Der Japaner Koji Yanai hat seiner Heimatstadt Tokio ein einmaliges Projekt geschenkt: Er beauftragte berühmte Architekten und Designer, Toilettenhäuschen zu gestalten.
DAS SCHÖNE ÖRTCHEN
Vor sieben Jahren ging ein Video um die Welt. Die britische Paralympics Association hatte zu den Spielen in Rio de Janeiro einen mitreißenden Film produziert, der jede Kampagne von Barack Obama in den Schatten stellte. „Yes, I can!“ lauteten Titel und Song, Untertitel „We’re the superhumans“. Wenn irgendjemand noch Zweifel an der Power und Lebensfreude von Sportlern mit Behinderung hatte – hier wurden sie im Big-Band-Sound und in Höchstleistungsvideos gut gelaunt weggesungen und versendet. Auch Koji Yanai ließ sich anstecken. Er ist im Aufsichtsrat und Vizepräsident bei Fast Retailing, der Konzernmutter von Uniqlo, wo er das Merchandising und die Produktentwicklung leitet. Sein Vater ist Tadashi Yanai, der Konzerngründer, über 33 Milliarden US-Dollar schwer und einer der mächtigsten Unternehmer Japans.
Nichts davon trägt Koji vor sich her, er steht an einem kalten Dezembertag lässig im dunkelblauen, was sonst, Uniqlo-Pulli und dunkelblauer Hose mit Powerpoint-Fernbedienung und verschmitztem Lächeln auf der Bühne der „Voices“-Konferenz von Business of Fashion in einer Scheune auf dem englischen Land. Die Sessions dieses Morgens stehen unter der Überschrift „Globale Kultur und Kreativität“. Der unglaubliche Erfolg der koreanischen Hallyu-Welle war Thema, die Ghanaer Ekow Barnes (Modeautor) und Campbell Eddy (u.a. Fotograf von Meghan Markle) sprachen über den Einfluss von Bildern auf das Selbstverständnis einer Nation. Die britisch-indische Köchin Asma Khan (Chef’s Table) und amerikanisch-koreanische Köchin, Bestseller-Autorin und TV-Persönlichkeit Judy Joo (Restaurant „Seoul Bird“ in London) diskutierten den interkulturellen Einfluss von Essen. Und dann kam Koji Yanai mit seinem Vortrag zum „Tokyo Toilet Project“. Mit allem hatte man gerechnet, aber nicht damit, dass es tatsächlich um öffentliche WC-Anlagen gehen würde.
Doch genau dazu hatte das „Yes, I can“-Video geführt. Als er es sah, war Koji fasziniert und inspiriert, den Sport generell und im Besonderen die Paralympics 2021 in Tokio zu unterstützen. Er diskutierte darüber mit Shingo Kunieda, dem Superstar unter den Rollstuhl-Tennisspielern, der allein 50 Grand-Slam-Turniere gewonnen und erst Anfang dieses Jahres seinen Rücktritt vom Sport bekannt gegeben hat. Der Athlet, nebenbei auch Global Ambassador von Uniqlo, dämpfte umgehend die Euphorie von Yanai. Im Gegenteil, er sei nicht überzeugt gewesen, dass Tokio der richtige Platz für diese Spiele sei, da die Stadt nicht besonders behindertenfreundlich sei. „Ich war enttäuscht. Aber es war auch ein Aha-Moment“, so Yanai. „Denn als ich hörte, womit Behinderte zu kämpfen haben, korrigierte das meine Einstellungen vielen Dingen gegenüber.“ Also beschloss er zunächst, eigens für Behinderte Einrichtungen zu schaffen, die bei anderen einen Moment des Neids auslösen würden. Doch der Gedanke hielt sich nicht lange. Der Slogan des Vaters verdrängte ihn: „Das Besondere hat seinen Reiz, aber wichtiger ist das, wovon alle etwas haben.“ Das Gründungsprinzip von Fast Retailing. Etwas für alle zu kreieren, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung, Politik, Religionszugehörigkeit. „Warum also nicht mein ganz persönliches Projekt auf dieser Idee aufbauen?“ Und der Erkenntnis: „Manchmal schaffen wir es den ganzen Tag nicht, richtig zu essen. Aber es gibt nicht einen Tag, an dem ich nicht zur Toilette gehe.“ Dem genierten Gelächter des Publikums bei seinem Vortrag folgte schnell Begeisterung angesichts der Überlegung, die Yanai schließlich umsetzte.
„Warum nicht endlich schöne öffentliche Toiletten?“
Denn wenn es etwas gab, wo die berühmte Gastfreundschaft der Japaner an ihre Grenzen stieß, waren es die dunklen, unappetitlichen Räumlichkeiten, für Behinderte nicht zugänglich, für Frauen oft gefährlich. Von John Maeda, dem CEO des Softwareunternehmens Everbridge und früheren Präsidenten der Rhode Island Design Schule, stammt das Zitat: „Design ist eine Lösung des Problems. Kunst ist eine Frage an das Problem.“ Getreu dieser Devise beauftragte Yanai also 16 Architekten und Designer mit Entwürfen für nie dagewesene Toiletten im öffentlichen Raum. Stars wie Tadao Ando, Kengo Kuma, Kazoo Sato aber auch Marc Newson. Die Ergebnisse sind im Stadtteil Shibuya, einem belebten Shopping- und Finanzzentrum zu besichtigen und natürlich zu benutzen. Dreimal täglich gereinigt von Angestellten in frischem Blaumann mit blütenweißem „Tokyo Toilet Project“-Schriftzug. Orte wie das gläserne Häuschen der Haru-no-Ogawa Community von Shigeru Ban, dessen „Smartglas“ sich nur bei Benutzung automatisch blickdicht färbt (und auf Zuruf funktioniert), ansonsten einsehbar ist, um Kriminalität vorzubeugen – und noch einen geradezu touristischen Effekt hat: draußen Neugier, drinnen Privatheit. 2020 wurde das Tokyo Toilet Project mit dem Hall of Fame Award der World Toilet Organization ausgezeichnet. Ein Jahr später als eines der „einflussreichsten Projekte“.
„Ein Problem benennen, ein Problem lösen, das ist Innovation“, lautet Koji Yanais Devise. Zudem dürften die 17 ganz unterschiedlichen Entwürfe durchaus symbolisch verstanden werden. Öffentliche Örtchen für alle. Bei aller Faszination, Pflege und städtebaulicher Vision sieht der Stifter gleichwohl die ganz banale, unschöne Alltäglichkeit: Vandalismus macht selbst vor Kunstprojekten nicht halt. Deswegen hat er den in Japan sehr verehrten Wim Wenders im vergangenen Jahr beauftragt, einen besonderen Film über das Projekt zu drehen, der auch in den Räumlichkeiten abgespielt werden kann. Der vielfach ausgezeichnete Schauspieler Koji Yakusho spielt die Hauptrolle. Im Mai soll er veröffentlicht werden. Thema: „Eine Toilette ist vielleicht ein Ort, wo wir verstehen lernen, dass wir alle gleich sind.“