Kolumne Florentine Joop

Zurück an‘ Strand

Ich verlier den Verstand. Ich muss zurück… an’ Strand. Mal ehrlich: Man muss schon ein bisschen bekloppt sein, um so viel Geld für einen Urlaub in Deutschland auszugeben! Davon kann man ja in die Karibik fliegen! Und dann weiß man doch nie, wie das Wetter wird. Und die Inselpreise! Na klar, muss ja nicht immer Champagner sein, aber auch nur so einmal essen gehen und du bist ein Vermögen los. Okay, schmeckt auch immer super… leider. Und die Leute… Natur genießen wollen, aber bitte aus’m Lamborghini raus. Oder gleich mit dem Defender durch die Dünen und im Watt die Luft verpesten. Und schon mittags alle besoffen. Und dann musste aufpassen, dass du nicht vom Golfball erschlagen wirst. Und der „Loui Voui“-Schal flattert im Wind, wenn man sich noch am Autoverlade-Parkplatz ’ne Pommes mit Austern gönnt.

Aber ja, natürlich ist das alles vollkommen bescheuert. Irrsinnig. Aber leider alternativlos, wenn man mit dem Sylt-Virus (Entschuldigung für die pandemische Wortwahl) infiziert ist.

Ich fing mir den Erreger schon im Kindesalter ein, wie so viele meiner norddeutschen Artgenossen, als meine Eltern sich diese halbe Doppelhaushälfte in Archsum anschafften, irgendwann Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre. Ist ja jetzt egal, wie alt GENAU ich da war. Was damals für meine aufstrebenden Jungdesigner-Eltern, Genesis-Hörer im Golf GTI, noch bezahlbar war, weil wir es irgendwie Timesharing-mäßig mit einem älteren Ehepaar teilten und deshalb immer Eckes Edelkirsch-Likör in der rustikalen Hausbar stand, müsste ich mir heute mit etwa 20 anderen älteren Ehepaaren teilen, damit das bezahlbar bliebe. Aber auf die Party mit Eckes Edelkirsch-Flatrate könnte man immer bauen!

Ich erinnere mich also an Kindheitssommer auf Sylt, mit Ponyreiten am Strand und Tee trinken in der „Kupferkanne“, an ewige Strandspaziergänge, Essen bei „Fisch Fiete“, noch unendlicherer Abende mit den Freunden meiner Eltern in den damals noch so Hippie-mäßigen Wirtschaften in Keitum, Kampen und Westerland. „Café Orth“ war Pflicht. „Die kleine Teestube“ Kür, weil echt klein. Später abhotten im „Pony“ und nackig am Strand rumlaufen bei Buhne 16, denn der Westen konnte auch FKK, nur mit schickerer Blondierung. All das mit nassen, sandigen Hunden (der Kenner weiß, was ich meine) und schroffer Nordsee.

Helikoptereltern gab es noch nicht, wir Kinder wurden einfach zu Wasser gelassen und trudelten durch die harsche Nordseegischt und rasselten mit dem Dassel an die gefährlichen Buhnenreste. Die Feuerquallen türmten sich, und ich habe einmal Otto getroffen. Der hat uns Kindern auf der Straße aus seinem Mercedes raus ein paar Witze erzählt. Und den Sänger von Alphaville bei Gosch, als es noch ein zugiges Plastikzelt um einen kleinen Fischbrötchen-Anhänger in List war.

Sylt war immer cooler als andere Orte.

Sylt mit dieser seltsam fremden Landschaft, den Gerüchen und dem ewigen Wind war und ist eine nicht stillbare Sehnsucht. Wo sonst gönnt man sich gegenseitig schon so sehr seinen Reichtum inmitten der Heideblüte und kann trotzdem auch ohne mega Kohle einfach tolle Sommer mit Kindern verbringen? Nirgendwo. Es ist immer noch sehr ursprünglich geblieben, und man braucht auch nicht viel dort. Also ich nicht. Wie einst Jonathan Löwenherz durchs Heckenrosental reiten, die Gerüche von Salzwiesen und Watt, See und Sand, mit einer Beimischung aus gegrilltem Fisch und „Jil Sander SUN“, die norddeutsch spröd-freundlichen Bedienungen, das herzliche Rumgeduze, das gute Essen und der Wind, der Wind, das himmlische Kind. Meine erste Liebe traf ich auf Sylt. Mein erstes Kinderbuch stellte ich dort vor und hatte meine erste Lesung auf Sylt.

Im Grunde meines Herzens bin ich neidlos, aber zuweilen ereilt mich ein furchtbarer Sylt-Neid. Auf ALLE, die da sind, wenn ich nicht da bin. Auf alle, deren Eltern so schlau waren, ihre Häuser da oben nicht Ende der 1980er wieder zu verkaufen. Auf alle, die einen eigenen Garten mit Heckenrosen und Steinwall haben. Ich starre also wieder auf die Buchungsseiten der Apartment-Vermietungen und streiche innerlich den Aufenthalt auf den Malediven. Die nächste Generation Bekloppter, die auch lieber auf einem Autozug gen zugigen Norden rattert, ist bereits infiziert: Denn jeder in meinem Auto hier, ist genauso blöd wie ihr.

Florentine Joop, Illustratorin und Autorin in Potsdam
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