Umgehängt

Natürlich möchte eine Designerin mit ihren Entwürfen Aufmerksamkeit erregen. Aber nicht an der Sicherheitskontrolle eines Flughafens. Was dann passiert, das erlebte Seok Jeong-hye vor einigen Jahren, als sie am New Yorker Flughafen John F. Kennedy mit einer Tasche ihres Labels Vunque das Abfluggate erreichen wollte. Bei der Sicherheitskontrolle hielt man sie an: Das Metallelement dort, wo die Tasche mit einer Schnalle geschlossen wird, sah verdächtig nach einer Rasierklinge aus.

Das sollte es auch. Das Detail ist ein charakteristisches Element der Vunque-Taschen, die in Südkorea zu den beliebtesten Accessoires eines lokalen Labels gehören. Seok Jeong-hye kann heute über den Zwischenfall lachen, auch wenn sie danach mit dem Gedanken spielte, auf das Rasierklingen-Design zu verzichten. „Aber es hat sich gezeigt, dass die Kunden doch sehr daran hängen“, sagt sie. Jede Luxusmarke braucht eben etwas, das sie einzigartig macht, das weiß die Designerin genau. Seok empfängt in ihrem Studio im Seongdong-Viertel von Seoul. Von ihrem Schreibtisch aus blickt sie durch deckenhohe Fenster auf den Kanal jenseits der Straße, Moodboards kleben an der Wand, und der Coffee-to-go-Becher, wichtigstes Accessoire viel beschäftigter koreanischer Großstädter, steht auf dem Besprechungstisch. Sie trägt eine weiße Bluse mit großem Volant an der Vorderseite, darüber eine schwarze Strickjacke mit Perlenstickerei und schwarze Hosen. „Früher haben mich die Menschen immer auf meinen Kleidungsstil angesprochen. Deswegen habe ich letztlich eine Karriere in der Mode begonnen.“

Und die währt nun schon seit den 90er-Jahren. Dass koreanische Frauen ihr Geld mehr und mehr auch in koreanische Lederwaren-Marken investieren und nicht nur in die Klassiker von Chanel oder Hermès, ist auch Seok Jeong-hye zu verdanken. Nach dem Studium entwarf sie zunächst Schmuck und kleinere Accessoires für andere Unternehmen, startete ihr erstes Taschenlabel namens Couronne und verkaufte es 2010 an den Textil- und Chemikalien-Konzern Kolon Industries. Sieben Jahre lang arbeitete sie als Managerin für den Konzern und als Chefdesignerin für Couronne und hatte damit so großen Erfolg, dass die Marke fast 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr machte. Später wechselte sie zu Shinsegae, dem Lifestyle-Konzern, dem mehrere Shoppingmalls in Seoul gehören, wo sie ebenfalls ein Label aufbauen sollte. „Aber ich war irgendwann nicht mehr glücklich damit, in einem großen Unternehmen zu arbeiten, und wollte wieder mein eigenes Ding machen.“ So entstand im Jahr 2018 Vunque. Unaufgeregte, alltagstaugliche Taschen, die durch ihre Farben und ungewöhnliche Formen auffallen. So wie die „Toque“: ein Modell, dessen Ecken am Boden zu beiden Seiten hin scharf ausscheren, wie die Krempe eines Hutes.

Seok Jeong-hye im Showroom

Eine Marke aufzubauen ist ohnehin kein leichtes Unterfangen, und viel Unterstützung bekam Seok von ihrem Umfeld trotz ihres Erfolgs nicht. „Ich glaube, die Menschen haben oft gedacht, dass ich einfach nur Glück hatte“, sagt sie. Auf die Frage, wie schwer oder leicht man es als Geschäftsfrau in Südkorea habe, antwortet sie ausweichend. „Ich konzentriere mich einfach auf die Arbeit.“ Und in der wagt sie oft was, das beweist auch die Rasierklinge: „Sie spielt auf ein philosophisches Prinzip namens ‚Occams Rasierkinge‘ an, was vereinfacht bedeutet, dass die einfachste Lösung meist die beste ist“, sagt Seok. Die Einfachheit ihrer Designs, die alle in Korea hergestellt werden, spiegelt auch ihren persönlichen Geschmack wider. Bis heute trägt sie alte Jil-Sander-Entwürfe, die sie in den 90er-Jahren gekauft hat, und eine ihrer ersten Designer-Taschen war ein Nylon-Modell von Prada aus derselben Dekade, für das sie fast ein gesamtes Monatsgehalt bezahlte. „Ich habe mir damals absichtlich eine Tasche ausgesucht, die nicht jeder hatte“, erinnert sie sich. Jeong-hye Seok sticht gern heraus, aber sie weiß, dass ein individueller Stil nicht allen koreanischen Frauen wichtig ist. „Eine Tasche wird oft als Statussymbol gesehen, sie muss zeigen, was du hast und wer du bist“, sagt sie.

„Es ist weder koreanisch noch westlich. Es ist eben etwas ganz eigenes, und ich glaube, eben das wollen die Kunden.“

Und doch beobachtet sie, dass sich Frauen zunehmend auch mit einem Label wie Vunque identifizieren, dessen Ästhetik die Gründerin als „mehrdeutig“ bezeichnet. „Es ist weder koreanisch noch westlich. Es ist eben etwas ganz Eigenes, und ich glaube, ebendas wollen die Kunden.“ Vunque lanciert zwischen 100 und 130 Modelle pro Saison und füttert die Fan-Gemeinde jede Woche mit einem „Wednesday Drop“, also einem neuen exklusiven Modell an einem Mittwoch. Dass viele Kundinnen gleich mehrere Taschen kaufen, dürfte auch an ihrem Preis liegen, zwischen 200 und 400 US-Dollar. „Viel zu billig“, sagt Seok Jeong-hye und lacht. Sie ist eben eine Geschäftsfrau und als solche gönnt sie sich selten eine Pause. Viel Zeit verbringt sie in Los Angeles. „Eigentlich möchte ich dort abschalten und mich entspannen“, sagt sie. „Aber am Ende fallen mir dort die besten Ideen ein.“

Text
Silvia Ihring
Fotos
Si-Young Song