Karl Lagerfelds rechte Hand Sébastien Jondeau hat ein Buch geschrieben. Lagerfelds Muse Baptiste Giabiconi auch. Wir haben beide gelesen.
Nah dran
Seine letzten Worte waren: „Es ist schon blöd, drei Rolls-Royce zu haben und in einem solch schäbigen Zimmer zu enden.“ Da lag Karl Lagerfeld auf der Intensivstation des Amerikanischen Hospitals in Paris. Ein paar Stunden später war der Meister der Bonmots ganz still. Es war Sébastien Jondeau, der seine Hand hielt, als er seinen letzten Atemzug tat. Katze Choupette war auch dabei. Der Prostatakrebs hatte gesiegt. Als Lagerfeld von der Erkrankung erfuhr, reagierte er geradezu stur, lebte weiter seinen Alltag als sei nichts passiert. Alle Ängste seines Freundes hatte er stets abgewiegelt: „Beunruhige dich nicht, das ist nichts Schlimmes.“
Noch einen Tag vor seinem Tod besprach er mit Silvia Fendi vom Krankenbett aus die letzten Details der Fendi-Kollektion. Ein pflichtbewusster Workaholic bis zum Schluss, der sich entschuldigen ließ, nicht nach Rom gekommen zu sein:
„Sag ihnen bitte, das war keine Absicht.“
20 Jahre stand der heute 45-jährige Jondeau in Diensten des Mannes, der über 60 Jahre lang wie ein Sonnenkönig die Modewelt dominierte. Am Anfang wurde „Seb“ als Chauffeur engagiert – und zu seinem Job gehörte es auch, die Toilettenpapierrollen in Lagerfelds Fotostudio 7L in der Rue de Lille Nummer 7 aufzufüllen. Es war eine Art Probezeit und Stresstest für den jungen Mann aus der berüchtigten Pariser „Banlieue“, ein Schulabbrecher mit kleinkrimineller Vergangenheit, die Jondeau detailreich in seinem Buch „Ça va, cher Karl?“ (Flammarion) mehr stolz als beschämt beschreibt.
Am Ende war der Ex-Möbelpacker, der zuvor im Speditionsunternehmen seines Stiefvaters jobbte, Lagerfelds Bodyguard, Fahrer, Privatsekretär, Jet-Booker, Kunstscout, Verhandler, engster Vertrauter und Altenpfleger. Und nun Autor eines Tell-all-Buches.
Man kann es bisweilen als unverblümt-giftige Antwort lesen auf jenes andere Buch über Lagerfeld, das Baptiste Giabiconi, 31, Lagerfelds Muse und selbst ernannter Haupterbe, bereits veröffentlichte und das in deutscher Übersetzung erschien. „Karl und ich“ (Heyne Verlag). Zwei Männer, die Lagerfeld als eine Art Vaterfigur sehen und die beschreiben, wie sie aus dem Nichts kamen und dank Lagerfeld in Jetset, Luxus und Starkult katapultiert wurden.
Und wer war des Kaisers Liebling? In seinem Buch und Interviews behauptet Giabiconi: er. Nur er habe ihn duzen dürfen. Nur er habe das Privileg gehabt, in seinen privatesten Wohnungen und Villen zu wohnen und mit ihm entspannt Sitcoms zu schauen. Er sei Zeuge gewesen, wie er manchmal – trotz eiserner Diätdisziplin – aus der Schublade in seiner Hightech-Edelstahlküche am Quai Voltaire Schokoriegel wie Bounty und Mars naschte. Jondeau hingegen behauptet: Er sei der Liebling gewesen. Der wichtigste Mann für alles, der ihm nie von der Seite wich. Schließlich verbrachte er mit dem Designer fast 20 Jahre lang die Weihnachtstage, während alle anderen bei ihren Familien oder Partnern waren. Besonders in den Jahren seiner Krankheit sei er sein engster Vertrauter gewesen und habe dieses Geheimnis so lange gewahrt, wie es nur ging. Und als Lagerfeld am Ende kaum noch Appetit auf Kaviar und Co. hatte, dafür aber einen Heißhunger auf Junkfood entwickelte, habe er ihn im Rolls-Royce bei McDonald’s vorgefahren – wo sein Chef die Cheeseburger gleich im Fond verdrückte.
Zwei Bücher, die auf je ungefähr 250 Seiten immer wieder bestätigen, wie sehr beide heute darunter leiden, dass Karl, ihre Sonne, vor zwei Jahren starb.
Dass von den vielen Freunden, die sie einst umgarnten, um in Karls Umlaufbahn zu gelangen, nur wenige geblieben sind. Die eindeutigste Antwort, wer sein Favorit ist, gab wohl Lagerfeld selbst, als er wegen diverser Spannungen zwischen Jondeau und seinen drei anderen Günstlingen ein Machtwort sprach: „Du musst verstehen: Das mit Jake, Brad und Baptiste ist etwas anderes. Du und ich, wir arbeiten zusammen“, zitiert ihn Jondeau in seinem Buch. Eine kalte Dusche, so sollte man meinen, doch interpretiert er das zu seinen Gunsten: Die anderen seien austauschbar, er sei mit Karl auf einer tieferen, eher moralischen als finanziellen Ebene verbunden. Was beide Bücher recht unterhaltsam macht, sind die intimen Einblicke in das Leben eines Mannes, der wie kein anderer in der Öffentlichkeit stand und dennoch immer ein Rätsel blieb. Beide liefern genüsslich Klatschanekdoten. Zum Beispiel Giabiconi: In seinen vier Domizilen – allein in Paris – hatte Lagerfeld immer einen Raum, in dem er sein altes Hamburger Kinderzimmer mitsamt Möbeln und Dekoration original-getreu herrichten ließ. Jondeau: Die Chefin der US- „Vogue“ Anna Wintour hatte wohl doch eine Affäre mit dem Reggae-Gott Bob Marley.
Doch beide entweihen ihren Gönner dabei nicht, sondern bauen dem Denkmal Karl einen noch höheren Sockel. Einen der schönsten Sätze schreibt Jondeau:
„Karl verstand es, neunzig Prozent der Menschen um ihn herum bei ihrem persönlichen Wachstum zu helfen.“
So habe Lagerfeld ihn behutsam für Literatur, Kunst, Antiquitäten, Architektur und Geschichte begeistern können und ohne jede Herablassung viele seiner Bildungslücken geschlossen. Aber er schreibt auch: „Man darf nicht vergessen, dass Karl immer eine gewisse Manipulation ins Spiel brachte, gern Macht ausübte, die Faszination genoss, die er auf andere ausstrahlte und sich an seiner Fähigkeit ergötzte, seine Gunst von einem auf den anderen Moment entziehen zu können. Teile und herrsche – das war sein Privileg.“
Giabiconi nennt Jondeau gleich zu Anfang seines Buches zwar eine „Dramaqueen“, die ihn, den Neuling schon bei der ersten Begegnung mit Karl im Jahr 2008 misstrauisch beäugte, hält sich aber sonst mit Angriffen auf den Rivalen zurück. Der wiederum braucht bis Seite 75, um den Namen Baptiste überhaupt zu erwähnen. Dass man ihn mit ihm gleichsetze, sei ihm „unerträglich“. „Ständig fragte er nach dem Preis von Dingen. Jedes Detail plapperte er an Karl weiter.“ Giabiconi gibt sich in einem Interview konzilianter: „Es gibt null Streit zwischen uns Erben. Wir reden noch alle miteinander, nur verarbeitet jeder seine Trauer auf seine Art. Wir alle standen unter Schock, glaubten irgendwie, dass Karl unsterblich ist. Schon zu seinen Lebzeiten hat er immer darauf geachtet, dass alle Geschenke gerecht verteilt werden, damit keine Streitigkeiten aufkamen. Wir vertrauen ganz dem letzten Willen Karls.“
Man kommt jedoch nicht umhin, das Buch von Sébastien Jondeau auch als die Abrechnung eines gefühlt zu kurz Gekommenen zu lesen: Er beschwert sich, dass er 3500 Euro netto im Monat verdiente, für 24 Stunden im Dienst, 365 Tage im Jahr, zwar viele Geschenke erhielt, aber im Grunde nichts besitzt. Er erhebt indirekte Vorwürfe wegen seiner Steuerprüfung gegen Lucien Friedlander, dem Vermögensverwalter Lagerfelds, und beklagt sich, dass keines der teuren Autos, die Karl auf seinen Namen anmeldete, ihm je gehörte, geschweige denn, dass eine der vielen Wohnungen, die Karl ihm zur Verfügung stellte, je sein Eigentum war. Im letzten Kapitel, dass er wie einen Brief an Karl verfasste, schreibt er: „Sie haben mir zuletzt immer wieder gesagt: Nach mir sollst Du für niemanden anderen mehr arbeiten, das will ich nicht. Aber trotzdem sind Sie gegangen, ohne die Zukunft organisiert zu haben.“ Ein Bonmot ist das nicht.