„Elles font l’abstraction“

Who’s that girl?

Mit der Ausstellung „Elles font l’abstraction“ wird im Pariser Centre Pompidou nichts Geringeres als die moderne Kunstgeschichte neu geschrieben – und den Frauen endlich der Platz zuerkannt, der ihnen gebührt. Eine lehrreiche Exkursion abseits der Haute-Couture-Woche in Paris, initiiert vom deutschen Online-Fashion-Portal Mytheresa.

Zum Beispiel Jackson Pollock. Wer kennt ihn nicht, den Action-Painting-Zampano, den Kunststar der Nachkriegszeit? Seine Tropf- und Farbspritzbilder gehören mit Preisen weit über 100 Millionen Dollar heute zu den teuersten abstrakten Werken der Kunstgeschichte. Aber wer hat jemals von Janet Sobel gehört?

Eine 1937 aus der Ukraine nach Brooklyn emigrierte Jüdin, Hausfrau, vierfache Mutter, korpulent und fern jeglicher Glamour-Bohème-Klischees, die mit 43 Jahren als autodidaktische Künstlerin anfängt, erste Bilder zu malen, in dem sie Farbe auf Leinwände auf dem Boden tropfen lässt und diese durch Kippbewegungen oder kräftiges Pusten verlaufen lässt. Heraus kommen kraftvolle, abstrakte Bilder, die an Supernovas erinnern, Malerei, wie sie noch niemand je zuvor gesehen hat. Nicht nur die weitaus glamourösere Kunstmäzenin Peggy Guggenheim wird auf sie aufmerksam, auch andere Galerien in New York stellen sie aus. Dort sehen sie der Kunstkritiker Clement Greenberg und Jackson Pollock. Beide sind beeindruckt, doch Greenberg diskreditiert sie später in einem seiner Standardwerke zum abstrakten Expressionismus als „primitive Hausfrauenkunst“. Ein paar Jahre später wird sein Freund Jackson Pollock mit genau dieser „primitiven Malerei“ zum Star der amerikanischen Kunst-Avantgarde, und Janet Sobel geriet in Vergessenheit. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?

Im Hintergrund:

Saloua Raouda Choucair, Fractional Module, détail, 1947-1951
Courtesy Galerie Saleh Barakat
© Saloua Raouda ChoucairFoundation
Photo © DR

Von den über 100 Künstlerinnen, die jetzt im Centre Pompidou ausgestellt werden, haben viele ein ähnliches Schicksal erlebt, angefangen vom spirituellen Symbolismus Mitte des 19. Jahrhunderts über das Bauhaus bis weit in die 1960er Jahre hinein. Nur wenige Namen wie Georgia O’Keeffe, Judy Chicago oder Louise Bourgeois schafften es, aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen herauszutreten und schon zu Lebzeiten anerkannt zu werden. Die anderen wurden entweder totgeschwiegen oder schlicht ignoriert – und nichtsdestotrotz fleißig kopiert.

„Dieses Bild ist so gut, dass man nicht glaubt, dass es von einer Frau gemalt wurde“, schrieb einmal der deutsch-amerikanische Kunstprofessor Hans Hofmann, der zu einem der wichtigsten Kunsterzieher der Nachkriegszeit wurde, zu einer Arbeit einer seiner Studentinnen. Ein Satz, für den ein Mann heute gekreuzigt würde. Zu Recht. Von Picasso bis Pollock – die modernen Kunsthelden waren elendige Machos, muss man leider sagen, und die Frauen oft nur allzu gern ihre willfährigen Musen. Die, die den Malus „Frau“ in der Kunstszene überwinden wollten, gaben sich Männernamen wie Marlow Moss und kleideten sich wie diese.

Während auf den Laufstegen der Haute-Couture-Woche in Paris wieder wahlweise die Göttin, Muse oder Prinzessin in jeder Frau gefeiert und gleichzeitig der Spagat mit dem neuen Modethema „Diversität“ geübt wird, während andere – ebenso zu Recht – die Nase rümpfen über Gendern und eine teils penetrant auftretende politische Korrektheitsdebatte, piekst diese wichtige Ausstellung, gesponsert von Mytheresa und hervorragend kuratiert von Christine Macel, mitten ins Mark. Sie zeigt, dass Sprache, Sichtbarmachung und die innere Haltung dazu sehr wohl eine Rolle spielen, wie und ob wir Dinge und Menschen wahrnehmen, Leistungen beurteilen und Geschichte schreiben. Und sie zeigt vor allem: Zum Niederknien schöne Kunst.

 

 Bis zum 25. August im Centre Pompidou, Paris. www.centrepompidou.fr

Text
Silke Bender