Ganz große Nummer
Chanel feiert seine Parfums mit einem immersiven Superspektakel: „Le Grand Numéro“ ist ein Instagram-Wunderland, das jedem Gast die ganz große Bühne bietet. Was für ein Fest.
Wenn Chanel zur Métiers d‘Art Show bittet, wird der Handwerkskunst gehuldigt. In Dakar kam eine weitere Dimension hinzu: interdisziplinäre Begegnungen. Mode, Musiker, Filmemacher, bildende Kunst, Menschen. Es war die Dokumentation von einem anderen Luxus. Inga Griese notierte, Stefan Dotter fotografierte.
Behind the scenes bei der Chanel-Probe
Das Monument der „Renaissance von Afrika“ in Dakar ist riesig, seit 2010 ist es weithin sichtbar, die Skulptur eines Paares mit Kind, das in Richtung Himmel weist. Wenn man die 198 Stufen erklommen hat, ist der Blick auf Stadt und Meer großartig und das Denkmal so hoch und gewaltig, wie die menschliche und politische Arbeit dahinter war. In eine Tafel ist eine Botschaft des Ex-Präsidenten Abdoulaye Wade an die Besucher gemeißelt: Sie mögen sich vergegenwärtigen, was es bedeutet hat, Afrika „ans Licht der Freiheit zu katapultieren“.
Fast 200 Stufen führen zum gewaltigen, 2010 eingeweihten „Monument de la Renaissance Africaine.“
Viel Licht fällt auf einen riesigen Baum, der dem Innenhof Schatten im ehemalige Justizpalast der senegalesischen Hauptstadt Schatten spendet. Es ist in seiner Verlassenheit ein kontemplativer Ort, eine beruhigende Atmosphäre für einen Platz, an dem Gerechtigkeit wahrscheinlich nicht immer jeden glücklich machte. Heute ist es ein Kulturzentrum im kulturellen Zentrum des Senegal. Sie nennen Dakar manchmal das Los Angeles von Afrika. Wegen seiner Weitläufigkeit am Meer, aber vor allem wegen der Kreativität, die hier Raum und Ausdruck findet. Die Energie ist allenthalben spürbar und es ist nicht die Energie, die Rallyefahrer für die berühmte Tour von Paris benötigen.
Wohl schon deswegen heißt das Event, das zum ersten Mal eine internationale Luxusmodemarke hier anreisen und auftreten lässt: Chanel-Dakar. Das ist eine andere Beziehung. Auch nicht die inzwischen in der Branche gelernte, wenn die großen Häuser an große Schauplätze auf der Welt bitten. Das Spektakel hat eine andere Dimension und auch andere Gäste. Kein Jetset. Es ist die „Métiers d’art 2023“-Kollektion, die Virginie Viard zeigt, jene Entwürfe, die immer im Dezember den kunsthandwerklichen Fähigkeiten der vielen Spezialisten-Ateliers huldigt, die seit je die Couture beherrschen und von Chanel aufgekauft wurden, um ihnen eine Zukunft zu garantieren.
Die Zukunft Senegals ist auch vertreten. Nein, nicht die Flüssiggas-Händler. Wobei sich schwer sagen lässt, wer in dieser so bunten Gästegesellschaft Künstler und wer Kaufmann ist. Beeindruckend sind sie alle, Persönlichkeiten, jede und jeder ganz individuell gestylt. Eine Frage von Stolz und Ehre. „Es gibt“, hatte Bruno Pavlovsky, Chanel Mode-Präsident, auf dem Sofa im Sand im Backstagebereichs gesagt.
„Es gibt eine besondere Einstellung zur Couture: Die Frauen tragen alle maßgeschneiderte Kleider, nicht nur zu festlichen Anlässen. Sie leben ihre Traditionen und haben ein Gespür für Stil.“
Oft sieht man Klienten bei solchen Events im Total-Look der Gastgeber-Brand. Hier ist das die Ausnahme, vor allem sind es Accessoires. Lokal, global, Senegal. Kulturelle Bereicherung ist der Eindruck, der bleibt.
Hostessen eilen in gleichen schwarzen Kleidern wie eine Installation über den nackten Vorplatz, während wir warten, dass drinnen die Vorbereitungen abgeschlossen sind und die Türen sich öffnen. Die meisten Gäste sind sehr pünktlich gekommen. Plötzlich taucht eine Horde junger Leute auf, huch, regt sich Protest gegen die erste Show einer Luxusweltmarke auf dem Kontinent? Im Gegenteil, sie sind Teil des Programms. Performancekünstler, die auf dem Platz und den Stufen zum Justizpalast in Verrenkungen verharren, die jeden Osteopathen frohlocken ließen. Es ist das Zeichen, die Gäste setzten sich in Bewegung, man vermengt sich, begegnet sich.
Die Show begann mit einer Performance auf dem Vorplatz
Ganz im Sinn von Chefdesignerin Virginie Viard. Begegnungen seien seit je ihr „modus operandi“, heißt es in dem Magazin zum Projekt, das mehr war als ein Modetrip, vielmehr angelegt als Festival, eine kulturelle Rennstrecke Paris-Dakar-Paris. Pariser Mode trifft auf afrikanisches Kino, Tanz, Literatur, zeitgenössische Kunst und Musik. Mehrfach war die Designerin in den letzten drei Jahren hier, tauchte ein in die Szene. Am Tag nach der Chanel-Präsentation steht der Sänger Pharrell Williams vor senegalesischen Studenten im Justizpalast und erzählt, dass er bereits mit „Bruder“ Karl Lagerfeld über Senegal gesprochen habe, dann aber sei der Designer gestorben, Covid gekommen. Er sei froh, dass Virginie nun nach drei Jahren Vorbereitung ein solches Projekt verwirklicht habe. Williams war, wie er sagte, als „Afro-American“ berührt, ins Land meiner Vorfahren zu kommen, die ich aber nicht als Sklaven, sondern als versklavte Menschen bezeichne.“ Er hat den „Markt“ besucht, an dem sie verkauft wurden. Aber es fühle sich richtig an, hier zu sein. Während er sprach, saß Virginie Viard unauffällig zwischen einer Gruppe von Künstlern, ihr bevorzugter Platz. Die Tage in Dakar waren deren Bühne mindestens so sehr wie für die Mode.
Ganz vorsätzlich wurden aber keine lokalen Designer eingebunden. Entworfen, gefertigt wurde in Paris, im eindrucksvollen „Le19M“ im 19. Arrondissement, das unter anderem elf Maison d‘Art beherbergt. Im Pressetext heißt es: „Das Pop-Soul-Funk-Disco-Punk-Jahrzehnt mit seiner faszinierenden Freiheit und Energie, diese 1970er-Jahre heraufzubeschwören bedeutet für Virginie Viard die Aufforderung, Rhythmus in unser heutiges Leben zu bringen.“
Also, Rhythmus gab es wirklich jede Menge. Der Gesang, die Tänze, der Groove. Und als die Show zu Ende war, ging es erst richtig los zwischen den Säulen im Innenhof. Wenn Polonaise so aussehen kann, will man unbedingt mittänzeln.
Der mitreißende senegalesische Sänger Obree Daman sorgte mit seinem Chor für Groove und gute Laune. Seine Karriere nahm Fahrt auf, als er 2016 den Wettbewerb „The Voice of Africa“ gewann, er kann bis heute sein Glück kaum fassen und möchte Vorbild für junge Leute sein, ihren Traum nie aus den Augen zu lassen. „Ich beschütze Dich, Du beschützt mich – darum geht es.“
Alle Looks also très Chanel, Tweed, Bouclé, Stickereien, die Schlaghosen-Coolness der 70er-Jahre grüßt und Afrikas Farben und Muster bleiben nicht außen vor. Aber es ist keine Folklore-Kollektion, sollte es auf keinen Fall werden. Schon aus Respekt. Für Gastgeberland und Gast. Auch von der Politik dort: ein Herzlich willkommen. Pavlovsky formulierte es so: „Wenn man sich heute beim Reisen wohlfühlen möchte – was für mich ausschlaggebend ist –, muss man Begegnungen fördern. Wenn wir das ultimative Luxus-Modehaus sein möchten, müssen wir verstehen, wer unsere Kunden und wer die Menschen sind, mit denen wir zu tun haben. Und wenn wir bedeutsam für die neue Generation sein möchten, müssen wir den Spirit von dem, was hier passiert, überall mitnehmen.“ In der Konsequenz bedeutet das: „Le19M“ startet dort sein erstes internationales Programm und richtet für drei Monate bis Ende März mithilfe des Instituts Fondamental d‘Afrique eine Off-Site-Galerie in Dakar ein. Im Mittelpunkt stehen Handwerk, die Stickerei und die Weberei. Im Mai wird die Ausstellung wiederum in Paris zu sehen sein. Eine Boutique wird Chanel hier nicht eröffnen. Das war nicht der Zweck. Bruno Pavlovsky ist da ganz nüchtern: „Wir verkaufen hier ein wenig Kosmetik. Der Markt ist einfach noch nicht so weit. Aber wir haben viele afrikanische Kunden, sie leben allerdings in London, in Frankreich, vielleicht auch in Deutschland. Sie kommen in unsere Boutiquen in Dubai, Mailand, Singapur, London, Paris, New York, insofern gibt es einen Markt.“
Es bleiben viele Eindrücke. Und der Widerspruch, dass immer noch Flüchtende aus dem Senegal kommen. Aber das lebendige Dakar ist nicht das ganze Land, man müsste weiter reisen, um mehr zu verstehen. Aber vor allem bleibt die Bereicherung, wenigstens einige Facetten dieser Stadt gesehen zu haben, die auf dem Seil zur Moderne balanciert, doch der Stab, den sie hält, ist aus gutem afrikanischem Holz handgeschnitzt. Und dann fährt man plötzlich am „Institut Fondamental D’Afrique Noire“ vorbei und sieht eine Ankündigung, eine Ausstellung mit Bildern von Dieter Nuhr. Ja, richtig, „unser“ Dieter Nuhr.
Die Essenz der Eindrücke aber verkörpert Obree Daman. Als er 2016 „The Voice of Africa“ gewann, hatte er zum ersten Mal überhaupt den Senegal verlassen. Er ist ein sehr großer, junger Mann, der tanzend und singend mit seinem Chor den Innenhof betört hat, und er ist auch persönlich bezaubernd in seiner sprudelnden Freude und Liebenswürdigkeit: „Ich liebe Kunst! Ich bin in Dakar geboren und bei meiner Großmutter aufgewachsen, die mich sehr liebte. Sie war so voller Lebensfreude und Energie. Das will ich weitertragen. Wir sind alle so verschieden, aber müssen einen Weg finden zusammenzuleben. In Afrika, in Europa, in der Welt, im kleinsten Dorf.“ Sein erstes Album hatte er „Baobab“ genannt. Beschützer. „Ich schütze Dich. Du schützt mich. Das ist die gute Art zu leben.“ Und dann ruft er: „Wow! Eine Firma wie Chanel kommt in den Senegal, um ihre Arbeit zu zeigen und wählt mich als Künstler aus, der Welt meine Musik zu zeigen!“ Das mache ihn stolz.
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