Auf den Spuren des schönen Lebens

SAN SEBASTIÁN Calling

Hotel de Londres y de Inglaterra

Jenen Winter verbrachten wir da, wo die spanische Königin einst ihre Sommer verbrachte. Wir wohnten in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer und tranken Martinis in der Hotelbar. Es war eine schöne Bar mit rotem Samt und Messing, die Kellner trugen Manschettenknöpfe und verteilten Häppchen. Die Bar war lang und hatte Polster auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen konnte oder einfach nichts sagte und stumm stützte und dasaß und durch den Raum hinaus aufs Meer blickte. Das Hotel lag in der Mitte einer Bucht und auf den Armen der Bucht standen einzelne Häuser, die auf uns und die Bucht zurückblickten. Wenn der Sand bei Ebbe hart war, spazierten wir am Strand zum Ende der Bucht und den einzelnen Häusern und wieder zurück.

Wir gewöhnten uns sehr an die Spaziergänge und liebten unsere Routine. Morgens lagen wir lange da, taten alles, machten nichts und schauten aus dem Fenster hinaus aufs Meer. Wir frühstückten. Wir lasen die Zeitung in der Lobby und erfuhren, dass alle ehemaligen ETA-Terroristen in die Politik gegangen wären. Seitdem blühe die Stadt wieder auf, trotz des vielen Regens. Das Wetter der Stadt war meistens schlecht, aber die Stadt war schön im Regen und die Restaurants hatten alle Sterne, zusammen mehr Michelin-Sterne als Paris und eine der höchsten Dichten an Sterne-Restaurants weltweit. Das lag wahrscheinlich an der spanischen Königin, die samt Aristokratenpack hier ihre Sommer verbrachte, dachten wir. Nachts gingen wir Tanzen. Es waren einsame baskische Diskos. Wenn wir tagsüber zu viel Martini getrunken hatten, badeten wir im Meer. Dann gingen wir auf unser Zimmer, wickelten uns in Bademäntel ein, rubbelten uns trocken und bestellten mehr Martini aufs Zimmer. Einmal sind wir mit dem Riesenrad gefahren. Unter uns lag die Stadt, der kleine Teil des Universums, den wir uns einen Winter lang teilten.

Nachtzug nach Lissabon

Wir gewöhnten uns sehr an den Ausblick aus unserem Zimmer. Und als der Tag unserer Abreise kam, waren wir traurig, so als würden wir etwas in diesem Ausblick zurücklassen. Das Riesenrad und das Baden im Martini. Es war ein schöner Ausblick, der weit über das Angucken hinausging und viel Glanz in die Fassaden der Häuser gebrachte hatte. Am Wochenende, an dem die Tamborrada begann, ein Fest zu Ehren der Stadt, welches an den spanischen Unabhängigkeitskrieg erinnert, verließen wir die Stadt. Im Festsaal des Hotels probten gerade 160 Trommler, viele waren Angestellte des Hotels. Einige von ihnen waren sehr traurig, dass wir gingen und hörten für einen Augenblick auf zu trommeln. Vor allem der Kellner mit den grauen Koteletten von der Bar und unser Zimmermädchen, dem ich immer nackt die Tür öffnete, wenn es uns neuen Martini aufs Zimmer brachte. Am Anfang hatte sie sich herrlich erschrocken, irgendwann hielt sie nur noch die Hand rein und sagte Santa madre de Dios. Die Basken liebten uns in diesem Winter und wir liebten uns und die Basken. Ich dachte an all die guten Steaks, die wir den Winter über gemeinsam gegessen hatten.

„Die Quittung eines Abendessens sagt mehr als tausend Worte“

sagte ich zu ihr, als wir den Bahnhof erreichten. Ich zeigte ihr eine alte Rechnung, die ich in meinem Mantel gefunden hatte. Auf ihr standen zwei Flaschen Rioja, Venusmuscheln auf Bulhão Pato-Art, Brot, Chuleta de viejo, zwei Kaffee.

Mit jedem Kilometer, durch den uns der Zug weiter aus diesem Leben fuhr, wurde dieses Leben zu einer Erinnerung und diese Erinnerung zu Träumen. Wir machten die Steaks größer, als sie waren, ließen die Riesenräder in den Himmel wachsen und die verregneten Tage in unseren Erzählungen doch noch sonnig werden. Die Berge fuhren an uns vorbei und wir teilten uns eine Pritsche. So ein Nachtzug, dachte ich, ist eine grandiose Abwechslung, ein natürliches Reisen, ein sanfter Übergang. Gletscher werden nicht einfach so zur Wüste. Die Landschaft verändert sich, aber mit einer Geschwindigkeit, der man noch glauben kann. Einsteigen, Ziel erreicht, ist nicht mehr hier, aber auch immer noch nicht da. Man ist unterwegs. Sitzend oder liegend, aber in Bewegung. Das Ruckeln kann man sich schön trinken.

Über den Autor

Konstantin Arnold (31) ist freier Autor, lebt in Lissabon und schreibt für Tageszeitungen und Magazine, um sich freitags gute Oliven und portugiesischen Rotwein leisten zu können. 

Im Dezember 2020 erschien sein erstes Buch Libertin – Briefe aus Lissabon im Proof Verlag, das unter gleichem Titel verfilmt werden soll. Thema ist die innere Reise eines Künstlers, die Suche nach sich selbst und nach Wahrwerdung, voller Leben oder einer Vorstellung von Leben und dem Zwang, dieser Vorstellung gerecht zu werden. Es ist eine Liebeserklärung an eine Stadt, hinter der sich die Liebesgeschichte zu einem portugiesischen Mädchen verbirgt, das ihn zum Mann macht und an den Abgrund des Lebens stellt. Da, wo er wie er gerne sagt, die Aussicht am schönsten ist.

Trotz seiner großen Liebe für und in Lissabon zieht es den Kosmopoliten immer wieder hinaus in die Grand Hotels und Eckkneipen dieser Welt. Beides Bühnen, auf denen sich seine Geschichten sehr gerne abspielen. Es geht um Liebe, Lissabon, Literatur, viele Worte mit L und Wein. 

Text und Bilder
Konstantin Arnold