Der Handel mit gebrauchten Uhren boomt seit Jahren. Nun steigen auch die Hersteller ein. Wir haben uns umgehört, was das für den Markt bedeutet.
GEHT WIEDER GUT
Die Branche hat ein neues Wort für alte Uhren: CPO steht für „Certified Pre-Owned“ und ist ein Synonym für das wachsende Geschäft mit gebrauchten Zeitmessern. Secondhand-Ware war lange Zeit nichts, was die Industrie in den Mittelpunkt gestellt hätte. Die Hersteller zeigten zwar gern in ihren Firmenmuseen Klassiker, um ihre Tradition zu belegen, und nutzten sie als Vorlage für Retrotrends. Bei den Juwelieren lag in Zahlung Genommenes jedoch etwas verschämt am Rand: „aus Kundenauftrag“.
Wer auf sich hielt, kaufte Neuware. Parallel dazu, aber ohne viele Berührungspunkte, gab es die Sammlerbörsen und Auktionen für historische Modelle. Deren Kunden wiederum verschmähten zumeist die Neuware als zu zeitgeistig. Sie kauften mit unterschiedlicher Expertise Altes – nicht zuletzt in der Überzeugung, dass früher alles viel besser gewesen sei. Den Herstellern brachten sie keinen Umsatz.
Aber nun ist alles anders, verwischen die Grenzen zwischen beiden Welten genauso wie die Regel, dass Gebrauchtes günstiger zu haben ist als Neuware. Leicht zu sehen bei einem Bummel durch die Innenstadt: In den Schaufenstern mancher Konzessionäre stehen Schweizer Chronometer aus Vorbesitz zu Preisen, die deutlich über dem Listenpreis ungetragener Stücke liegen – weil Letztere nur Ausstellungsstücke und gar nicht wirklich zu kaufen sind. Zugegeben, dieses Phänomen gibt es nur bei wenigen Marken, die mit der Produktion ihrer Bestseller die Nachfrage bei Weitem nicht bedienen können. Aber es wirft auch ein Schlaglicht darauf, dass Exklusives aus zweiter Hand immer breitere Zustimmung findet.
Eine Studie der Boston Consulting Group aus dem vergangenen Jahr machte in der Branche Furore. Bei knapp 16 Milliarden Euro liege der weltweite Markt für gebrauchte Luxusuhren und er werde mit acht Prozent jährlich schneller wachsen als der Primärmarkt, heißt es darin. Der Grund liege neben einer zunehmenden Zahl von Online-Käufen in veränderten Vorlieben der Verbraucher.
„Das Stigma des Gebrauchten verschwindet, das sieht man breit über viele Luxus-Kategorien“
Philipp Man, Gründer der Uhren-Handelsplattform Chronext
Viele Millennials sähen die Geschichte eines Produkts als Beweis seiner Wertbeständigkeit. „Und beim gebrauchten Produkt sehen sie den Markt-, nicht den Listenpreis.“ Bei diesen neuen Käufern beobachtet Man dann hie und da Geringschätzung gegenüber Neukäufern „die einfach in den Laden gehen und den verlangten Preis bezahlen“.
Chronext, seit 2013 im Geschäft, gehört zu denen, die den Markt mit verändert haben. Neben dem Kölner Unternehmen sind das Firmen wie Watchbox und die Richemont-Tochter Watchfinder. Im Netz machten sie ungeahnte Mengen von Sammlerstücken zentral bestellbar, die nicht mehr länger auf lokalen Börsen oder gelegentlichen Auktionen gesucht werden mussten. Daneben etablierten sich manche Plattformen als – sehr diskreter – Vertriebskanal für Juweliere und Produzenten, die dort schwer verkäufliche Neuware anbieten. „2020 haben wir etwa 64 Prozent der Produkte für Händler und Hersteller verkauft“, sagt Philipp Man. Jetzt sieht er bei Chronext den Anteil des Pre-Owned-Geschäfts noch deutlich schneller wachsen als den Handel mit neuen Uhren: „Mittelfristig gehen wir davon aus, dass CPO bei uns die Hälfte des Geschäfts ausmachen wird.“
CPO ist nicht nur ein neues Wort für Secondhand-Ware, sondern bezeichnet das Erfolgsprinzip: Alle Uhren werden von Uhrmachern auf Zustand und Echtheit geprüft und gegebenenfalls mit einem Zertifikat versehen. Bei Chronext sind mehr als 20 Fachleute damit befasst. Das schafft beim Kunden Vertrauen. Sicherheit durch die die professionelle Bewertung der Authentizität hält auch Patrick Graf für den wesentlichen Faktor. Er ist Chief Commercial Officer des Juweliers Bucherer. Während sich die Wettbewerber wie Wempe aus dem Handel mit gebrauchter Ware heraushalten, rüstet sein Haus seit Jahren immer mehr seiner internationalen Filialen mit CPO-Bereichen aus. Alle Stücke sind auch im Internet zu sehen und bestellbar. Kompetenz und einen umfangreichen Warengrundstock erwarb man bei der Übernahme der US-Kette Tourneau. „Die USA haben in Sachen CPO weit längere Erfahrungen, nicht nur im Uhrenbereich“, erläutert Graf. Die Secondhand-Szene sei lange ausschließlich von Online-Plattformen dominiert worden.
Seit sich etablierte Händler wie Bucherer einschalteten, wachse das Vertrauen bei der Kundschaft weiter. Im gegenwärtigen Uhren-Boom werde bei der Restaurierung und Beschreibung begehrter Stücke „schon viel Unfug“ getrieben. „Deshalb wird überall ganz viel vom Zertifizieren gesprochen. Plattformen engagieren zertifizierte Uhrmacher. Aber das nützt ja alles nichts, wenn Sie als Unternehmer nicht von den Marken zertifiziert sind. Sie haben dann auch gar keine Chance, auf korrektem Weg an die Ersatzteile zu kommen.“ Bucherer biete die offiziellen Zertifizierungen und Serviceleistungen der Hersteller an.
Die Hochkonjunktur der Pre-Owned-Uhren erklärt er sich ähnlich wie Philipp Man. Auch in anderen Bereichen wie bei Autos oder in der Mode schlössen sich die Gräben zwischen Neu- und Gebrauchtkauf.
„Zum anderen ist Vintage angesagt als Ausdruck von Individualität.
Die Pandemie hat dazu den Nachhaltigkeitsgedanken bestärkt.
Das ist der heutige Zeitgeist.“
Patrick Graf, Chief Commercial Officer des Juweliers Bucherer
Graf sagt, der Online-Anteil im Pre-Owned-Bereich sei deutlich höher als im Neuwarengeschäft: „Aber wir stellen häufig fest, dass die potenziellen Kunden nach wie vor gern in Geschäfte kommen, um zu sehen: Sieht die Uhr wirklich so gut aus, wie ich sie mir vorstelle? Wie fühlt sie sich an? Passt sie zu mir?“ Und Philipp Man von Chronext will das Netz seiner Lounges, in denen die online bestellten Uhren auf Wunsch übergeben werden, weiter ausrollen. „Das Prinzip ist sehr erfolgreich. Den Kunden gibt schon das Vorhandensein der Lounge ein Gefühl der Seriosität und Sicherheit, auch wenn sie persönlich vielleicht gar nicht benutzt wird.“ Die Online-Plattform Watchfinder hingegen geht jetzt Partnerschaften mit dem Einzelhandel ein, präsentiert die in ihrem Servicecenter zertifizierten Uhren unter anderem im Züricher Modehaus Grieder und auf der Vintage-Etage des Pariser Kaufhauses Printemps.
Während sich der Handel mit gebrauchten Uhren etabliert, nehmen auch die ersten Hersteller selbst daran teil. Dabei sind die Herangehensweisen der Unternehmen so unterschiedlich wie ihre Erwartungen. Besonders schnell agieren junge und vor allem unabhängige Marken der Haute Horlogerie. Richard Mille bietet seine Vintage-Ware in eigenen Boutiquen wie „Ninety“ in London-Mayfair an. H. Moser & Cie offeriert eine kleine Auswahl zertifizierter Gebrauchtuhren auf der Firmen-Website. „Die Ursprungsidee war, auch ausgelaufene Modelle anbieten zu können“, sagt Sales Director Nicholas Hofman. „Wir haben die Plattform für den Gebrauchthandel kurz vor dem Lockdown eingerichtet, von dem sie dann natürlich profitiert hat.“
Im Moment sind auf der Seite mehr Modelle als verkauft gekennzeichnet als wirklich zur Verfügung stehen: Der Nachschub ist ein Problem. Moser nimmt keine Ware von Retailern zurück. „Und wir beobachten, dass auf dem Markt einige Stücke über dem offiziellen Verkaufspreis gehandelt werden, 25 bis 30 Prozent. So etwas kommt für uns nicht infrage, auch wenn einer unserer Sammler das betreffende Stück sucht“, sagt Hofman.
Da seine CPO-Kunden keine Schnäppchenjäger, sondern vor allem sachkundige Sammler sind, scheint ihm die Unterscheidung von Neu- und Gebrauchtware fast egal: „Es ist wie bei einem Kunstwerk: Das ist ja auch nicht ,pre-owned‘.“
In den großen Luxusgruppen, vor allem bei Marken mit umfangreichem Sortiment und vielen Konzessionären, braucht die Entscheidung länger. Die Bedeutung des CPO-Geschäfts aber leugnet auch hier niemand mehr. IWC hat keine getragenen Zeitmesser im Angebot, wirbt aber auf seiner Website mit der Möglichkeit, bei Neukauf in der Boutique eine Uhr in Zahlung zu geben. Zu einer Revision und einer anschließenden Zertifizierung werden diese Stücke dann an Watchfinder weitergereicht.
Die Swatch-Group-Marke Omega arbeitet seit 2019 mit einem Authentizitäts-Zertifikat für Modelle, die älter als 30 Jahre sind und in den Bieler Werkstätten eingehend geprüft werden. Petros Protopapas, zuständig für Brand Heritage, betont, dass diesen Dienst jeder nutzen könne – private Kunden genauso wie spezialisierte Händler, mit denen man gern Partnerschaften aufbauen wolle, „damit wir den Markt besser unterstützen können“. Die Beauftragung erfolgt in den Boutiquen der Marke, wo man den Kunden bei der Gelegenheit auch die modernen Entsprechungen ihrer Klassiker zeige. „Omega sieht sich alle Möglichkeiten sehr genau an, die der Vintage-Markt bietet“, sagt Protopapas, „es gibt dazu eine Menge Ideen und Gespräche im Haus, und ich glaube, das Thema hat bei Omega durchaus Zukunft.“
Die Richemont-Marke Vacheron Constantin pflegt bereits seit 2017 sein „Les Collectionneurs“-Programm. Dabei werden Sets von 12 bis 20 Vintage-Stücken zu Veranstaltungen in ausgewählten Boutiquen gebracht. Dort sollen sie, so Style-and-Heritage-Director Christian Selmoni, Licht auf die Leistungsfähigkeit der Manufaktur werfen – und können vor Ort auch erworben werden. Die Kunden, echte Aficionados, sind jung, in Asien 25, in Europa um die 30 Jahre: „Die Ziele sind nicht nur die Kommunikation und das Erzeugen von Aufmerksamkeit“, sagt Selmoni, „wir betrachten es als Business-Modell, entwickeln die Kollektion weiter und verkaufen Jahr für Jahr mehr Uhren.“
Natürlich stehe man damit in Konkurrenz zu Auktionshäusern, stütze mit seiner Präsenz aber den Gesamtmarkt. Dafür kauft Vacheron von Onlinehändlern, von Sammlern und deren Erben. Hin und wieder wandert auch ein Stück aus der hauseigenen Sammlung in die Sets.
„Wir restaurieren in unseren Ateliers mit historischen Originalersatzteilen und verkaufen schließlich mit zwei Jahren Garantie und einem Echtheitszertifikat“, erläutert Selmoni. Jetzt überlegt er, die Uhren auch online anzubieten. „Unser Modell sah das ursprünglich nicht vor, wendet sich an einen kleinen Kundenkreis. Aber in der Zukunft ist es eine Option – vorausgesetzt, wir bekommen genug Uhren zusammen.“
Da ist Zenith unter dem Dach der LVMH-Gruppe schon etwas weiter: Man zeigt Stücke aus seinem durch die Boutiquen tourenden „Icons“-Programm im Netz gleichberechtigt neben den aktuellen Kollektionen. Dabei setzt das Haus aber andere Schwerpunkte. „Wir wollen mit dem Programm keinen großen Gewinn machen“, versichert Romain Marietta, zuständig für Produktentwicklung und das Heritage-Thema. „Aber wir können jetzt schon sagen, dass es großes Interesse auf die gesamte Marke zieht. Es geht um Brand Equity, um Awareness.“ Für die „Icons“ hat er ein Scriptbuch erstellt; nach den frühen „El-Primero“-Chronographen kann es Flieger- oder Pilotenuhren in den Fokus rücken, später womöglich Space-Age-Design.
Selbstredend soll das Firmenmuseum eingebunden werden. Dass mit zunehmender Bekanntheit auch die Preise auf dem Gebrauchtmarkt steigen, sei zunächst einmal gut für die Marke – schränke aber auch die Einkaufsmöglichkeiten ein. Immerhin: „Inzwischen werden uns sehr viel mehr Uhren zur Revision zugesandt. Am Service und der Restaurierung lässt sich verdienen“, sagt Marietta, „Dann und wann können wir auch ankaufen, wenn einem Kunden die Restaurierungskosten zu hoch sind.“ Als Nächstes denke man darüber nach, das „Icons“-Angebot auch online verfügbar zu machen.
„Wir sehen uns als Akteure auf dem Markt, wir spielen mit”, sagt Marietta, „dabei sind andere nicht notwendig Konkurrenten.” So gelassen sehen das auch Wettbewerber wie Chronext: „Wenn die großen Hersteller ins CPO-Geschäft einsteigen, ist das so, wie wenn BMW gebrauchte Wagen verkauft: Das öffnet den Markt für viel mehr Spieler“, ist Philipp Man überzeugt. Es legitimiere die Idee des Gebrauchtkaufs. „Je mehr Marken in den Markt eintreten, desto mehr freuen wir uns, weil das für das gesamte CPO-Ökosystem nützlich ist.“
Patrick Graf von Bucherer hält den Einstieg der Hersteller schon deshalb für wichtig, weil ihnen die Preisbildung auf dem Sekundärmarkt ein Anliegen sein müsse. Schließlich zeige sie, wie begehrenswert die Produkte des Hauses seien: „Da kann die Marke die Preisentwicklung nicht dem Zufall überlassen“, sagt er. Im Autohandel bewegten sich ja auch mehrere Geschäftsmodelle nebeneinander: „Da kommt es auf den Anspruch des Kunden an.“ Und der hat immer mehr die Wahl.
„Wenn die großen Hersteller ins CPO-Geschäft einsteigen, ist das so, wie wenn BMW gebrauchte Wagen verkauft:
Das öffnet den Markt für mehr Spieler“
Philipp Man, Gründer der Uhren-Handelsplattform Chronext