17 Marken richten die „Geneva Watchdays“ aus, die erste Uhrenmesse seit dem Zusammenbruch durch Covid-19. Wir waren live vor Ort.
Geneva Watchdays
Die Dichte von Grandhotels am westlichen Ufer des Genfer Sees sucht weltweit ihresgleichen. Das kommt nicht von ungefähr – denn dies ist ein unglaublich formaler Ort. Monsieur hier, Madame da, alles noch immer in zumeist dunkelblauen Anzügen oder klassischen Kleidern, bei den Männern zählt das Gel in den Haaren noch etwas, und die Frisuren der Frauen wirken stets so, als ob sie morgens einige Zeit in Anspruch nehmen, das Make-up nicht minder. Wir halten am traditionellen Luxus fest, lautet die Botschaft, und wenn wir in Schlappen das Haus verlassen, dann müssen sie allermindestens von Dior sein.
Doch Genf war auch schon immer eine Stadt, in der unterschiedliche Welten existierten: Die Uhren- und Schmuckmanufakturen, die Banker, die NGOs und Institutionen der Vereinten Nationen mit ihren Diplomaten, Agenten und deren ständig wechselnden Allianzen. Einen bisher undenkbaren Zusammenschluss gibt es auch in der Uhrenbranche zu beobachten. 17 Marken richten die „Geneva Watchdays“ aus, die erste Branchenmesse seit dem Zusammenbruch durch Covid-19 im Frühling, der die Absage der etablierten Veranstaltungen in Genf und Basel nach sich zog.
Es wird viel geredet in diesen Tagen, aber dabei klingen die Protagonisten erstaunlich gleich. Mit Bulgari ist eine Marke aus der LVMH-Gruppe vor Ort, Ulysse Nardin und Girard-Perregaux gehören zum Konkurrenten Kering, dazu kommen unabhängige Größen wie Breitling oder Carl F. Bucherer und kleinere Hersteller vom Kaliber H. Moser oder MB&F. Zyniker könnten sagen, der einheitliche Grundton rühre vor allem daher, dass keins der Unternehmen zu denjenigen gehören will, die ihre Ware vor der Krise bevorzugt an reiche Chinesen, Araber und Russen auf Europatour verkauft hatten. Diese kauflustige Klientel ist derzeit nämlich nicht vorhanden, und kein Mensch weiß, ob sie je wiederkommt.
Doch Zynismus würde der Sache nicht gerecht: Man lobt sich gegenseitig und freut sich, für dieses Projekt zueinandergefunden zu haben. „Covid hat uns alle hart getroffen, und niemand kann derzeit genaue Prognosen stellen, wann wir das Virus in den Griff bekommen“, sagt Uwe Liebminger, der Chief Marketing Officer bei Carl F. Bucherer. Ein Mann aus der deutschsprachigen Schweiz im grauen Einreiher, der bei aller Diskretion deutliche Worte findet. Liebminger sagt aber auch: „Die Uhrmacherei in der Schweiz hat viele Krisen hinter sich, wir werden auch diese meistern.“ Diese Mischung aus Offenheit und Zuversicht findet sich überall.
Liebmingers Haus begegnet der Situation, indem es neben klassischen Modellen mit der „Patravi ScubaTec Black“ eine schwarze Sportuhr vorstellt, die zwei Trends miteinander vereint: Das Titangehäuse ist bis 500 Meter wasserdicht, was für äußerste Robustheit steht, in dem Band ist neben Kautschuk ein Material verwendet worden, das aus recycelten Plastikflaschen hergestellt wird.
Mit dem Zeitmesser unterstützt der Hersteller die Organisation Manta Trust, die sich dem Schutz von Matarochen verschrieben hat. Das Stück für 6400 Euro zahlt damit auf den Umweltschutzgedanken – neudeutsch: „sustainability“ – genauso ein wie auf die Tatsache, dass Menschen in Krisen erfahrungsgemäß gern zu Dingen greifen, die als zuverlässige Begleiter für lange Zeit gelten.
Bucherer hat für seine Präsentation die eigene Boutique gewählt, Bulgaris CEO Jean-Christophe Babin hält im „Hotel de la Paix“ Hof. Dafür, dass es sich per Definition um einen Ort des Friedens handelt, spricht Babin viel von dem Krieg, in den er nun wieder ziehe. Vorzuwerfen ist ihm das nicht. Wer die Depression erinnert, die im Frühjahr herrschte, der freut sich über die Kampfeslust, die er ausstrahlt. Und der alte Spruch stimmt ja: Wer kämpft kann verlieren, wer es nicht tut, hat schon verloren.
Deshalb erzählt Babin die Geschichte davon, dass das Virus bei allem Tragischen für seine Firma ein Innovationstreiber war. Das gelte intern für Reisebudgets, die man zurückgefahren habe, weil sich viel in digitalen Konferenzen kommunizieren lasse. Zur Messe hat er zwei Räume für Online-Präsentationen einrichten lassen, damit seine Marke wirklich eine globale Wirkung entfalte. Doch das ist nur die eine Seite – glaubt man Babin, hatte die ganze Industrie vor Covid-19 zu wenig Fahrt.
Die Storyline von der traditionellen Handwerkskunst, die eine mechanische Uhr menschlich mache und deshalb über die elektronische Konkurrenz erhebe, eignete sich vorzüglich, um nach der Quarzkrise der 80er-Jahre wieder in Tritt zu kommen. Die Millenials allerdings, also die nächste Kundengeneration, sei dabei aus dem Blick geraten, sagt Babin. Das lasse sich an Zahlen erkennen, der Luxusmarkt als Ganzes sei vor der Seuche jährlich um 7 Prozent gewachsen, die Uhrenindustrie aber habe keine Zuwächse vermelden können.
Bulgari hat im höchsten Preissektor wieder einen Weltrekord zu bieten: Die „Octo Finissimo Tourbillon Chronograph Skeleton“ hat nur eine Gesamthöhe von 7,40 Millimetern – eine brillante Konstrukteursleistung, eine Stoppvorrichtung und ein Bauteil zum Schwerkraftausgleich auf so engem Raum unterzubringen. Im Gespräch geht Babin darauf jedoch nicht ein. Seine Ausführungen drehen sich um die Modelle im Aluminiumgehäuse, mit denen er junge Leute für sein Haus begeistern will. Millenials hätten kaum mehr Interesse an der formalen Tradition, aber sie forderten trotzdem höchste Qualität.
Babin denkt, das durch den Werkstoff und den mechanischen Antrieb zu leisten; zu haben ist der Chronograph für weniger als 3000 Euro. Man habe sich die Edition schon länger vorgenommen, doch sie sei frühestens für 2022 geplant gewesen. Nun habe die Krise die Entwicklung gepusht – Babins braune Augen strahlen unter dem kurzen grauen Schopf ehrliche Zufriedenheit aus. Hier ist ein Mann, der sich das Geschäftsjahr auf keinen Fall von einem Virus zerstören lassen will.
Breitling-Chef Georges Kern residiert neben Babin im „Four Seasons“. Es hat etwas Witziges, diesen Mann, der die Traditionsmanufaktur seit seinem Antritt auf ultramodern getrimmt hat, zwischen all den dicken Teppichen und Kronleuchtern zu erleben. Kern darf für sich damit in Anspruch nehmen, schon lange betrieben zu haben, was sein Kollege nun anmahnt. Er räumte die unübersichtliche Modellpolitik auf, ordnete seine Zeitmesser den Elementen Luft, Wasser und Erde zu, fürs Marketing brachte er Squads von Berühmtheiten wie Brad Pitt zusammen, die Themen wie Film, Triathlon oder Surfen ein Gesicht geben.
In seiner „Endurance“-Kollektion arbeitet ein Quarzwerk, das zehnmal präziser ist als der Durchschnitt bei dieser Technik. Was der Hintergrund dieser Entscheidung sei? „Schauen Sie“, sagt Georges Kern, wie er es immer sagt, wenn er denkt, mal wieder jemandem die Welt erklären zu müssen, was ziemlich häufig der Fall zu sein scheint. „Schauen Sie, wir wollen ein Generalist sein.“ Breitlings Preissegment liege zwischen 4000 und 10.000 Dollar und man habe in vielen Bereichen Glaubwürdigkeit.
Für ein Athleisure-Modell wie die „Endurance“, die sich bei einem Preis von 2850 Euro hervorragend fürs Jogging oder Schwimmbad eigne, musste vor allem ein leichter Werkstoff und ein leichtes Werk her. Um den Gehäusewerkstoff „Breitlight“ macht die Manufaktur ein großes Geheimnis.
Luxus werde nahbarer und nachhaltiger, sagt Kern. Dass er an Umweltschutz denkt, hat er bereits in Diensten von IWC bewiesen: 2006 machte er deren Manufaktur CO2-neutral, obwohl es sich damals noch nicht vermarkten ließ. Von diesem Gespür für Themen, die langfristig aufkommen, profitiert er jetzt. Breitling ist eine Uhr, mit der man ausdrückt, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Natürlich hat auch Kerns Geschäft gelitten, doch sind die Zahlen seit dem Spätsommer über dem Vorjahresniveau.
Der CEO redet viel von „coolen“ Leuten, die er an seine Marke binden wolle – und als „cool“ definiert er diejenigen, die seinem Konzept folgen. Sollte das Virus nicht in aller Macht zurückkommen, besteht die realistische Chance, dass seine Rechnung aufgeht. Kerns Ideen passen in eine Welt, in denen klassische Statussymbole, die vor allem teuer erkauft sind, immer mehr an Bedeutung verlieren. Noch eine Entwicklung, die die Krise befeuert.
MB&F schließlich – der Name steht für Maximilian Büsser and Friends – ist ein kleiner Hersteller, der weniger für Zeitmessung als für Automatenbau steht. In der Suite im „Beau Rivage“ gibt es kein Modell für den Arm zu besichtigen, sondern eine Tischuhr, die wie eine Mischung aus Mücke und Fliege wirkt und in Zusammenarbeit mit dem Hersteller L’Epee entstand. Inspiriert ist das Teil von den „Jurassic Park“-Filmen, die sein Designer Maxim Maertens als Kind aufsaugte. Ein charmantes Spielzeug für Leute, die mehr als 20.000 Euro für einen optischen Knalleffekt zu Hause berappen können.
„Trinity“ haben ihre Schöpfer sie getauft, weil das Objekt drei Stahlbeine hat, das Werk drei Etagen und sich die Zeit durch drei Glaskugeln ablesen lässt, die wie Augen wirken.
Auch diese Manufaktur richtet sich damit an Menschen, denen uniforme Exklusivität zuwider ist. Im Frühjahr habe man die Businessprognose für 2020 um 50 Prozent gesenkt, erläutert der Kommunikationschef Charris Yadigaroglou. Inzwischen laufe die Herstellung wieder im Normalbetrieb, die Nachfrage der 26 Verkaufspunkte, an denen die Produkte weltweit zu haben sind, hätten das ermöglicht. Vermutlich lande man am Ende des Jahres bei 20 Prozent Minus, sagt Yadigaroglou; vor allem deshalb, weil man über Wochen nichts habe produzieren können. Wer dabei zusieht, wie er sich dabei im Sessel zurücklehnt, lernt: Für bestimmte Nischenprodukte wird es offenkundig immer einen Markt geben.
Man darf bezweifeln, dass das, was es in Genf zu sehen gibt, rasches und glimpfliches Ende der Krise für die ganze Industrie bedeutet. Fest steht aber auch: In der Stadt, die ein Hort klassischer Opulenz und Distinktion ist, wird endlich daran gearbeitet, dieser Tradition neue Ideen an die Seite zu stellen. Und da kann man nun einwenden, eine Wette auf die Zukunft bleibe immer noch eine Wette. Hoffnung allerdings macht der Aufbruch allemal, der hier zu erkennen ist. Denn es ist ein Aufbruch, der ohne die Erschütterung vom Frühjahr niemals zustande gekommen wäre.