Folge 5

AFRIKA IST…

… EIN IMMERWÄHRENDER SCHEIDEWEG.

Unterwegs nach Dakar treibt uns der Regen von den Hauptstraßen, schickt uns tief in fast menschenleere Landschaften, durch dicht besiedelte Trabantenstädte und spült uns erst nach zwei Tagen in eine von Wassermassen zerteilten Hauptstadt aus.

Hier, in der kleinsten und zugleich bevölkerungsreichsten Region des Senegal, erleben wir intensive Tage: Wetterkatastrophe und Weizenkrise, Inflation und Missernten zerren an den Nerven der Senegalesen. Doch: Wir bleiben und lernen in kurzer Zeit viele spannende Menschen kennen und einmal mehr Dinge über Afrika, die jeden beschwerlichen Tag vergessen machen.

Es knallt. Wasser spritzt. Ein Mann schreit, seine Spucke landet auf Michels Hemd. Jaguar schreit in ihrem Kindersitz; ihre Hände versuchen unter der Kopfstütze hindurch Anni zu erreichen, die auf dem Beifahrersitz sitzt. Das Auto steckt im dichten Verkehr fest, lässt sich keinen Zentimeter bewegen. Wir sitzen in der Falle.

Michel bäumt sich auf, dreht dem schreienden Mann auf der Straße, der gegen das Auto schlägt und tritt, das Gesicht zu und brüllt zurück. Wir verstehen nicht, was er sagt. Wir verstehen nicht, warum er so wütend ist. Die vielen Menschen draußen beobachten das Geschehen, doch niemand greift ein. Anni klettert auf die Knie und nimmt die weinende Jaguar aus dem Sitz, sucht Blickkontakt zu den Umstehenden. Michels Hand greift nach dem Holzknüppel im Innenfach der Fahrertür, da greift ein Mann ein. Packt den Schreienden, dessen Hände jetzt in den tiefen Pfützen nach Steinen wühlen, an der Schulter, redet auf ihn ein, zerrt ihn vom Auto weg. Vor uns kommt die wartende Autoschlange in Bewegung, der Mann macht eine winkende Geste, die uns bedeutet weiterzufahren. Michel sucht den schnellstmöglichen Weg hinaus aus dem Straßenzug Richtung Zentrum. Im Auto herrscht Stille, die nur von Jaguars leisem Schluchzen unterbrochen wird. Ein Wunder, dass man Michels Halsschlagader nicht hört, die vor Wut pocht. Erst vor der Schranke zum Pullman Dakar Teranga, einem Hotel im Herzen der Stadt, halten wir an. Nach einer kurzen Sicherheitskontrolle dürfen wir passieren, stellen das Auto ab, gehen durch die Metalldetektoren hindurch in die Lobby und suchen uns einen Platz. Jaguar liebt die Eingangshalle des Hotels, denn darin steht die Miniversion eines der bunt bemalten Busse, die sich durch den fast immer dichten Verkehr drängen und mit ihrer fröhlichen Optik gute Laune verbreiten. Am Steuer sitzend und die Brummgeräusche eines fahrenden Busses nachahmend, fährt sie dem Schrecken davon.

Ein Mal im Hotel Pullmann Dakar Teranga, zieht es uns immer wieder in das 5-Sterne-Hotel – oder besser Jaguar, denn in der Lobby steht eine Miniausgabe der bunten Busse, die durch Dakar flitzen.
Überschwemmungen sind für die Bewohner Dakars während der Regenzeit nichts Ungewöhnliches. Die Regenzeit Ende 2022 ist allerdings länger und heftiger und das Wasser kann nicht abfließen. Die Folge sind dauerhaft unbefahrbare Straßen und eine Explosion der Moskitopopulation, die sich in den wochenlang stehenden Gewässern vermehren.

„Zeit für ein bisschen Spaß!“, sagt Michel und wir beschließen, jetzt in den Trubel der Millionenstadt einzutauchen. „Wir fahren wirklich Bus!“. Jaguar lacht und schon ein paar Minuten später stehen wir am Straßenrand und machen dem vorbeifahrenden Bus ein Zeichen anzuhalten. Die Locals, die dicht an dicht im Inneren des gelben Busses sitzen, schauen neugierig, und die Männer, die am Trittbrett am Heck des Busses stehen, strecken Michel die Arme entgegen und helfen ihm, die kleine Jaguar auf dem Arm, sicheren Stand zu finden. Und schon geht es am Bus hängend quer durch die Hauptstadt, durch den dichten Nachmittagsverkehr Richtung Route de la Corniche, die sich parallel zum Atlantik entlangschlängelt und den westlichsten Punkt Westafrikas markiert. Hier liegen die mondänen Boutiquen (auch die der senegalesischen Designerin Adama Paris), das Luxushotel Terrou Bi, das mit Privatstrand und Meergarten beliebter Hangout für die Fahrer der Paris-Dakar-Rallye war, die Sea Plaza-Shopping Mall, aber auch der Fischmarkt, auf dem die Fischer ihren Fang direkt aus den bunten Booten, den Pirogen, verkaufen. Daneben ein Outdoor-Gym und mittendrin Händler aller Art, kleine Holzbuden, in denen genäht und geschneidert, gehämmert, geschweißt oder Kunsthandwerk angeboten wird. Es ist das pulsierende Herz der Stadt und bildet auf wenigen Kilometern alles ab, vom klimatisierten Luxusshoppingpalast bis zur windschiefen Bretterbude, in der alte Waschmaschinen aufgemotzt werden. Hier fahren glänzend neue SUVs neben einachsigen Pritschenwagen, die von drahtigen Ponys gezogen werden, hängt der Geruch von Vieh und Fisch ebenso in der Luft wie der Duft der Großstadt nach Benzin, Staub, heißem Asphalt und frischer Farbe; alles vom Wind, der über den Atlantik weht, zu einem einzigartigen Gemisch verquirlt, das uns Dakar olfaktorisch in die Sinne brennt. Dazwischen Frauen, die in runden Aluminiumschüsseln Mangos und Ananas auf den Köpfen balancieren und die im hektischen Straßenverkehr auf der Suche nach Kundschaft manch waghalsigen Schritt zwischen den fahrenden Autos wagen. Mittendrin eine fantastische Tim-und-Struppi-Skulptur aus Holz, hüfthoch und farbig angemalt. „Müssen wir haben!“, ruft Michel und wir denken gleichzeitig an einen lieben Freund am Chiemsee, der die Comicfigur liebt. Doch: Der Defender ist bis unter das Dach bepackt; Tim und Struppi lassen sich einfach nicht unterkriegen. Der Händler lacht trotz der 200 Euro, die ihm flöten gehen, denn auch erkennt, dass Hund und Herrchen besser in Dakar bleiben.

In Dakar nehmen wir – sehr zur Freude von Jaguar – den Bus.

„Diese Stadt steht mit einem Bein in der Vergangenheit und mit dem anderen in der Zukunft“, erzählt der Fotograf Georges Yameogo, den wir nach unserem Spaziergang entlang der Route de la Corniche zum Kaffee treffen. Ihn zieht es immer wieder an die Schnittpunkte dieser Welten, die sich „nicht so recht vermischen wollen“, sagt er. Seine Reportage über trauernde Familien, deren Mitglieder auf der illegalen Flucht nach Europa im Meer ertrunken sind, erzählt auf beeindruckende und bedrückende Weise davon. „Dakar ist ein guter Ort für Kreative, denn hier treffen unterschiedlichste Menschen und Lebensweisen aufeinander und die Stadt genießt internationale Aufmerksamkeit. Viele Künstler aus den umliegenden Ländern zieht es deshalb hierher“, sagt er, der selbst 2016 aus Burkina Faso nach Dakar gekommen ist. Insgesamt sei die Presse gut aufgestellt und es herrsche Meinungsvielfalt, erzählt Georges und verweist gleichzeitig auf den inhaftierten Journalisten Pape Alé Niang, der am 6. November wegen der angeblichen „Verbreitung militärischer Dokumente, die der nationalen Verteidigung schaden könnten“ und der „Verbreitung falscher Nachrichten“ angeklagt wurde. Nach zwischenzeitlicher Freilassung und erneuter Inhaftierung ist er nach einem Hungerstreik – auf Druck der CAP (Coordination des Associations de Presse) und einer empörten Zivilgesellschaft – freigesprochen worden. „Immer noch werden Journalisten von den Behörden schikaniert. Ich kenne das selbst. Obwohl es ein Abkommen über die Reisefreiheit zwischen Senegal und Elfenbeinküste gibt, saß ich selbst schon im Gefängnis, weil ich den Grenzbeamten kein Geld zahlen wollte“, sagt Georges und erklärt auch, warum das so ist: „Die Struktur in vielen Ländern Afrikas ist immer noch wie vor hundert Jahren. Es gibt die normale Bevölkerung und eine Politikerkaste, die mit dem Westen verhandelt und umfangreiche so genannte Entwicklungshilfegelder kassiert. Deren Handlanger sitzen in Behörden und an offizieller Stelle in Städten, Dörfern und Gemeinden. Sie erhalten „Taschengeld“ und sorgen so als Helfer in den eigenen Reihen dafür, dass wir uns weiterhin von den eigenen Leuten schikanieren lassen müssen.“ Und so sei seine Kritik nicht ausschließlich auf den Westen mit seiner als Entwicklungshilfe getarnten neokolonialistischen Vorgehensweise gerichtet, sondern auch auf die eigenen Leute, die für ein bisschen Reichtum Land und Leute verraten.

„Wisst ihr“, sagt er am Ende des Interviews, „viele Afrikaner leiden unter einem tief sitzenden Komplex gegenüber Weißen. Sie fühlen eine tief im kollektiven Bewusstsein verankerte Unterlegenheit und glauben, immer beweisen zu müssen, dass sie etwas wert sind.“

Er hält inne, nimmt einen Schluck vom schwarzen Kaffee. Dann: „Die Kunst ist, glaube ich, ein guter Weg der Katharsis. Sie kann helfen, die Menschen in Afrika emotional zu befreien, sich von der Vergangenheit zu lösen und in der Gegenwart für eine bessere Zukunft zu handeln. Denn wer künstlerisch arbeitet, der drückt sich selbst oder ein kollektives Gefühl aus und das kann die Brücke hin zu einem Bewusstsein für das eigene und das afrikanische Selbst sein.“

Wenige Wochen später wird der US-amerikanische Sänger Pharell Williams am Tag nach einer Fashion-Show von Chanel im ehemaligen Justizpalast zu Studenten sagen: „Es berührt mich, als Afro-American ins Land meiner Vorfahren zu kommen, die ich aber nicht als Sklaven, sondern als versklavte Menschen bezeichne.“ Er feiert die Initiative des Modehauses, das seine Schau in ein dreitägiges Kulturfestival gekleidet hat. Überhaupt lässt sich in den vergangenen Jahren beobachten, dass immer mehr – vor allem Afroamerikaner – zurück in die Herkunftsländer ihrer Vorfahren kehren. Blaxit nennt sich die Bewegung und hat mit dem Podcast-Format Blaxit Global ein mittlerweile weltumspannendes Netzwerk, das „es sich zur Aufgabe gemacht hat, Brüder und Schwestern der afrikanischen Diaspora aufzuklären, zu informieren, zu befähigen und zu inspirieren, ein Leben im Ausland zu führen“, so die Gründerin Chrishan Wright, die aktuell noch in New Jersey lebt und ihren Umzug für 2023 geplant hat.

BLAXIT BESCHREIBT DIE AUSWANDERUNG SCHWARZER/AFRIKANISCHER AMERIKANER VORWIEGEND NACH AFRIKA. DIE BEZEICHNUNG DIESER SOZIALEN BEWEGUNG WURDE VON DEM US-AMERIKANISCHEN WISSENSCHAFTLER, JOURNALISTEN UND MENSCHENRECHTSBERATER DR. ULYSSES BURLEY III IN ANLEHNUNG AN DEN BEGRIFF BREXIT GEPRÄGT. TATSÄCHLICH LÄSST SICH IN DER ÖFFENTLICHEN WAHRNEHMUNG EIN ZUNEHMENDES INTERESSE VOR ALLEM SCHWARZER PROMINENTER FÜR DAS SOZIALE UND GESELLSCHAFTLICHE LEBEN IN AFRIKANISCHEN LÄNDER BEOBACHTEN. SO HABEN SICH BEISPIELSWEISE 2021 DER CHEFREDAKTEUR DER BRITISCHEN VOGUE, EDWARD ENNINFUL UND SCHAUSPIELER IDRIS ELBA (BEIDE HABEN GHANAISCHE VORFAHREN) ÖFFENTLICH FÜR DIE RECHTE VON HOMOSEXUELLEN IN GHANA AUSGESPROCHEN. ZU DEN WEITEREN UNTERSTÜTZERN ZÄHLTE AUCH DAS EHEMALIGE SUPERMODEL NAOMI CAMPBELL.

Als wir das Café verlassen und den Platz der Unabhängigkeit auf dem Weg zurück zum Hotel umrunden, zählen wir die Büros aller Big Four, also der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie aller namhaften Versicherungen, Banken und Kreditinstitute. „Schöner Name für diesen Platz“, sagt Anni und dieser Tag in Dakar lässt uns mit gemischten Gefühlen zurück. Die Nacht verbringen wir im Dachzelt auf dem Parkplatz des kleinen Stadthotels Casa Mara, das in den kommenden Tagen unser Zuhause sein wird; der Regen in der Nacht ist so heftig, fällt wie ein dichter Vorhang von oben und reißt Blumenkästen von den umliegenden Balkonen, die krachend auf der Erde zerschellen. Unser Dachzelt hält mit flatternden Seitenwänden bis zum Morgen durch. Doch eine weitere stürmische Regennacht wie diese, wird es vielleicht nicht überleben.

Die kommenden Tage richten wir uns im Casa Mara ein, das mit seinem Restaurant auf dem Dach und dem Pool im Innenhof vor allem für Jaguar nach aufregenden Stunden in der Stadt zur Ruheoase wird – und in dem wir geschützt sind vor dem zunehmend heftigen Wetter, das den Menschen zu schaffen macht. So heftig sei es Jahrzehnte nicht gewesen, hören wir immer öfter und von allen Seiten, als wir abwechselnd durch das Dakar der Moderne und die traditionell geprägten Viertel streifen. Dort probieren wir senegalesisch-europäische Fusionsküche in schicken Restaurants mit internationalem Anstrich und frisch frittierte Beignets am Straßenrand. Bummeln durch die Boutiquen wie die der Designerin Fatou Mourate Sarr, die aus traditionellen Schnitten und selbst entworfenen Stoffen Kleider entwirft, in die Anni sich sogleich verliebt. Michel entdeckt nebenan in einem der typischen kleinen Steinhäuschen mit großem Fenster ohne Scheibe, das an eine Art Durchreiche erinnert, einen Schneider, der an einer alten handbetriebenen Singer-Nähmaschine sitzt. Ob er die mittlerweile zerschlissene Lieblingshose nachnähen könnte? Kann er und so suchen Michel und der Schneider gemeinsam einen passenden Stoff aus, während Jaguar sich in der Boutique von Fatou einen senegalesischen Fächer aussuchen darf.

Mit allerlei schönen Dingen, die im Defender noch Platz gefunden haben – vier neue kurze von Hand genähte Hosen nach Michels Lieblingsschnitt, zwei neue Hosen für Anni, einem geflochtenen Fächer und einer Spielzeugausgabe der bunten Busse für Jaguar – verlassen wir Dakar Richtung Süden. Unterwegs halten wir ein paar Mal an, um am Straßenrand Mangos und Bananen zu kaufen. Von den Straßenhändlern, die von den Moskitos geplagt werden, die sich in den stehenden Pfützen und Miniteichen in den letzten Tagen explosionsartig vermehrt haben, erfahren wir, dass die Straßen Richtung Gambia teilweise unpassierbar sind. Wir beschließen trotzdem weiterzufahren, denn unser nächstes Ziel, ein Künstlerdorf in der Landgemeinde Toubacota, nahe der Grenze zu Gambia, liegt nur vier Autostunden entfernt. Es ist elf Uhr am Vormittag, als wir losfahren und acht Uhr am Abend, als wir ankommen. Wieder war ein Großteil der Strecke überflutet, sodass wir abseits der Hauptstraßen und Offroad unseren Weg gesucht haben. Erschöpft erreichen wir das hübsche Dorf am Ufer des Flusses Bandiala, in dem sich unter ausladenden Baobab-Bäumen Wohnhäuser, Lädchen und Restaurants, Ateliers und Werkstätten aneinanderreihen. Es gibt keinen Campingplatz, aber einer der Künstler lädt uns ein, den Defender auf seinem Gelände zu parken und sein Bad und seine Küche zu nutzen. Michel fährt durch das Tor und schon beim Aufsetzen auf den Rasen, wissen wir, dass wir ein Problem haben. Hier, in dem idyllischen Gärtchen mit Pool, auf dem das Wasser nur wenige Zentimeter hoch auf dem Rasen der Einfahrt steht, fahren wir uns zum ersten Mal nach 25.000 Kilometern fest. Mit der einsetzenden Dämmerung stürzen sich die Moskitos auf uns, die wir nun mit einer Handvoll Leute um den Defender stehen. Während Anni und Jaguar zurück ins Auto steigen, versuchen Michel, der Künstler und vier seiner Freunde den Defender mit Schaufeln und Eimern zu befreien. Doch so nahe am Flussufer ist der Boden schlammig und der Regen der vergangenen Wochen hat sein Übriges getan; der Wagen sackt immer tiefer.

Nach tausenden Kilometern durch Stein-, Sand- und Geröllwüsten, durchs Gebirge und über Pisten, fahren wir uns auf dem Rasen eines Künstlers kurz vor der Grenze zu Gambia fest. Nahe am Flussufer ist der Boden so weich, dass uns ein Truck aus dem Schlamm ziehen muss.

Schlammverschmiert und völlig verschwitzt brechen Michel und seine Helfer die Aktion ab und beschließen bis zum Morgengrauen zu warten. Aus Angst davor, dass es wieder heftig regnet und der Defender weiter absinkt, bleiben wir die Nacht über im Auto sitzen und versuchen, nachdem wir Brote und Tee gereicht bekommen haben, ein wenig Schlaf zu finden. Es gelingt uns nicht und so wachen wir über die schlafende Jaguar und unser liebgewonnenes Auto, das uns sicher bis hierher gebracht hat. Wir sind sicher, dass wir uns am Morgen befreien können und froh, als die Sonne über dem Fluss aufgeht. Bei Tageslicht erkennen wir jedoch, dass sich direkt hinter uns eine Betonschwelle befindet, über die wir aus dem Stand nicht rückwärtsfahren können. Aus dem Dorf kommen weitere Helfer und gemeinsam versuchen sie mit Michel das Wasser abzuschöpfen, um den Reifen Grip zu verleihen. Nach drei Stunden jedoch geben wir auf – wir brauchen ein starkes Auto, das uns aus dem schlammigen Grund zieht. Und es findet sich jemand mit einem Truck, der aus dem nächsten Dorf herüberkommt – wir legen dem Defender Ketten an und hoffen. Mittlerweile ist das gesamte Dorf auf den Beinen und gemeinsam halten wir die Luft an, als der Truckfahrer Gas gibt. Der Motor heult, die Reifen versuchen den Weg nach vorn, der Fahrer brüllt aus dem Seitenfenster und dann, endlich, ein Ruck und der Defender springt über die Schwelle ins Freie. Anni weint vor Glück, die Menschen klatschen und Michel und die Männer fallen sich in die Arme. Uns bleibt keine Zeit, denn die Straßen auf dem Weg nach Gambia, so erzählt der Truckfahrer, stehen unter Wasser. Also gibt es nur eine kurze Dusche für Michel und den Defender, einen schnellen Kaffee und ein Butterbrot für Jaguar und weiter geht es Richtung Grenze. Laut Navigation sind es nur wenige Stunden Fahrt bis in die Hauptstadt Banjul.

Dort eintreffen werden wir in tiefer Nacht, in einer Stadt, in der der Strom ausgefallen ist. Ohne Beleuchtung, funktionierende Ampeln und Internet schleichen wir ziellos über sandige von Schlaglöchern durchsiebte Straßen einer Geisterstadt. Je weiter wir Richtung Süden kommen, umso deutlicher spüren wir nicht nur die Auswirkungen der Vergangenheit, sondern auch die der Gegenwart. Es scheint, die Menschen wüssten ebenso wenig wie wir, welche Richtung sie einschlagen sollen.

TEXT
ANNI & MICHEL RUGE