Schauspieler Axel Milberg über das Fernsehen.
Mit und Ohne Untertitel
Während die Fernseher immer größer und leichter werden, werden ihre Benutzer älter und schwerer. Auch die Fernbedienung ist so kompliziert geworden, weil man inzwischen gleich zwei oder drei davon ausgehändigt bekommt. Ich nehme dann die eine und meine Frau drückt auf der anderen rum. Weil sie schneller war, hat sie schon irgendwas aktiviert und schließlich erreicht man die unendliche Weite, wo man auswählen kann: französische Liebesfilme, Klassik, Arthouse, LGTB-Filme, Thriller, Horror, asiatische Kinofilme, Mangas, was im Schnee, Historiendramen, Tierdokumentationen, Kannibalenfilme in Schwarz/Weiß, was ich persönlich langweilig finde – und Filme mit Isabelle Huppert. Gerade haben wir vier Filme aus verschiedenen Jahrzehnten mit ihr gesehen. Tolle Schauspielerin! Wir hatten Huppert eingegeben, und in jedem Film brachte sie ihre jeweilige Mutter ins Altenheim, bekam einen Hund und später trug sie dann die Asche ihrer Mutter herum, um sie in Paris zu verstreuen. Einmal verteilte sie die Asche über teure Kleidungsstücke in dem Lieblingsladen ihrer Mutter, ein anderes Mal irrte Madame Huppert mit Urne über eine Seine-Brücke. Aus fast allen Filmen, die jemals gedreht wurden, können wir nun wählen. Einen ganzen langen Wahl-Abend lang. Ich lasse den Korken aus der Flasche. Das macht mich fertig.
Ich will nicht auswählen. Ich will einfach nur fernsehen. So wie früher. Einschalten, kurz durchzappen, kleiner Überblick, tief seufzen und dann … schnurre ich nur noch.
Da konnte man sich am nächsten Tag auch noch rechtfertigen: Ich bin dann da nur hängengeblieben. So war das mal. Manche schliefen ein, wurden dann durch das Rauschen um Mitternacht wach, schleppten sich ins Bad und versuchten, im Bett weiterzuschlafen. Die Gerätehersteller aus Südkorea wollen dem Kunden immer mehr bieten. Allein der Ton. Was der alles kann. Wie wollen Sie den Film sehen, nein, hören? Im Original? Also, wie machen wir es heute Abend? Original mit deutschen Untertiteln? Oder auf Deutsch mit englischen Untertiteln? Wir schauen zum Beispiel oft Englisch mit englischen Untertiteln und können so überprüfen, ob wir richtig gehört haben. Das ist besonders wichtig bei mir, weil mir von der Familie immer unterstellt wird, ich höre nicht gut. Das stimmt aber nicht. Erstens nuschelt meine Frau. Und zweitens ist der Ton gern falsch eingestellt. Aber wenn ich ihn dann richtig einstelle, gibt’s plötzlich Szenen, wo der Ton irre laut ist, dass einem das Weinglas aus der Hand fliegt. Ärgerlich, jetzt sind aus den Betrachtungen über das Fernsehen eher welche über das Alter geworden, das wollte ich nicht, weil es voll unsexy ist und nach Martenstein-Kolumnen klingt. Die sind toll, aber die soll er selbst schreiben. Es gibt noch viele andere Toneinstellungen: Dialog, Straßenlärm, Musik, alles kann hervorgehoben oder runtergefahren werden. Da bist du aber den ganzen Film über am Regler, wenn es dir nicht die Kastagnetten raushauen soll. Wenn dann aber alles passt, dann geht schließlich der Tag in Vorabend und Hauptabend über.
Laut Statista schaut jeder Deutsche zwischen 14 und 69 Jahren vier Stunden pro Tag. Das sind bei einer Lebenserwartung von 84 Jahren knapp 12 Jahre.
Kinder schauen im Durchschnitt 15 Werbungen für Dickmacher am Tag. Die Grenze von Tag zu Abend zieht die Nachrichtensendung um 20 Uhr. Da trennt sich endgültig der Arbeitstag vom Feierabend. Vor acht schauen wir nie. Es ist wie mit dem Alkohol. Spießig? Auf jeden Fall. Fernsehen macht die Klugen klüger und die Dummen dümmer, heißt es. Glaube ich auch, aber das gilt für das Leben selbst ebenfalls. Es macht die Klugen klüger und die anderen nicht. Die Intendanten beschreiben das Fernsehen als Kaufhaus mit vielen Abteilungen, jeder findet etwas. Jetzt stehen da aber viele Kaufhäuser, mit Streamingdiensten, Bezahlfernsehen hinter Bezahlschranken, die Rechtehändler und Lizenzdealer haben alles durcheinandergewirbelt. Das Gerät saugt uns hinein in eine Welt, der wir zuschauen mit der Illusion, dass wir aktive Teilnehmer sind. Einmal fuhr ich im ARD- Hauptstadtstudio im Fahrstuhl abwärts, als ein Hüne mit Schnauzbart plötzlich zustieg. Wir lächelten uns an, er sagte freundlich: „Deppendorf“. Ich war verwirrt und fragte: „Ist das nicht die Ortschaft, wo die Quote gemessen wird?“ Herr Deppendorf sah mich misstrauisch an. Und meinte: „Vielleicht hat Sie jemand auf den Arm genommen. Der Ort, den Sie meinen, heißt Hassloch.“ Bei uns steht der Fernseher nicht in Hassloch, sondern auf einem formschönen Gestell aus Dänemark, vor unserer Bücherwand. Die Beine sind aus Birke Natur, 55 Zoll misst die Diagonale. Ein Zoll sind 2,54 Zentimeter. Darunter hängt in Schwarz eine prächtige Soundleiste. Was den Ton betrifft… sorry, ich muss jetzt Schluss machen, tut mir leid, es ist schon kurz vor acht. PS: Um den chinesischen Wissenschaftler Peng gibt es eine Designergruppe in Shanghai, die jetzt Pullover entwickeln mit einer Bildschirmoberfläche. Leuchtende Fäden ermöglichen das.
Brillanter Schauspieler für jedes Genre: Axel Milberg tritt auch in der ARD Comedy-Serie „Ausgebremst“ von Maria Furtwängler auf. Für mehr Milberg: „Düsternbrook“, sein autobiografischer Roman, auch als Hörbuch von ihm selbst gelesen.