Handwerkskunst

Im Schloss der Chanel-Frauen

Es wird Zeit, sich wegzuträumen. Ich habe bewusst keine Termine aus meinem Kalender in diesem Jahr gelöscht, die aus bekannten Gründen nicht stattfinden können. Grad wäre ich auf Kreuzfahrt mit der „MS Europa“ von Colón nach Valparaíso. Oder, Luxuskonflikt, doch im Val de Loire im Château de Chenonceau, besser bekannt als das „Schloss der Damen“, so benannt, weil Frauen die Geschichte des nach Versailles meistbesuchten Schlosses in Frankreich prägten. Das Grundgebäude, ein Burghaus samt Wassermühle am Fluss Cher, stammt aus dem 13. Jahrhundert, spektakulär wurde es durch die Galerie, die Hausherrin Katharina von Medici über den Fluss erbauen ließ. Es war wie alles, was die Florentinerin initiierte, nicht nur Ausdruck ihrer Macht als inzwischen Regentin von Frankreich, nachdem ihr Mann Heinrich II. verstorben war, sondern auch ein Ort voller Kultur, Raffinesse und Stil. Nachdem die Italienerin ihrer Konkurrentin, der Mätresse Diane de Poitiers, die einstige Morgengabe ihres Mannes im Austausch mit einem anderen Schloss abgenommen hatte, baute sie gründlich um und an, samt dem Garten voller verwunschener Wege. Gut 30 Jahre erweiterte und optimierte die kunstsinnige Medici, von der man sagt, dass sie unter anderem die große Schneiderkunst und Macarons aus Florenz nach Frankreich mitbrachte, das Anwesen, das großen Festlichkeiten als prachtvoller Rahmen diente.

Es gibt also viele Gründe, warum Chanel dieses Schloss als Ort gewählt hat für die diesjährige Präsentation der „Métiers d’Art“-Kollektion, mit der stets Anfang Dezember das Augenmerk auf die legendären Handwerker des Hauses gerichtet wird. Zur Tradition gehört, einen Veranstaltungsort zu finden, der einen Bezug zum Leben von Coco Chanel hat. Sei es wie 2013 in Edinburgh, Mademoiselle angelte in Schottland gern Lachse mit ihrem Freund, dem 2. Duke of Westminster, aber auch Städte wie Rom, Salzburg, Hamburg, Paris waren Stationen. Die Beziehung zum Château de Chenonceau ist eine Überraschung: nämlich das gemeinsame Logo, zwei ineinander verschlungene C. Die Chanel-Gründerin hat sich ihr Logo zwar von den Kirchenfenstern im Kloster Aubazine, wo sie als Waisenkind aufwuchs, abgeschaut, aber die Ähnlichkeit zu dem von Katharina von Medici ist verblüffend. Eine gewisse Ironie liegt darin, heißt es doch, dass die Verhältnisse, in denen Gabrielle Chanel aufwuchs, ihre Kreativität, ihre Zielstrebigkeit und auch ihren Stil maßgeblich geprägt haben. Was wäre wohl gewesen, wenn es das Schloss gewesen wäre?

Womöglich wäre die gleiche Geschichte herausgekommen. Und weitere Bezüge zu Katharina von Medici lassen sich durchaus finden. Sie gab ebenfalls nichts auf Konventionen, ritt mit Steigbügel, statt im Damensitz. Unglaublich damals. Sie beide waren ungewöhnliche, starke, eigenwillige Frauen, die sich nicht abhängig machten von den mächtigen Männern an ihrer Seite. Eher umgekehrt war es wohl oft der Fall, gleichwohl mussten beide Frauen die, die sie besonders liebten, früh beerdigen. Sie bauten zeitlebens an ihren Visionen, ihren Imperien. Es ist überliefert, dass Katharina von Medici auf dem Sterbebett zu ihrem Sohn Heinrich III. sagte: „Es ist gut zugeschnitten, mein Sohn, nun muss es zusammengenäht werden.“ Sie bezog sich auf den politischen Mord am aufrührerischen Kardinal von Guise, in dessen Folge König Heinrichs Aufgabe nun war, dessen Verwandte zu besänftigen und hinter der Krone zu versammeln. Aber natürlich passt dieses Zitat perfekt als Entree zu einer Kollektion, die darauf bedacht ist, höchsten schneiderischen Ansprüchen gerecht zu werden. Dass das Schloss tatsächlich zur Kulisse wurde, aber die Zuschauer Donnerstagabend nur digital dabei sein konnten, gehört zu den vernünftigen Kompromissen dieser Zeit. Aber wenn die Kollektion im Mai 2021 ausgeliefert wird, können auch Reiseträume bestimmt wieder wahr werden.

Aus der Sicht von Juergen Teller:

Text
Inga Griese
Fotos
Juergen Teller