl fällt bei mir auf „dunkle Kirsche“: „Ist nicht so hart wie schwarz und macht einen schönen Teint“, lautet die Meinung der Mitarbeiter. Zum Abschluss der Sitzung werden mein Schädel und mein Gesicht mit einem Gerät vermessen, das ein wenig an düstere Kapitel der Naturwissenschaften erinnert. Hier geschieht es jedoch in bester Absicht, denn der Prototyp muss an die körperlichen Gegebenheiten angepasst werden. Dann wird ein Stockwerk höher noch meine Sehkraft gemessen. Nur mit Vorfreude im Gepäck werde ich entlassen.
„Jede Brille ist immer wieder etwas Einzigartiges“, verkündet Optiker Pierre voller Stolz.
Wobei es in meinem Fall doch noch ein kleines Geheimnis zu lüften gibt: Das Modell, auf dem mein Unikat basiert, wurde einst ebenfalls für eine bekannte Persönlichkeit entworfen. Auf meiner Nase trage ich nun auch den Geist von Arthur Miller mit mir herum. Ich nehme es als Zeichen. Dass es da ein gewisses Gefälle zwischen uns gibt? „Ruhm ist eine jugendliche Form der Blindheit“, bemerkte der Schriftsteller einst. Aber mit dieser Brille gehöre ich ja nun zu den Sehenden.