Welche Rolle spielt Mode in einer Welt, die von einem neuen Krieg heimgesucht wird? Diese Frage stellten sich viele in Mailand, wo die Vorstellung neuer Kollektionen vor dem Hintergrund der Ereignisse in der Ukraine plötzlich unfassbar unbedeutend erschien. Und doch machte man weiter, stellte sich dem schweren Balanceakt zwischen Anerkennung einer harten Realität und Beschäftigung mit einer der Schönheit ergebenen Branche, die oft frivol erscheint und dabei ein ernstes, die Wirtschaft unterstützendes Business betreibt. Diese experimentiert aufgeregt mit neuen Technologien und Chancen in virtuellen Welten, doch in Mailand setzten sich viele Labels anderen Dingen auseinander: Tradition, Eleganz, Handwerk, und die Suche nach den perfekten Basics. Die Suche nach einer beständigen Garderobe kommt zu einer Zeit, an der die Zukunft unsicherer scheint denn je.
Mode, die Halt gibt
Was zum Anfassen
Die einen bejubeln das “Metaverse”, die anderen besinnen sich auf Dinge, die uns im hier und jetzt Halt geben. Zum Beispiel texturreiche Materialien, die man anfassen und streicheln will, die das Handwerk dahinter widerspiegeln und gleichzeitig ästhetisch neue Wege beschreiten. Solche sah man beispielsweise bei Diesel, wo geschreddertes Denim zu einem Mantel verarbeitet wurde, der aussah, als würde er aus Kunstpelz bestehen. Veronica Etro verließ sich auf aufwendige Häkelarbeiten.
Diesel Live in Mailand
Für drunter und drüber
Lingerie-Details und Elemente gehören zu beliebten Inspirationen in der Mode. Viele Mailänder Designer haben vor allem die Strukturen und Formen des Korsetts für sich entdeckt und in ihre Entwürfe eingearbeitet, so wie Fendi oder Versace. Prada orientierte sich an der Idee des schlichten weißen Unterhemds, verzierte es mit dem Prada Logo und kombinierte es zu transparenten Röcken oder Kleidern.
Der Corset-Style bei Fendi
Versace FW22
Gut umhüllt
Der Lärm der Welt lässt sich nur schwer ausblenden, doch manchmal kann Mode dabei helfen, sich etwas besser dafür zu wappnen. Das suggerieren zumindest Labels wie Max Mara oder Dolce & Gabbana, die ihren Models Kapuzen, Balaclavas oder das Haar verbergende Hauben anzogen.
Jacke zur Hose
Die Schönheit eines schlichten Hosenanzugs oder Kostüms verliert nie an Anziehungskraft, doch diese Saison wird sie so gefeiert wie lange nicht mehr. Mathieu Blazys Debüt bei Bottega Veneta verließ sich stark auf solche Klassiker. Sogar Versace zeigte mit Hosenanzügen, dass es durchaus modische Zurückhaltung beherrscht, aber auch bei Tod’s fielen elegante Kombinationen aus Mantel, Blazer und engen Hosen auf und Jil Sander gibt seinen Blazern mit gepaddeten Hüften ein wenig mehr Form. Gucci wählt die Sportvariante – und verziert sein Modell mit Adidas-Streifen und Logo auf der Brusttasche.
Gucci im Farben-Fieber
Neue Höchstleistung
Niemand möchte mehr auf Birkenstocks oder Sneakers verzichten, doch Mailands Designer möchten zumindest daran erinnern, dass es noch Alternativen gibt, und verzichten zum größten Teil ganz auf Turnschuhe. An die Höhe der neuen Designs muss man sich jedoch erst mal gewöhnen: Bei Sportmax trugen die Models schwarze Lackpumps mit nach oben hin zugespitzten Kappen, bei diesen Stiefel und Pumps in Denim-Optik und mit dünnen Metallabsätzen, die mehr als ein Model zum Schwanken brachten.