IM GESPRÄCH

Reiner Wein

Kann man erklären, was in der Franciacorta passiert? Eigentlich nicht. Drei Winzer versuchen es trotzdem.Ein Gespräch über die Kunst, sein Schicksal in die Hände der Natur zu legen und dabei trotzdem selbst anzupacken.

Ein Glas Wein verbindet. Die Erkenntnis klingt banal, aber an diesem Tag beweist sie, welche Kraft in ihr steckt: Laura Gatti, Riccardo Ricci Curbastro und Maurizio Zanella sind drei von rund 120 Winzern, die sich in der Franciacorta der Produktion besten Schaumweins widmen. In der norditalienischen Region wird dabei nach Standards gearbeitet, die sich selbst in der Champagne nicht bei jedem Hersteller finden; so erfolgt die Traubenernte überall ausschließlich per Hand. Zum Gespräch haben die drei in ihr Hauptquartier in der Nähe von Brescia geladen, ein typisches Gebäude mit Rundbögen. Zum Wein tischen sie unter anderem Kalb, Gnocchi und Steinbutt auf. Zwei Schlückchen später ist man mitten in der Diskussion.

Drei, die Wein leben: Laura Gatti, Maurizio Zanella und Riccardo Ricci Curbastro

Herr Zanella, auf Ihrem Gut Ca’ del Bosco hängt in der Produktion ein Plastik-Nashorn an der Decke. Warum eigentlich?

Maurizio Zanella: Das ist ganz einfach. In der Halle dominieren Stahltanks, man könnte sie für eine Öl-Raffinerie halten. Da wollte ich etwas dagegensetzen, das Gefühle weckt, wenn man es sieht. Mir wäre es dort sonst zu steril.

Frau Gatti, Ihr Kollege Zanella sagt gern, das Weinmachen hänge in erster Linie vom „Gentleman im Himmel“ ab, ob er einem passendes Wetter beschere. War dieser Herr in jüngster Zeit ein Gentleman?

Laura Gatti: Wir hatten im Frühjahr zu viel Frost, der Juli war zu trocken, dann hatten wir auch noch einen Sturm. Danach aber wurde es richtig gut. Ich denke, es wird ein sehr harmonischer Jahrgang, der trotzdem einen eigenen Charakter hat.

Wie gehen Sie damit um, die entscheidenden Dinge nicht selbst beeinflussen zu können?

Riccardo Ricci Curbastro: Ich sage gern im Spaß: Wir haben einen Partner, aber der taucht nie in der Firma auf. Man muss es einfach hinnehmen, so ist das Schicksal aller Bauern. Aber wir arbeiten auch an unserer Unabhängigkeit: Vor 20 Jahren konnten wir unseren Boden noch nicht selbst überall bewässern, das ist nun anders. Wir kümmern uns auch um biologischen Anbau, damit die Qualität weiter steigt.

Was muss denn zusammenkommen, damit Sie sagen: „Das ist ein außergewöhnlich guter Wein geworden!“

Zanella: Zunächst einmal bin ich froh, dass Sie nach Wein fragen. Viele andere sprechen lieber über den Schaum, die Perlen. Aber so verstehen wir uns nicht. Wir sind Winzer. Unsere Weine sind mehr als ein Aperitif.

Gatti: Bei Wein geht es zuerst um die Reifung der Trauben. Wir haben das Glück, in einer Region zu leben, die gute Böden und gutes Wetter bietet. Das heißt aber auch, dass wir mit höchstem Respekt handeln müssen. Die Weine, die wir anbieten, spiegeln das Selbstverständnis des Landstrichs wider – und jede Ernte hat noch einmal ihre eigene Identität.

Curbastro: Wer bei uns arbeitet, braucht eine ganz eigene Sensibilität, bei der Weinherstellung geht es mehr um Kunst als um Mathematik. Das fängt auf dem Feld bei der Pflege der Weinstöcke an, geht über die Ernte – und ist beim Mischen der Sorten noch nicht zu Ende.

Gatti: Man braucht Geduld, der Wein muss sich entfalten. Mein Sohn ist jetzt gerade zur Schule gekommen, und ich dachte bei mir: „Himmel, du hast Weine, die sind älter als er, aber noch immer nicht im Handel!“

Welche Seite von Italien soll ein Glas Franciacorta repräsentieren?

Zanella: Zum einen die Kreativität, die in uns steckt, aber auch, dass in unserem Land schon eine lange Tradition im Weinbau existiert.

Curbastro: Uns gibt es erst seit den 60er-Jahren, aber Wein machte man hier schon seit Tausenden Jahren. Leider hatte sich die Idee, etwas wirklich Hochwertiges zu produzieren, lange nicht durchgesetzt, es ging mehr um Masse. Da müssen wir aufholen.

Zanella: Wir sind kleine Hersteller, noch lange nicht da, wo wir gern wären, und wir wissen auch noch nicht alles, was wir wissen sollten. Mich besorgt, dass es in der Weinbranche allgemein immer mehr Menschen gibt, die sich mehr Gedanken über das Marketing als über das Produkt machen. Das zu verhindern ist eine große Aufgabe. Wir haben das Glück, dass unser Produkt nicht wie beispielsweise ein Auto überall auf der
Welt hergestellt werden kann. Deshalb sollten wir uns vor allem darum kümmern, dass eine Flasche Franciacorta als großartiger Wein gilt. Der Rest ergibt sich

Herr Curbastro, Ihre Familie lebt seit 18 Generationen in der Region. Hat diese Verwurzelung eine Bedeutung für Ihr Weingut?

Curbastro: Tradition ist die Summe aller guten Dinge, die in der Vergangenheit erfunden wurden. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir es versäumen, uns mit Innovation zu beschäftigen, neue Märkte zu erschließen und vor allen Dingen den Nachwuchs zu fördern. Ich kann mich also bestimmt nicht auf meinen 18 Generationen ausruhen.

Frau Gatti, wie fühlt es sich an, in einem Geschäft zu arbeiten, das von Männern dominiert wird?

Gatti: Täuschen Sie sich nicht, es sind in den vergangenen Jahren eine Menge Frauen mit einer Menge Ambitionen dazugekommen. Als ich vor 30 Jahren anfing, sah das noch ganz anders aus. Aber Frauen sind besonders sensitiv, sie legen Wert auf andere Details als Männer, es ist deshalb wichtig, dass Platz für uns ist. Wir haben eine neue Note eingebracht, die die traditionelle Männerwelt sehr gut ergänzt.

Wie schaffen Sie es, die Meinungen der vielen Winzer in der Region auszutarieren?

Zanella: Das ist eine sehr gute Frage (lacht).

Curbastro: Italien und Deutschland haben eins gemeinsam: Sie wurden als Nation erst im 19. Jahrhundert geeint, also spät. Das hat seinen Grund, das regionale Selbstverständnis ist in Italien sehr ausgeprägt. Sie können sich also vorstellen, dass es manchmal hoch hergeht, wenn 120 Winzer aufeinandertreffen. Aber es hilft ja nichts, wir müssen miteinander reden.

Gatti: Wir diskutieren und hören zu, dann diskutieren wir weiter, und dann hören wir wieder zu, um weiter zu diskutieren (lacht).

Herr Cubastro sprach eben von biologischem Anbau. Wie steht es um die Nachhaltigkeit?

Zanella: Ich kann nicht verhehlen, dass ich große Probleme mit dem Begriff habe, ich halte ihn für ein Modewort. Viel zu viele Leute behaupten, ihnen liege die Natur am Herzen, aber sie lassen das nicht überprüfen.

Gatti: Ich werde sehr skeptisch, wenn ich Leute höre, die „natürlichen Wein“ versprechen – denn wissen Sie was? So etwas gibt es nicht. Der Mensch hat immer in die Produktion eingegriffen, anders gibt es gar kein Ergebnis. Wenn Sie die Pflanzen nicht beschneiden, werden sie kaum Trauben tragen, wenn Sie sich nach dem Stampfen nicht um die Trauben kümmern, werden sie zu Essig. Solche Slogans führen die Konsumenten in die Irre.

Curbastro: Wenn man Nachhaltigkeit richtig angehen will, steht sie immer auf mehreren Säulen: Einmal dreht es sich darum, möglichst keinen Kunstdünger und Pestizide zu verwenden, aber auch, wie ich mit den Mitarbeitern umgehe ist sehr wichtig. Dafür braucht es Zertifikate, die auf genauen Untersuchungen beruhen, die aber sind noch zu selten. Ich persönlich lege alles offen, was ich tue und lasse, dann kann sich jeder seine Meinung bilden.

Glauben Sie, dass die Pandemie bei den Winzern ein Umdenken zur Folge haben wird?

Zanella: Ich denke, bei den Herstellern nicht. Aber bei den Konsumenten bin ich zuversichtlich, dass sie mehr Wert auf Qualität legen.

Curbastro: Wir haben die Wirkungen der Krise schon gespürt, es gibt uns in vielen Restaurants. Aber dieses Jahr liegen wir besser als 2019. Ich glaube, das spricht dafür, dass Leute, die gern einen Wein trinken, noch lieber etwas Hochwertiges im Glas haben als früher.

Woher kommt es eigentlich, dass derselbe Wein an unterschiedlichen Orten ganz unterschiedlich schmeckt?

Gatti: Das hat wohl weniger mit dem Wein zu tun als mit dem, der ihn trinkt, und der Umgebung, in der er sich befindet, wie sie wirkt.

Curbastro: Ich war mal in der Guinness-Brauerei in Dublin, und natürlich hat das Bier dort einen eigenen Eindruck hinterlassen.

Es gibt Kritiker, die gehen nach Punktesystemen vor, andere sagen: „Halbe Flasche leer ist schlechter Wein, zwei Flaschen leer ist guter Wein.“ Was gefällt Ihnen besser?

Curbastro: Ich will meinen Kunden einen ausgereiften Wein präsentieren, der ihnen Freude macht. Das dürfte als Erklärung reichen, oder?

Zanella: Kritiker sind wichtig, aber je länger ich im Geschäft bin, desto mehr höre ich den Konsumenten zu. Alles klar?

 

Gatti: Ein Punktesystem wird unserer Arbeit nicht gerecht. Wir hören nun einmal auf unser Gefühl, wie soll man das messen?

Weine aus der Region Franciacorta
Interview
Philip Cassier