Fashion and Society

Schneidern an der Revolution

Die Modedesigner der Zukunft nehmen ihre soziale Verantwortung ernst. An der Parsons School of Design in New York lernen sie, durch ihr Handwerk zum Nachdenken anzuregen. Wir schauten uns das vor Ort an, Esther Haase fotografierte.

Von der Jeansjacke ist nicht mehr viel übrig geblieben. Die gesamte Vor­derseite ist praktisch komplett auf­geschnitten oder ­gerissen, nur an den Stellen, an denen Längsnähte verlaufen, werden Schulterpartie und Saum von dünnen Denim­-Streifen festgehalten. Die Ärmel sehen aus, als habe sich daran eine Meute Mäuse satt genagt, und mit Jeansrock dazu ergibt die zerfetzte Ober­fläche eine Optik, die an Batikmuster erinnert. Schönheit durch Zerstörung zu erschaffen, ist eine bewährte Strategie im Modedesign. Doch die Entwürfe der deutschen Jungdesignerin Marlene Haase, die an der Parsons School of Design ihren Masterabschluss gemacht hat, stellen ein ganz anderes Paradox in den Mittelpunkt.

Es geht um Baumwolle, ihren Ursprung und ihre Verwendung, und die Frage, wie ein so beliebtes, vielseitiges und praktisches Material so viele gesellschaftliche Pro­bleme verkörpern kann, von Umweltbelastung, über Massenproduktion bis hin zu Menschen­rechtsverletzungen. „Man muss sich als Modede­signerin mit den Dingen auseinandersetzen, mit denen man arbeitet. Mode umfasst so viele ver­schiedene Bereiche der Gesellschaft, und eben das macht sie so spannend“, sagt sie.

Die deutsche Designerin Marlene Haase und Tochter der Fotografin hat Model Cami You-Ten (c/o m4models) einen Look aus ihrer Abschlusskollektion angezogen. Als Grundlage dienten ihr Fast-Fashion-Teile, die aufgrund ihrer Entstehungszusammenhänge in den USA gar nicht verkauft werden dürften

Für viele aufstrebende Kreative, die es heute in der Modebranche schaffen wollen, gehört die Aus­einandersetzung mit dem soziopolitischen Diskurs zum Designprozess ebenso dazu wie das Studium von Modegeschichte, Materialkunde oder Schnitt­führung. Parsons, eine der renommiertesten Bil­dungseinrichtungen der Branche, an der Designer wie Proenza Schouler, Donna Karan oder Marc Jacobs ihren Abschluss gemacht haben, bietet einen zweijährigen Masterstudiengang namens „Fashion Design and Society“, der bereits seit 2010 existiert, aber dessen Schwerpunkt auf die Ver­bindung von Mode und Gesellschaft heute be­sonders relevant erscheint.

Wenige Monate bevor die 14 Studenten aus Haases Jahrgang ihre Ab­schlusskollektion einem Prüfungskomittee vor­stellen und auf der New York Fashion Week prä­sentieren dürfen, wird in den hellen, weitläufigen Arbeitsräumen am Parsons ­Standort in der Nähe des Union Square konzentriert gearbeitet. Halb bekleidete Mannequins stehen neben großen, mit Arbeitsmaterialien bedeckten Tischen, darunter liegen Taschen und Tüten mit Lunchpaketen. Modestudenten bekommen von der Welt jenseits ihrer Schlafzimmer und Uni­ Gebäude oft wenig mit, das Arbeitspensum ist groß, wer einmal einen Job hat, merkt schnell, dass sich daran auch nach dem Abschluss wenig ändert.

NYFW Parsons Mfa Fashion Show Runway
NYFW Parsons Mfa Fashion Show Runway
NYFW Parsons Mfa Fashion Show Runway
NYFW Parsons Mfa Fashion Show Runway
NYFW Parsons Mfa Fashion Show Runway

Doch der Traum von der Mode und der Ruf von Einrichtungen wie Parsons locken weiterhin junge Menschen von überall an. Marlene Haases Kommilitonen kommen aus China, Taiwan, Russland, Österreich, Frankreich und Australien. Sie teilt sich eine Wohnung im East Village, erzählt die 28 Jährige, die einen schlichten, blauen Mantel trägt und die blonden Haare unter einer Basecap verbirgt. Sie alle beschäftigen sich mit Themen, die ihre Generation bewegen – vom Dasein als non binäre Person, der Verschmelzung von physischen und virtuellen Welten bis hin zu einem Gefühl von Unsicherheit und Angst in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Auch das Curriculum selbst gibt einen politischen Kontext vor, in dem Mode betrachtet werden soll. So wird im Laufe des Studiums beispielsweise im Rahmen von Projekten mit Repräsentanten von marginalisierten Menschen zusammengearbeitet, wie einer autistischen Instagram-Influencerin.

„Was ich spannend finde, ist, ein komplexes The­ma über Design darzustellen. Und dadurch schafft man es vielleicht, andere Menschen dazu ein­ zuladen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen“, sagt Haase, die vorher an der Berliner Uni­versität der Künste studiert und Praktika bei Mar­ken wie Viktor & Rolf und Walter Van Beiren­donck absolviert hat. Die gebürtige Berlinerin verwendete für ihre Kollektion Kleidungsstücke von Fast­Fashion­Ketten, die illegalerweise aus Produktionsländern oder ­Regionen importiert wurden, in denen Zwangsarbeit stattfindet. Jeans, Trenchcoats, Denimröcke und Hoodies werden auf eine Weise bearbeitet, dass sich der Stoff auf­löst und neu rekonstruiert. Ein Kleidungsstück mit einer problematischen Vorgeschichte wird so zu einem nachhaltigen Beispiel dafür, wie Billigmode in ein einzigartiges Sammlerstück verwandelt wer­den kann.

Für jeden Studenten stellt sich irgendwann die Frage, ob man die Ideale und Experimentierfreude mit einem eigenen Label weiterentwickelt oder sich den Strukturen und Prozessen bereits existie­render großer Marken anpasst. Doch auch die operieren nicht mehr in einem Vakuum, in dem ihre Handlungen nicht hinterfragt werden. Sie können sich einstellen auf eine neue Generation, die ihre Verantwortung dafür, wie sie das Konsum­ und Denkverhalten der Gesellschaft beeinflusst, ernst nimmt. „Wir werden versuchen, die Dinge besser zu machen als die Generationen vor uns“, sagt Marlene Haase. „Genau das hat uns das Studi­um gelehrt.“ Ihren Abschluss hat sie mit Bravour bestanden.

DIE MASTER-KLASSE

Regie / Kamera: Esther Haase
Schnitt/ Musik: nhb studios

 

Eva Heugenhauser INSTAGRAM: @evaheugenhauser
Anna Z. INSTAGRAM: @anna.z.ny
Asato Kitamura INSTAGRAM: @asato_kitamura
Lilas Ferdi INSTAGRAM: @lilas.ferdi
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Marlene Haase INSTAGRAM: @_marlene_haase
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Sarah Hawes INSTAGRAM: @sarahawess
Xiaomo Chen INSTAGRAM: @xiao_____mo
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Zhiqing Zhang INSTAGRAM: @princessofchinatown

 

Foto & Video
Esther Haase
Text
 Silvia Ihring
Schnitt & Musik
nhb studios