CHANEL HAUTE COUTURE 21

Wie gemalt

Ein großes Talent von Karl Lagerfeld war es stets, seine Modenschauen wie ein „Tableau Vivant“ zu gestalten: ein lebendiges Gemälde, also mit Protagonisten (in diesem Fall Models), die meist in fantasievoll erdachten und detailreich ausgestalteten Umgebungen versetzt wurden, vor Eisberge oder Heuballen, Casinos oder Flughäfen. Unter der Führung von Virginie Viard fällt das Chanel-Spektakel oftmals dezenter aus, doch das steht zum einen im Einklang mit dem Zeitgeist, und zum anderen beweist Viard in vielerlei Hinsicht ebenso Gespür für Szenerien und die Stimmungen, die sie transportieren.

Ihre neueste Haute Couture-Kollektion ist inspiriert von Meistern – und vor allem Meisterinnen –, die in ihren Kunstwerken Atmosphäre und Farbe, emotionale Energie und Pinselstriche miteinander verschmelzen ließen. Impressionisten wie Berthe Morisot oder Édouard Manet oder die Kubistin Marie Laurencin weckten auch deswegen Viards Interesse, weil diese gemalte Porträts von Coco Chanel betrachtet hatte.

Im Innenhof des Pariser Kunst- und Modemuseum Musée Galliera, in dem derzeit noch eine Ausstellung über Coco Chanel stattfindet, präsentierte das Haus nun Viards modische Vermählung aus impressionistischer Zartheit und moderner Farben- und Kontrastliebe. Die langen Röcke bestanden aus mehreren Volantschichten, bauchfreie Broderie-Anglaise-Tops wurden zu opulenten Tweed-Coats kombiniert, und transparente Ensembles aus Leibchen-artigen Tops und Bloomers zitierten nostalgische Unterwäsche. Riesige Schleifen im Haar erinnerten an die vornehmen Damen, die in Morisots Gemälden verträumt vor sich hinblicken, doch der Mix mit Irokesen-artigen geflochtenen Zöpfen auf dem Scheitel verhinderte, dass der Look allzu brav wirkt. Zum Schluss betrat, wie es die Haute Couture-Tradition will, eine Braut den Laufsteg: Schauspielerin und Chanel-Botschafterin Margaret Qualley trug ein hochgeschlossenes, in seiner Einfachheit perfektes weißes Kleid, zu einem schwarzen Pillbox-Hut mit Schleier. Ein ähnliches Modell trägt Coco Chanel auf einem Portrait aus den 1930er-Jahren. Ein Tableau, das bis heute nicht an Modernität verloren hat.

Pictures by Mikael Jansson for CHANEL

Text
Silvia Ihring