Louis Vuitton Spring/Summer 2022

Bugs Money

vs.

Marie-Antoinette

Bei fast keiner Pariser Modenschau lohnt es sich mehr, deutlich früher zu erscheinen als bei Louis Vuitton. So hat man nämlich genug Zeit, sich die Menschen um einen herum genauer anzuschauen und sich wie Bolle zu amüsieren. Kaum ein Haus hat dermaßen viele Anhänger, die ihre glühende Verehrung so extrem zur Schau stellen. Logos, wohin das Auge reicht: Groß und plakativ, quer über die Brust oder den Rücken. Klein und hundertfach auf Schuhen und Anglerhüten, Taschen, Schmuck und Gürteln. Selbst auf Jogginghosen! Da davon auszugehen ist, dass sich kein Gast traut, mit einer Fälschung beim echten Louis Vuitton aufzutauchen, muss es wohl so sein, dass das Luxushaus solch banale Beinkleider wirklich verkauft. Nur warum gibt es Menschen, die geschätzt 1200 Euro für eine echte Louis-Vuitton-Jogginghose ausgeben, die aussieht, als sei sie eine Fälschung von einem Straßenmarkt in Asien oder Nordafrika? Die Logomania jedenfalls erreicht bei Louis-Vuitton-Schauen Ausmaße, die an eine Fankurve bei einem Champions-League-Finale erinnert.

So auch dieses Mal: Eine halbe Stunde vor Beginn der Show füllte sich der Platz vorm Louvre und der Pyramide mit aufmerksamkeitsbedürftigen Menschen, die sich vor jeder Kamera in Pose warfen, die sich auf sie richtete. Den Vogel schoss eine Gästegruppe aus Italien ab: Sie in einem mit Häkeltierpuppen verzierten Sweatshirt-Hoodie, bei dem die Maus tatsächlich einen LV-Fanschal trägt, die andere mit einem in braunem LV-Canvas gehüllten, riesigen Privatflugzeug als Handtasche, passend zum restlichen Outfit. Er in einem Jeans-Anzug in Damier-Muster und einer orangefarbenen, logogeschmückten Karottentasche von Virgil Abloh. „Only made by order”, raunte er im Vorbeigehen.

Bugs Money lässt grüßen.

Der Kontrast dieses schrägen Spektakels zur drinnen gezeigten Kollektion von Nicolas Ghesquière könnte nicht größer sein: So feierlich, ernst, majestätisch und haute-couturig hat man ihn selten gesehen. Zum 200. Geburtstag von Markengründer Louis Vuitton ließ er sich zu einem „Großen Ball der Zeiten“ inspirieren. Schon die dafür installierten Kristalllüster in der Passage Richelieu funkelten in royaler Pracht. Der Ort war nicht zufällig gewählt: Hier soll sich Louis Vuitton mit Kaiserin Eugénie stets zu Besprechungen getroffen haben, die erste VIP-Kundin, für die er das Reisegepäck entwarf. Zu Glockengeläut und Kirchenorgeln erschienen die ersten Modelle in langen Röcken und breit ausgestellten Paniers à la Marie-Antoinette. Eine Rokoko-Silhouette, die trotzdem ganz zeitgenössisch wirkt: Die Paniers à la Ghesquière sind nicht steif, sondern wippen dynamisch mit jedem Schritt und statt einer Korsage tragen die Models dazu locker fallende, zart bestickte Hängerchen und bunte, flache Peep-Toes aus Satin, halb Sneaker, halb Schnürstiefel.

Es folgten Jeans mit Schleppen oder Haute-Couture-haften, bodenlangen Oberkleidern, Oversize-Blazer und in aufwändiger Mischtechnik gegliederte Spitzentops mit halskrausenartigen Reiterkrawatten, zu der robuste Jodhpurhosen getragen werden. Und Capes, viele, viele Capes, die an einen Ball bei Dracula denken ließen.

„Ich mag die Figur des Vampirs, der durch die Jahrhunderte reist und sich den Dresscodes der jeweiligen Zeit anpasst“

schreibt Ghesquière in der Produktionsnotiz. Eine opulente, märchenhafte Zeitreise, die vielleicht auch in die Zukunft zeigt: Will Louis Vuitton etwa in die Königsklasse der Haute Couture aufsteigen?

Text
Silke Bender