Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
GLOBAL DIARY
Es ist nicht Fahrlässigkeit, die mich in den letzten Monaten immer wieder nach Sizilien getrieben hat, sondern ein Mix aus praktischen und romantischen Gründen.
Hier sitze ich also am Rand einer Baustelle in der Nähe des Barockstädtchens Noto und habe aus zwei morschen, wackeligen Böcken und einer gelb lasierten Schranktür meinen Homeoffice- Schreibtisch gebaut. Um diese Jahreszeit wäre auch sonst nicht viel los hier, wegen Corona kommt praktisch niemand.
Es ist natürlich ein anderes Leben als sonst: keine Maulbeeren-Granita im weltberühmten „Caffè Sicilia“, keine auf den Punkt gegarte Spigola im „Fontane D’Ercole“, keine Spaziergänge über den Corso Vittorio Emanuele, bei denen die Abendsonne die Fassaden golden färbt und Touristenkindern Wellensittiche oder Adler für ein Erinnerungsfoto aufgeschwatzt werden.
NOTO, SIZILIEN
Aber hier zu Jammern wäre Gotteslästerung. Die Mandelblüte ist schon längst vorbei, dafür scheint es ein hervorragendes Olivenjahr zu werden, und die Zitronenbäume hängen so voll, dass man mehr gelb als grün sieht. Auch wenn die sternenklaren Nächte noch richtig kalt sind.
Bei Sonnenschein aber ist vieles möglich: Jogging in den Ruinen der uralten, von einem Erdbeben zertrümmerten Stadt Noto Antica. Abstands-Aperitivi auf der Terrasse von neuen oder nicht mehr ganz neuen Freunden (wobei die Sperrstunde um 22 Uhr von den angeblich so disziplinlosen Sizilianern präzise eingehalten wird). Und natürlich die menschenleeren Strände. Schon Fellini machte sich in seinem Film „Amarcord“ über die schmerzfreien Deutschen lustig, ich bin einer von ihnen.
Als ich das erste Mal ins Mittelmeer sprang, fühlte es sich im Kopf an wie eine zu schnell getrunkene Frozen Margarita – Stichwort: brain freeze. Aber auch wie eine Wiedergeburt. Auf dem Rückweg kommt man an mannshohen Disteln und Eukalyptusbäumen vorbei – ich reiße jedes Mal ein Blatt zum Schnuppern ab – und zähle die blitz-grünen Eidechsen.