Stararchitekt Frank Gehry hat für Louis Vuitton einen Flakon entworfen. Wir sprachen darüber mit dem Hausparfümeur Jacques Cavallier Belletrud.
GUT GEKNÜLLT, FRANK!
Schwindelfrei sollte man sein. Ein gläserner Fußboden gibt den Blick auf einen kleinen Wasserfall frei, der sich seinen Weg durch das Gestein sucht. Jacques Cavallier Belletrud schaut amüsiert dabei zu, wie sich einige Journalistinnen eher zögerlich über das Glas bewegen. Der Präsentationsraum befindet sich in einer umgebauten alten Wassermühle oberhalb der Altstadt von Grasse auf dem Gelände der Les Fontaines Parfumées. Dem Ort also, den Louis Vuitton 2011 für seine Parfümsparte eröffnete. „Absolut einmalig, nur wir haben mitten in Grasse unsere Kreativzentrale“, sagt der Hausparfümeur. Im 17. Jahrhundert wurde hier Leder gegerbt, dafür brauchte es viel Wasser, die Quelle ist nur 200 Meter entfernt. Deshalb gab es hier den ersten Brunnen der Stadt. Mit dem Glasboden wollte Cavallier „sichtbar machen, dass Wasser für unsere Kreationen, aber vor allem für den Planeten unerlässlich ist. Deswegen ist mein Ziel, eines Tages bei der Parfümherstellung weniger Wasser zu verwenden.“
Schon seinerzeit wurde das Wasser, das von hier weiter zur Stadt floss, mit Blüten-Destillationen parfümiert, um den Gestank des gegerbten Leders zu übertünchen. „Grasse duftete damals nach Orangenblüten.“ Eine herrliche Vorstellung. Heute weht immerhin ein Hauch von Jasmin durch die Luft, denn Jacques Cavallier ließ als eine seiner ersten Amtshandlungen ein Jasmin-Feld im Garten anlegen. Noch reiche die Menge aber nicht aus, um seine Düfte damit zu produzieren, doch der 59-Jährige schaut immer auch voraus.
Die Eröffnung der Zentrale ging einher mit dem Einstieg in den Parfümmarkt von Louis Vuitton. „Jedes Mal, wenn wir ein neues Metier eröffnen, gehen wir dorthin, wo man das beste Know-how und die beste Handwerkskunst hat. Für Parfüms ist das eben Grasse, von 50.000 Einwohnern arbeiten 5000 Menschen in der Parfümindustrie“, erklärt der Hausherr, der seinen Eltern bereits mit acht Jahren ankündigte, eine Nase werden zu wollen. Die waren nicht weiter verwundert. Jacques ist Parfümeur in fünfter Generation, Tochter Camille folgt ihm bereits.
In der Liga, in der Cavallier und Louis Vuitton spielen, herrscht kein Druck, ständig Neuheiten auf den Markt zu bringen. Sie seien nicht Marketing getrieben, müssen weder dem Mainstream noch Umfragen Tribut zollen. Sie müssen sich auch keinen Platz in den Parfümerieregalen erkämpfen, denn, sie sind nur in den hauseigenen Boutiquen erhältlich. „Uns sind keine Grenzen gesetzt. Das ist fantastisch.“
Viel mehr gilt es, die Grenzen des Anspruchs zu sprengen. Zum 200. Geburtstag des Unternehmensgründers hat Cavallier sich einen besonderen Freund des Hauses an die Seite geholt. Stararchitekt Frank Gehry, der auch das Privatmuseum Fondation Louis Vuitton im Pariser Bois de Boulogne konstruiert hat, entwarf nun einen kunstvollen Flakon für fünf neue, natürlich besondere Düfte. „Schon lange wollte ich ein Extrait de Parfum kreieren“, sagt Cavallier und wird sentimental, schon seine Mutter nahm zu besonderen Anlässen immer ein bis zwei der kostbaren Tropfen. „Zu meiner Enttäuschung stellte ich fest, dass es heute nicht mehr viele Extraits auf dem Markt gibt.“
Seinen bereits bestehenden Parfüms einfach mehr Intensität zu verpassen war keine Option. Da musste er nicht lange drüber nachdenken. „Diese Parfüms sind perfekt, und es ist nicht nötig, ihnen eine höhere Konzentration zu geben. Also habe ich ein neues Konzept entwickelt.“ Er werkelte in seinem Büro mit Blick über Grasse vor sich hin und präsentierte das Ergebnis Delphine Arnault (Executive Vice President Louis Vuitton) und Michael Burke (CEO). Alle drei waren sich einig, dass nur Gehry den Flakon entwerfen könne. Etwas komplett Neues in seiner langen Karriere. „Als ich ihn fragte, hat er sofort zugesagt. Ich bewundere Frank schon seit Langem, besuchte damals einmal Monat die Baustelle der Fondation Louis Vuitton, verfolgte jeden Fortschritt.“
Pandemiebedingt trafen sich die Männer nur via Zoom, Gehry in L.A., Cavallier in Grasse, und sprachen virtuell über ihre gemeinsame Inspiration: die Natur. „Der beste Parfümeur der Welt ist schließlich der Wind“, erklärt der Franzose und lacht. Der Flakon des 92-Jährigen geht in seiner Form auf den von Marc Newson gestalteten Original-Flakon zurück, in dem die anderen Parfüms abgefüllt werden. Gehry verwandelte die gerade Seitenlinie in eine Ellipse, ein Segel im Wind. Für den Verschluss zerknüllte er Aluminiumblech wie ein Stück Stoff. Es könnte eine Rose sein. Oder eine Fantasie. In jeder Hinsicht ein gewichtiges Objekt.