Louis Vuitton SS22

„VIRGIL WAS HERE“

Die Einladung kam mit der Anleitung zum Fliegen. Auf die Rückseite der Coffeetable Buch großen, Miami blauen Pappe war die Anleitung zum Bau eines Papierfliegers gedruckt. Das Symbol für Leichtigkeit und Vertrauen darauf, dass ein gut gefalteter Pfeil weit getragen wird vom Universum. Synonym für Kindheit, die Neugier. Denn „Limitierungen sind Menschen gemacht.“ Virgil Ablohs Signet.

Nun trug der Pfeil schwarz. Auf der Fotowand. Und überdimensional groß auf dem Laufsteg, die Spitze Richtung Himmel, den Louis Vuitton auf dem großen Ponton gegenüber vom Miami Marine Stadion, das 1963 für Powerboot-Rennen gebaut worden war. Das Erste in den USA. Seit 2018 unter Denkmalschutz.

Auch das so symbolhaft. Virgil Abloh, dessen plötzlicher Tod am Sonntag die kreative Welt erschütterte, war das Powerboot der neuen Modezeit. 2018 als der erste Schwarze in der einflussreichen Position des Männer-Designers bei Louis Vuitton angetreten, gewann er noch viel mehr Einfluss im LVMH-Konzern., der sich an seiner eigenen Marke Off White beteiligte und ihn zum kreativen Berater machte. Was ihn nicht hindern musste, mit anderen Unternehmen zu kooperieren. In Miami wollte er am Mittwoch im Rahmen der Art Basel auch das neue Elektro-Concept-Car, dass er für Mercedes Maybach entwickelt hat, präsentieren. Sein Werk, das weit über das Kreieren von Kleidung hinaus geht, wird geehrt bleiben, ein daily Denkmal. Die Tribüne des Stadiums ist voller Graffiti. Ein Kunstwerk für sich.

Er kannte wohl das Timing. Das, was alle so verstört hat, sein Tod so völlig unerwartet für die, die ihm nicht ganz nah waren. Der Kampf gegen den Krebs hatte schon vor Jahren begonnen, nur trug Virgil Abloh ihn nicht öffentlich aus. Dass er überhaupt krank war, wie konnte das sein? Wenn man manche Fotos im Wissen jetzt genauer betrachtet, meint man ihm etwas anzusehen. Doch seine Energie, seine Freundlichkeit, sein Interesse waren stets so präsent wie sein Design. Wie sollte man auch nur eine Sekunde glauben, er wäre schwach. Es war doch eher so, dass man dachte, er habe irgendwo ein Reservoir an Extratagen in einer Woche angesichts des unerschöpflichen Outputs.

Die ernst gemeinten, weltweiten Trauerbekundungen so vieler Kollegen, der Schreck weit über die Modeszene hinaus, ist Ausdruck einer seltenen Eigenschaft. Virgil Abloh, multibegabt und klug, beobachtend und visionär, war aber eben auch ein sehr nahbarer Mensch. Glücklich verheiratet, Vater von Lowe und Grey. Tatsächlich interessiert an anderen, vor allem an den jungen Leuten, der Zukunft, dem kreativen, musischen Nachwuchs. So typisch sein Satz:

„Mich interessiert nicht der Schnitt des Hoodies, mich interessiert, was drauf steht.“

Samstagabend noch hatte er Anweisungen geschrieben, per WhatsApp für die Show, die zu einer Trauerfeier werden sollte – so einzigartig wie der Designer und Mensch Abloh. Es stand gar nicht zu Debatte abzusagen, das wollte er nicht, das passte nicht zu ihm. Vielmehr wachte er als überlebensgroße Skulptur am Set. Eine coole Gestalt, Modern Art, wie die Typen, die er im neuen Men‘s Store in Miami ins Schaufenster und Treppenauge platziert hat. Kurzfristig hat Louis Vuitton alle Mitarbeiter von Abloh einfliegen lassen, als sie nach dem Defilee stellvertretend und dicht aneinandergedrängt die Honneurs abnahmen, erhoben sich alle Gäste von ihren Sitzen, ein Gottesdienst Moment.

 

   INGA GRIESE LIVE AUS MIAMI

Ausschnitte der Louis Vuittons Spring-Summer 22 Menswear Show als Gedenken an Abloh

Weitermachen. Das „Spin-off“ der ursprünglichen Spring/Summer Show 2022. Auch so eine für die Mode wegweisende Idee, die Abloh und Burke entwickelt haben in ihren Gesprächen, vor Covid, vor der Reise-Diskussion. Die Idee hinter dem Konzept ist, nicht alle an einen Ort einfliegen zu lassen, sondern zu den Kunden zu reisen. Events in ihrem Land, die aber nicht nur eine Wiederholung, sondern eine Weiterentwicklung sind, alles baut aufeinander auf. Es gibt noch Saisons bei Louis Vuitton, aber sie sind nicht statisch. Die Frauen-Kollektion vorn Nicolas Ghesquière für das kommende Frühjahr wurde kürzlich in Shanghai gezeigt. 21 neue Looks hatte er dafür entworfen. Für die Männer in Miami hatte Virgil Abloh zehn neue Entwürfe gemacht. Und eine Mega-Show erdacht. Die Kulisse quasi so rasant wie sein Leben der vergangenen Jahre war.

Ein großes, würdiges, trauriges und kraftvolles Farewell.  Von den Gartenparty-Zelten im Watson Island Park zog die große Gästegemeinschaft gemächlich über die den breiten Steg an Jachthafen Grande Miami, wo die ganz fetten Motorjachten. Liegen, zu den großen Schiffen, die bereitstanden, um sie zur Location zu bringen. Strahlende Sonne, die langsam zu sinken begann, vorbei an den glitzernden Hochhäusern, Begleitmöwen über der Louis Vuitton Flagge, die Vigil eigens zu diesem Event gestaltet hatte, ich war auf dem „Client“ Schiff. Genau die bunte Art von Gesellschaft, alle Typen, die Virgil  Abloh gefallen hat.

 

Michael Burke, CEO Louis Vuitton

Am Stadium erhob sich ein gewaltiger Fesselballon, Abloh hatte ihn virtuell zuvor auf die Reise geschickt, ihm gegenüber stand der Designer, als Skulptur so überlebensgroß wie er in den letzten Jahren geworden war, es war ja keine Hauruck-Karriere, sondern sorgfältig Entfaltung eines großen Geistes. Michael Burke, der CEO von Louis Vuitton hatte ihn und seinen Kumpel Kanye West einst als „Volontäre“ zu Fendi nach Rom eingeladen, von da an nahm die Karriere Fahrt auf. Kanye West und seine Frau Kim Kardashian saßen im Publikum, so still und unauffällig. Burke, der viel mehr war als ein Chef, eröffnete den Abend mit einer Rede, ihm brach immer wieder die Stimme und so manchem Zuhörer wohl das Herz.

Doch es war auch Showtime, Vigil hatte alles so gewollt. Das magische Abendlicht hatte sich zur Ruhe gelegt, tausende Fotos von der Kulisse mit dem Wasser und der Skyline und den Farbspielen des Himmels waren gemacht, und die Models kamen. Ein Defilee wie ein Best-off. Aber auch eine Ansage an Diversität, Fröhlichkeit, Lust am Stylen, Freiheit des Einzelnen. Pinkfarbener Reifrock für Kerle? Warum nicht? Die große Kunst von Vigil Abloh lag auch darin, dass der Bruch mit vermeintlichen Codes so gar nicht albern wurde, sondern cool.

Fotos Isidore Montag

Und dann wurde es für einen Moment ganz dunkel, der leichte Wind ließ die Blätter der vielen Bäume, die auf dem Ponton platziert worden waren, leise rascheln. Nur der rote Ballon leuchtete in dem Feuer, dass ihn aufwärts trieb, als aus dem abendlichen Off die kraftvolle Stimme Ablohs ertönte:. „There is no limit! You can’t even waste a day subscribing of someone thinks what you can do versus what you can do.” Als er das sagte, war die Tribüne in Regenbogenfarben illuminiert. Und dann grüßte ein riesiges Feuerwerk über der Bay. Virgil Abloh, ein Komet, so hell, so faszinierend, so schnell vorbei. Gerade mal 41. In der Erinnerung wird er nicht so schnell verglühen.

 

„There is no limit. Life is so short that you can’t waste even a day subscribing what someone thinks you can do, versus knowing what you can do.“

 Virgil Abloh

 Kind of ICON TV. Be part of Virgil Abloh’s show yesterday. Fast but deep thoughts of Inga Griese.

Text
Inga Griese