Gerade freuen wir uns über einen gut gelaunten Motorradfahrer, dessen Zweirad mit bunten Bommeln geschmückt ist und der eine Weile mit hochgerecktem Daumen neben uns herfährt, als uns ein Soldat an den Straßenrand winkt. Sattgrüne Uniform, stramm gebügelte Hosenbeine in schwarz glänzenden Stiefeln, das Barett über einem streng schauenden Gesicht, hat er beide Hände am Maschinengewehr, das auf seinem Brustkorb ruht. Woher wir kommen, wohin wir gehen? Als er Germany hört, nickt er: „That’s great. Great country!“. Er lacht, schwärmt über unsere Heimat: „You could take me home with you!“. Es soll wohl wie ein Scherz klingen, aber die Traurigkeit, die in seinem Blick mitschwingt, erzählt eine andere Geschichte.
Die Menschen in Gambia haben mit der Inflation zu kämpfen, die den Preis für Konsumgüter aktuell um elfeinhalb Prozent verteuert hat. Das Land besitzt keine Bodenschätze, ist hoch verschuldet und belegt im Ranking der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Platz 117 von 137. Obwohl es weltweit zu den Ländern mit den geringsten Militärausgaben gehört, zählen Militärs und Polizisten zu den besser Verdienenden. Beliebt sind sie kaum, das erfahren wir in den nächsten Tagen, weil sie ihre Funktion immer wieder ausnutzen, um nicht nur von Touristen, sondern auch von der lokalen Bevölkerung hohe Strafen für vermeintliche Verstöße zu kassieren. Dass hier ein anderer Wind weht, eine andere Stimmung herrscht, das teilt sich uns irgendwie schon in den ersten zwei Stunden auf dem Weg zur Fähre mit, die uns in die Hauptstadt Banjul bringen soll. Trotz moderner Gebäude und asphaltierter Straßen fehlt der Unterbau, alles wirkt zusammenhanglos in die Landschaft geworfen; wirkt irgendwie fremdartig, aufgesetzt. Dass wir das moderne Afrika verlassen haben, spüren wirspätestens als wir den Hafen erreichen. Die Autos bilden eine kilometerlange Schlange, umringt von fliegenden Händlern und Ständen, an denen Handyzubehör, gebratenes Fleisch, Plastikspielzeug und Kleidung angeboten wird. Nur eine Fahrkarte für die Überfahrt, „die gibt es hier nicht“, erfahren wir von einem Polizisten am Straßenrand. Aber sein Freund, der könnte die fünf Kilometer zurück an den Schalter laufen, wo es die Karten gibt. Oder aber wir kaufen die Tickets für einen geringen Aufpreis ausnahmsweise hier.
Wir zahlen ausnahmsweise den vierfachen Preis, um unseren Platz in der Schlange nicht aufgeben zu müssen, denn schon wieder hat die Fahrt länger gedauert als geplant und wir wollen vor Sonnenuntergang in Banjul ankommen. Michel steigt aus dem Wagen und nimmt mit den zwei Männern aus dem Mitsubishi vor uns einen Snack am Straßenrand – sie kommen aus Pakistan und Indien und machen in „Metall“, das sie über die Häfen von Gambia transportieren. Plötzlich gerät die Masse in Bewegung, wird von Aufregung erfasst – eine Handvoll Polizisten verschafft sich Platz und treibt einen gefesselten Mann vor sich her durch die Menge. Daneben Menschen, die mitlaufen, rufen und die Hände in die Höhe recken. Es wirkt wie eine Szene aus einem Western – wild. Der Mann wird in das niedrige Steingebäude der Polizei gebracht, dessen Fassade bröckelt und vor dem sich eine Traube Menschen sammelt. Dann erwacht die Schlange und langsam kriechen wir nach vorne. Bei der ersten Ticketkontrolle sollen wir nachzahlen und Michel erklärt: „Du bist nicht deine Regierung und ich bin nicht meine. Ich verstehe deine Wut, deinen Ärger oder was auch immer es ist, aber ich reise hier mit meiner Familie.“ Noch während er spricht kommt ein hochgewachsener, stattlicher Mann auf uns zu. Der Kontrolleur weicht zur Seite.
Der Mann tritt an die offene Windschutzscheibe: „Ihr nehmt die VIP-Line auf die Fähre. Wer hier ist, um von Afrika zu lernen, der ist unser Gast. Herzlich Willkommen in Gambia!“.
Wir sind verblüfft. Und freuen uns – er hat verstanden.