CHANEL

Thom Browne

Thom Browne startete sein Label 2001 mit ironischer Büromode für Männer: viel warmes Grau, verkürzte Nadelstreifenhosen, Cropped-Cardigans und Sakkos mit 2/4-Ärmeln. Der Look fand sofort so viele Fans, dass Brown schon wenig später eine Frauenlinie starten konnte. Es folgten exklusive Zusammenarbeiten mit Brooks Brothers und Moncler, das Investment vom Herrenausstatter Ermenegildo Zegna – und jüngst ein Prozessgewinn gegen Adidas. Browns Markenzeichen sind vier Streifen. Im Januar klagte der Sportkonzern mit den drei Streifen dagegen; vergeblich. Und jetzt? Setzt der Designer all seinem bisherigen Erfolg die Krone mit der ersten Couture-Kollektion auf. Zur Show lud er in die Opéra Garnier. Für die Gäste ging es durch den Künstlereingang hinein. Dass sie auf der Bühne saßen, realisierten sie erst, als sich der Vorhang hob und der Blick frei wurde auf 3000 Pappfiguren, die in den Publikumsrängen verteilt saßen. Und die Mode? Viel warmes Grau, Sakkos und Gehröcke mit verkürzten Ärmeln. Mäntel mit konvexen Ärmeln. Patchworks und Intarsien von Landschaften und Vorstadt-Idyllen. Nadelstreifen? Wie es sich für die Königsdisziplin der Mode gehört: bestickt mit goldenen Pailletten. Backstage sagte Browne nach der Show: „“Ich habe einfach das getan, was ich immer tue, aber es auf ein Niveau gebracht, das es wert war, diese Woche gezeigt zu werden.“

DIOR

Maria Grazia Chiuris Vorbereitung auf Diors neue Couture-Kollektion war ein Studium von Abbildern verschiedenster Göttinnen. Was dabei herauskam: 66 bodenlange und fließende Looks, vornehmlich bestehend aus Kleidern, Tuniken und Capes und gehalten ausschließlich in neutralen Farben (Weiß, Beige, Grau, abgetöntes Gold). Auf den ersten Blick ziemlich clean und minimalistisch, auf den zweiten Blick maximal detailliert. Einsätze von Spitze, Perlen- und Schmuckstein-Stickereien und Plisseefalten sind in teils Hunderten Stunden Handarbeit gefertigt worden. Wie viel Aufwand und Hingabe in der Kollektion steckt, sollte dieses Mal schon vor der Show die Location zum Ausdruck bringen. Deren Innenwände wurden von der italienischen Künstlerin Marta Roberti in Zusammenarbeit mit der Chanakya School of Crafts aus Mumbai gestaltet (mit dem Atelier für uralte Handstickereien arbeitet Dior seit 2020 für das Prèt-â-Porter und die Haute Couture zusammen). Roberti lieferte Zeichnungen von Göttinen, Tieren und Landschaften. Chanakya erweckte, pardon, bestickte sie zum Leben. Maria Grazia Chiuri nutzt Mode damit einmal mehr, um Frauen eine große Bühne zu bieten.

The Chanakya workshop in Mumbai, India. Images shot for Christian Dior Couture

DIOR

Aquatic Architecture and Bionic Innovations  Iris van Herpen

Schiaparelli

Vergangene Saison zeigte Daniel Roseberry für Schiaparelli Abendroben mit ultra-realistisch anmutenden Tierköpfen am Dekolleté. Skandal! Und dann irgendwie doch wieder keiner, weil das Haus nun mal seit je her für textilen Surrealismus steht. Grenz- und Kontextüberschreitungen wurden in der Vergangenheit auch immer wieder selbst von namhaften Künstlern angetrieben, mit denen Schiaparelli zusammenarbeitete. Ihnen setze Roseberry mit seiner neuen Couture-Kollektion nun eine Art Denkmal. Lucian Freuds bemaltes Atelier stand zum Beispiel Pate für ein Kleid aus einem unregelmäßigen Mosaik aus Pinselstrich- und Farbflächen-Patches. Das Blau von Yves Klein färbte Origami-Röcke und Schmuck-Details, aber auch einige Körperpartien der Models. Ob reines Bodypaint oder Couture-Piece war auch auf den zweiten Blick nicht direkt ersichtlich. Ein kleines Verwirrspiel, das mittels perspektivischer Darstellung eine perfekte Dreidimensionalität vortäuscht, gehört bei Schiaparelli wohl einfach dazu. 

Alan Schaller, Metropolis 10, 2017; photograph from the Metropolis series
Fashion editorial photographed by Pelle Crépin, “Under the Illusion,” Kinfolk, issue 38, November 2020.
Wing of the CIMAT school of mathematics in Guanajuato, Mexico, designed by architect José Manuel Morán Velázquez, 1980

Quadratisch, praktisch, wirkungsvoll 

Ikonisches bedarf keiner weiteren Erklärung, um alles zu sagen. So ist bis heute auf den ersten Blick ersichtlich, dass Architekt José Manuel Morán Velázquez dem Bauhaus folgte, als er 1980 das Mathematik-Forschungszentrum im mexikanischen Guanajuato entwarf. Klare, symmetrische Formen ließ er mit den Komplementärfarben des rot-orangenen Gebäudes und dem blauen Himmel kontrastieren. Dabei ist das Bauhaus mehr als reiner Pragmatismus. „Form follows function“, lautet der Leitsatz der in Deutschland gegründeten Kunstschule: Die Form ergibt sich aus der Funktion und schaffen ihren eigenen Stil. Bis heute bestimmt diese Idee weltweit die Ästhetik der Moderne. Diese und weitere vom Bauhaus geprägte Arbeiten aus Architektur, Kunst und Mode, sind jetzt im Bildband „Bauhaus Style“ von Assouline zu sehen. Mateo Kries vom Vitra Design Museum kuratierte.

 

Neue Linienführung

Die Beziehung vom Körper zur Mode und was zwischen beiden passieren kann, ist das, was Jonathan Anderson antreibt. Seine Loewe-Kollektion für den nächsten Sommer ist reduzierter als sonst, aber nicht weniger beeindruckend. Im Fokus stehen ausgestellte Hosen, die bis über den Bauchnabel reichen. Ihr Betrachter soll sich vorkommen, als schaue er aus der Froschperspektive auf sie. Der Effekt einer sich künstlich verlängernden Silhouette wird durch Kurzjacken oder in den Hosen steckenden Strickpullover zusätzlich verstärkt. Als Highlights gibt es reich mit Glitzersteinen versehene Jeans und Polos. Und Long-Tops aus Wildleder, die wie verwachsen mit den dazu passende Schultertaschen erscheinen. Der Look überzeugt auf langer Linie!

 

HERMÈS

Perforierte (Tank-)Tops, extrakurze Shorts und Sakkos so dünn, dass die Haut durchscheint: Veronique Nichanians Hermès-Kollektion ist wie gemacht für die ganz heißen Tage.

 

 

WHITE MOUNTAINEERING

Tragbar, funktional, begehrenswert: Yosuke Aizawa entwirft für White Mountaineering Outdoor-Mode mit einem so hohen Design-Anspruch, dass die Grenzen zwischen Laufsteg und Trekkingpfad im nächsten Sommer vollends aufgehoben werden.

Hype und Handwerk

Fünf Jahre verantwortet Kim Jones jetzt schon die Herrenlinie von Dior. Seitdem toppt eine Show die nächste; zuletzt vor den Pyramiden von Giseh. Die Mode ist beliebt bei Männern von Prinz Harry bis Lil Nas X. Die Umsätze zeigen steil nach oben. Logisch, dass Jones zu seinem kleinen Mitarbeiterjubiläum nun etwas ganz Besonderes zeigen wollte. Der Laufsteg nicht wie sonst erhöht, sondern eine graue Fläche aus quadratischen Bodenplatten. Als das Licht erlischt und die Show beginnt, öffnen sich wie von Zauberhand 51 der Quadrate und ebenso viele Models werden wie Rockstars auf einem Konzert aus dem Untergrund gefahren. Nach und nach absolvieren sie ihren Lauf vorbei am Publikum, in der ersten Reihe Amanda Lear, Demi Moore und Aaron Piper.

Fließend glatte und leicht aufgeraute Anzüge mit Hosen, deren Beine weit und verkürzt sind. Zwischendurch blitzen mit Schmucksteinen bestickte Hemden und Jacken auf. Jones zitiert die Arbeit jener Designer, die vor ihm seinen Job machten: Yves Saint Laurents Silhouette, Marc Bohans Texturen und Gianfranco Ferrés Stickereien. Das Werk des Gründers schwebt über allem. Weshalb Jones immer wieder Diors ikonisches Cannage-Motiv im Großformat auftauchen lässt, zum Beispiel auf Strickpullovern. Die Highlights machen fein changierende bis glitzernde Tweed-Pieces. Inspiriert sind sie von den funkelnden Juwelen und weichen Tweeds, die Christian Dior einst in seiner Couture-Kollektion für den Herbst und Winter 1960 einsetzte. Das Haus steht eben vor allem für eins: meisterliches Handwerk. Jones entwickelt es beständig weiter.

DIOR 

EGONLAB

Schnitte von kantig bis extra soft, Layering, viel Schwarz und Weiß: Egonlab setzt für den nächsten Sommer auf lässigen Minimalismus.

Veränderung im Anzug

„Der arme alte Anzug hat ein ziemlich schlechtes Image: Beerdigungen, Vorstellungsgespräche, Geschäftsleute, Gerichtstermine“, sagt Paul Smith. „Ich habe ihn neu gedacht.“ Doppelreihige Blazer interpretiert er für den nächsten Sommer beispielsweise neu, indem er sie zu kurzen Hosen kombiniert (Riesentrend!). Die lange Zeit für tot erklärte Anzugweste holt er zurück, weil er sie einfach ohne Sakko zu einer passenden Bügelfaltenhose zeigt. Und unter schnöde graue Zweiteiler zieht er, klar, einen seiner Klassiker: ein Shirt mit Streifen. „Die Schneiderei wird oft als ernste Angelegenheit angesehen. Ich wollte den Leuten schon immer zeigen, wie viel Spaß man damit haben kann“, sagt Smith. Es ist ihm gelungen.

GIVENCHY

Bermuda-Shorts zu Bomberjacken, Smokings mit Baggy-Pants und Funktionsjacken über Banker-Suits? Matthew M. Williams lässt für Givenchy erneut Gentleman-Mode auf Alltagskultur treffen. 

AMI

Leichtigkeit soll Alexandre Mattiussis Kollektion für AMI im nächsten Sommer versprühen. Die Teile sind deshalb luftig und reduziert. Mit den Menschen, die sie auf dem Laufsteg präsentierten, trug der Designer dafür umso dicker auf: Der Schauspieler Vincent Cassel eröffnete die Show, es folgten die Topmodels Saskia de Brauw, Clément Chabernaud und Guinevere van Seenus.

Schneiderkunst und ein bisschen Glitzer

Für Dries Van Noten entsteht Eleganz dann, wenn Menschen ihre Kleidung lange tragen und lieben. Bewahren zählt für ihn mehr als der Hype um schnelle Trends. Seine Männerkollektion für den kommenden Sommer beschreibt er nun als Studie der Eleganz. „Wir haben uns gefragt: Was ist Männlichkeit heute? Wie können wir Eleganz auch für die Jugend interessant machen?“ Die Antwort: mit schmal-fließenden Anzügen, flattrigen Hemden, hier und da Pailletten in Form von Shorts und Shirts und dazu immer wieder Jacken, die so gefärbt und gewaschen sind, als wären sie schon Jahre getragen und der Sonne ausgesetzt. Viel Soft-Tailoring, ein bisschen Pop und Streetwear.

LGN LOUIS GABRIEL NOUCHI

Von den Mods inspirierte Jacken und Mäntel, Sakkos und gerade Hosen: die Sixties für den Sommer 24!

Walter Van Beirendonck

„Die Welt um uns herum verändert sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit – und es fühlt sich an, als ob wir die Crashtest-Dummys sind.“

Walter Van Beirendonck

SHOWTIME!

 

Es ist die wichtigste Show der Saison, wenn nicht des Jahres. Manche sagen sogar, es sei die wichtigste Show dieses Jahrzehnts. Mit Pharrell Williams hat am Dienstagabend erstmals ein Mensch aus der Musik-und-Entertainment-Branche als Kreativdirektor eines Luxusmodehauses eine Kollektion gezeigt. Um genau zu sein: als Kreativdirektor des größten Luxusmodehauses, das es auf diesem Planeten gibt. Louis Vuitton. Im Februar wurde bekannt, dass Williams die Herrenlinie verantworten und damit die Nachfolge des im November 2021 verstorbenen Virgil Abloh antreten wird. Kritiker bemängelten schnell, dass Williams keine große Modekompetenz besäße. Nirgendwo aber steht geschrieben, dass man das Fach studiert haben muss, um es zu beherrschen. Und Williams hat schon in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er modisch etwas kann: ob als Botschafter für übergroße Vivienne-Westwood-Hüte, Muse von Karl Lagerfeld oder zuletzt Chef seines eigenen Modelabels. „Ich war nicht am Central Saint Martins. Aber ich war auch nicht an der Juilliard, um Musik zu studieren. Und ich bin ganz gut zurechtgekommen“, gab er in einem Interview mit der amerikanischen Vogue ein paar Tage vor der Show zu Protokoll. Klingt nach hohen Ansprüchen an sich selbst?

Als Laufsteg wählte Williams den Pont Neuf, also die älteste noch im Originalzustand erhaltene Brücke über der Seine in Paris. Gleich um die Ecke liegt das Hauptquartier von Louis Vuitton. In der ersten Reihe Menschen, die Freunde, Kollegen und Superstars sind: Beyoncé mit ihrem Mann Jay-Z, Rihanna mit ihrem Mann Asap Rocky, Kim Kardashian, Jared Leto, Zendaya. Und die Kollektion für den nächsten Sommer? Fährt alles an Garderobe auf, was Männer heute so brauchen und wollen: Parkas, Bomberjacken, Jeans, Anzüge, Shorts, Lederjacken, Boots, Crossbody-Bags und Weekender. Die Silhouette ist lässig bis weit. So gut wie alles hat Williams mit Louis Vuittons Damier-Motiv überzogen, jenem ikonischen Schachbrettmuster, das Georges Vuitton 1888 erdachte und bis heute die Taschenklassiker des Hauses schmückt. Hier und da wirkt es wie Pixel (aktuell ein großer Trend!) oder ist mit Camouflage versetzt. Den Mix nennt Williams „Damoflage“. Aus den Initialen von Louis Vuitton macht er an einigen Stellen das Emblem „LVERS“ (Lovers). Kunden und Fans werden ihm die Teile aus den Händen reißen. Kurz nach der Show stehen er und Jay-Z dann auf der Bühne, um mit einer gemeinsamen Performance die After-Show-Party zu eröffnen. Nie war Mode mehr Entertainment als in diesem Moment.

GIORGIO ARMANI

Der Maestro hat sich aufs Wesentliche konzentriert: elegante und fließende Anzüge in Greige bis Mitternachtsblau, dazu Foulards und Statement-Taschen. Mode, die nie aus der Mode kommt!

JW ANDERSON

 

„Stricken ist zu einer Modeerscheinung geworden. Die Kollektion geht zurück zu den Rohmaterialien.“

Jonathan Anderson

CHARLES JEFFREY LOVERBOY

Ein Mix aus historischen Kostümen, Comic-Details und Mustern, die von einer künstlichen Intelligenz entworfen wurden. Ein Clash von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

BRIONI

 Relaxed in der Passform und Konstruktion, tadellos im Handwerk: die Sommer-24-Silhouette des legendären Schneiderhauses.