Kolumne Florentine Joop

We should all be feminists

Wie sähe unsere Welt aus, würden Frauen diejenigen sein, die 99 Prozent oder zumindest wenigstens die Hälfte der Dinge darin entschieden und gestalteten? Denn unsere alte Welt rollt langsam, langsam, aber immer schneller den Berg hinab (Krieg, Erderwärmung, Plastikmeere, Tiermassenquälerei, Atommüll, gruselige Echo-Verleihungen und AfD) und immer noch stehen Frauen auch in neuen Gebäuden in Schlangen vor der Toilette. Was das miteinander zu tun hat? Die Gesellschaften auf dieser Welt sind, werden und wurden fast ausnahmslos von Männern geformt, gestaltet, verwaltet. Seien es Religionen, Legionen, Industrienationen oder inzestuöse Dynastien, die Männer durften sich an unserer Erde versuchen, sich austoben und sie kaputt machen.

Nun übergeben sie sie, wie einst das zerbombte Europa, langsam und teilweise sogar reumütig in weibliche und kundige Hände.

Längst ist wissenschaftlich und wirtschaftlich erwiesen: Da, wo Frauen gleichberechtigt handeln dürfen, geht es allen und allem in gleichem Maße besser. Wirtschaftlich, gesellschaftlich, umwelttechnisch, Emanzipation ist eine Win-win-Situation.

Und weiterhin scheint kein Architekt es fertigzubringen, an unterschiedliche Toilettengewohnheiten und hygienische Bedürfnisse von Männern und Frauen zu denken. Wickeltische gibt es nach wie vor fast nur auf Frauentoiletten, wenn überhaupt. Wie sähe überhaupt die Welt aus, würden wirklich nur Frauen für Frauen entwerfen und entscheiden, was schön ist und was modern und was die Must-haves sind? Anders, funktionaler und besser lautet mein Urteil nach 30 Jahren, die ich mir diese Fragen nun schon stelle, und es gibt endlich genug Beweise, meine Antwort zu untermauern.

Denn nach 69 Jahren Firmengeschichte, in denen von männlichen Designern Frauenprodukte entworfen wurden, hat Dior eine Frau als Chefin. Das ist eine ziemliche Sensation. Fast so wie die Heidi, die mit dem Tom, der ein bisschen jünger ist. Das ist natürlich viel sensationeller … ehrlich jetzt??? Frau Maria Grazia Chiuri hingegen ist erwachsen und erfahren und stellt sich erwachsenen Fragen, und mir deucht, sie ist dabei eine wirklich ernst zu nehmende Erscheinung und Konkurrenz. Und die Frauen, die ihre Mode tragen, scheinen auch Wichtigeres zu tun zu haben, als sich in unpassende Klamotten zu klemmen. Tragbar, klar, aber irgendwie auch intellektuell, lässig und unprätentiös.

Feministisch fällt einem spontan ein, und das ist ja längst kein Makel mehr – endlich –, sondern die einzige wirklich moderne Entwicklung, der letzten Zeit. Frau kann alles – sein.

Zum Beispiel, wenn Mann vielleicht gerade (wieder einmal) die Welt in Trümmer gelegt hat; dann ziehen wir Frauen doch ganz selbstverständlich die flachen Schuhe an und die bequemen Männersakkos, binden uns die Haar-Extensions hoch und die Babys auf den Rücken und räumen auf, fahren die Straßenbahnen und Busse und Lastwagen, meine Großmutter erzählte mir davon, und kümmern uns darum, dass alles wieder funktioniert und unsere Angehörigen nicht verhungern. Immer noch verströmen die Bilder jener Zeit, von Frauen mit Hemdblusenkleidern, Herrenmänteln und Schuhwerk, ein Gefühl von Aufbruch und Look. Look heißt Blick. Der Look nennt sich Hoffnung auf eine bessere Welt.

Text
Florentine Joop