Paris Fashion Week

Im Himmel voller Stars

Starker Auftakt der Pariser Fashion Week: Off-White zeigt gleich zwei Shows in einer – neben der Männer- und Frauen-Prêt-à-Porter die posthume Haute-Couture-Vision von Virgil Abloh. Live auf TikTok und mit viel Prominenz.

„Question everything“

Stell‘ alles in Frage. Mit dieser Flagge wurde die über 40-minütige Mammutschau in der alten Pariser Börse in zwei Akte geteilt. Der erste Akt: Die Männer- und Frauenkollektion für Herbst/Winter 2022 des Prêt-à-Porter Labels Off-White. Das offizielle Thema lautet „Raumschiff Erde – eine imaginäre Erfahrung“. Doch man könnte es auch konkreter „Woke is en vogue“ nennen. Keine sexuellen Stereotypen? Check. Multi-ethnische Diversität? Check. Body Positivity? Check. Keine Altersdiskrimination? Check. Keine kulturellen und sozialen Schranken? Check. Zwischen einem zu Boden gestürzten, gigantischen Kristalllüster, dem Symbol der alten Welt und der Plexiglas-Lautsprecher-Wand, hinter der der Techno-Pionier Jeff Mills seinen Live-Act spielte, war es Modenschau und Mode-Manifest in einem.

 

Helena Chistensen
Gigi Hadid
Karlie Klo
Kendall J
Serena Will
Bella Had
Kaia Gerber
Naomi Campb
Cindy Crawfo

Nach Louis Vuitton war nun Off-White an der Reihe, seinen Designer Virgil Abloh zu ehren, der im November 2021 mit nur 41 Jahren an Krebs verstorben ist. Für die erste posthume Modenschau brauchte das Team von Off-White nichts weiter, als auf ein riesiges Vermächtnis von Skizzen, Notizen und Designs zurückzugreifen, das Virgil Abloh hinterlassen hat. Ein Multikreativer, ein Getriebener mit großen Visionen und unendlichen Ideen. Und ein Familienmensch, der ganz verschiedene „Communities“ in seinem Universum vereinen konnte. „Man macht eine Modemarke, um einen Stamm von Leuten dazu zu bringen, sie zu tragen, aber meine Vorstellung von Off-White ist, dass sie die Persönlichkeit nicht auslöscht. Sie sagt nicht: Trage das, um im Club zu sein. Wenn man sich die Leute um mich herum anschaut, gibt es für Off-White keine Bedingungen, um die Kleidung zu tragen. Man kann dem Off-White-Stamm angehören, ohne überhaupt ein Kleidungsstück der Marke zu besitzen”, wird der Designer in den Produktionsnotizen zitiert.

 

Und so versammelte sich in Paris seine echte Familie, die Witwe Shannon und seine Kinder Lowe und Grey in der Front Row, ebenso wie seine Geistesfamilie Pharrell Williams, die hochschwangere Rihanna, der werdende Vater A$AP Rocky und die Ex-First-Lady Frankreichs, Carla Bruni-Sarkozy. Auf dem Laufsteg: Mindestens zwölf Supermodels und Ikonen aller Generationen: Naomi Campbell, Cindy Crawford, Helena Christensen, Tennis-Ikone Serena Williams und Amber Valletta vertraten die alte Garde, während Cindys Tochter Kaia Gerber, Kendall Jenner, Bella und Gigi Hadid für die Millennials liefen. Und das alles live auf TikTok, ein Novum in der Pariser Modewoche.

 

Der zweite Akt war: Ein „Was-wäre-wenn“ Virgil Abloh noch die Zeit geblieben wäre. Er träumte davon, den exklusiven Club der Haute Couture zu erobern, ihn mit subkulturellen Anleihen und neuen Codes zu infiltrieren. 28 Looks hatte er bis kurz vor seinem Tod bereits bis ins Detail durchdacht und gezeichnet. Sie wurden nun posthum von seinem Team realisiert. Die Braut, normalerweise der finale Look einer Haute Couture-Show, macht bei ihm den Auftakt. Sie trägt ein überdimensioniertes Baseball-Cap, das fast wie ein Reiterhelm aussieht und hält ihre High-Heels in der einen, ein Zigarettenetui in der anderen Hand, während sie auf flachen und bequemen Fellschlappen läuft. Die Robe „The Icon“ vereint eine asymmetrische Plissée-Krioline mit einem Jersey-Top, auf dem das Gangster-Motto „No Snitchin“ (Nicht Verpetzen) mit Kristallen eingestickt ist. Dazu trägt das Model Schuhe aus Seife, die beim Laufen zerbrechen. Und auch Mülltonnen-Oskar aus der Sesamstraße wird Haute-Couture-fähig. „The Pilou-Pilou“ ist ein Monster-Zottel-Look aus Hoodie, Hose und Rucksack aus grünen Seidensamtfransen. Ziemlich durchgeknallt.

 

Keine Frage, seine „High Fashion“ hätte Spaß gemacht.

Text
Silke Bender