ganz bei sich

 Als Schauspieler nimmt Sabin Tambrea es mit jeder Herausforderung auf. Doch in unserem Shooting in Mailand spielte er eine für ihn ganz ungewohnte Rolle, nämlich sich selbst. Wir fanden: Eine Top-Besetzung!

Er ist Rudi, der schwule, blonde Visagist. Das ist seine Rolle in dem Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“. Wie stets zieht sich der Mensch Sabin Tambrea zurück und überlässt seiner Filmfigur die ganze Bühne. Längst ist der 38-Jährige in unterschiedlichsten Hauptrollen Garant für große und auch tiefsinnige Unterhaltung. Allein wie er als Rudi im Brautkleid von Kaviar Gauche über den Laufsteg tanzt, ist im Wortsinn großes Kino.

Der lebensfrohe Film erzählt die Geschichte einer jungen Frau in der DDR, deren Traum, nach dem Abitur Literatur zu studieren, vom Regime einkassiert wird. Stattdessen muss sie in einem Metallwerk arbeiten und wird als Model entdeckt. Und entdeckt für sich, dass Sehnsucht, Lebensfreude, kreative Freiheit im Untergrund durchaus möglich sind. Rudi, ihr cooler Partner in crime, ist im echten Leben der Friseur und Punk Frank Schäfer, war Stilikone der DDR und dem Staat suspekt, floh schließlich, heute betreibt er unter anderem einen Szenefriseurladen in Prenzlauer Berg.

Der echte Sabin Tambrea kommt zum Frühstück. Wir wollen noch mal über Mailand reden. Und mehr. Könnte auch noch Mittag werden, wir verplaudern uns, man betritt mit ihm leicht viele Lebensbühnen.

 

ab 6. Oktober im Kino

ICON: Sie stammen aus Rumänien. Ihre Eltern, Orchestermusiker, sind vor dem Ceaușescu-Regime geflohen.

Sabin Tambrea: Ja. Doch es ist schwer, sich in etwas hineinzuversetzen, das man nicht bewusst selbst erlebt hat oder das es nicht mehr gibt. Auch wenn man das als Schauspieler zumindest versucht, wäre es anmaßend zu sagen, dass man den Kosmos wirklich begreifen kann. Ich habe versucht, mit Rudi hauptsächlich das Positive herauszufiltern, weil eine positive Figur in einem so unterdrückenden Kontext eine Überraschung ist. Aber zu sagen, ich verstehe, was die DDR war und was sie bedeutete, das kann ich nicht und wohl wenige junge Menschen, die ein freies Leben führen dürfen.

 

Wobei Empathie ganz oben auf Ihrer Agenda als Mensch steht, richtig?

Empathie ist das Fundament meiner Arbeit als Schauspieler. Bei jeder neuen Rolle muss ich mich auf die Gedankenwelt einer unbekannten Figur einlassen. Und dieses „Einlassen-Wollen“ und wie es sich in unserer Gesellschaft entwickelt, beschäftigt mich sehr. Man muss sich Empathie antrainieren, genauso wie man das Immunsystem stärken muss, manchmal auch gegen die zurecht-stutzenden Mechanismen, die sich die Erwachsenenwelt angeeignet hat. Man braucht offene Augen und ein offenes Herz, um nicht abzustumpfen und Mauern aufzubauen, die einen vor dem Schmerz beschützen, anstatt daran zu wachsen.

 

Als Rudi haben Sie die Spielregeln des Regimes ignoriert, nach den Ihren gelebt. Wie halten Sie es selbst?

In allem, was ich tue, ob im Theater oder Filmschauspiel, versuche ich, die Regeln vollumfänglich zu begreifen. Und ich will sie höchstens überdehnen, aber nie sprengen. Ich bin eher für dezente Mittel als für Draufhauen oder Provozieren durch Eklats – bin eher ein Grenzengeher, aber nicht Überschreiter.

 

Kaffee?

Gern. Ich habe ihn erst vor wenigen Jahren entdeckt. Als wir aus Rumänien mit unserer Mutter kamen, hat uns unser Vater am Hauptbahnhof im Auto abgeholt, mit allen Leckereien, die es in Rumänien nicht gab, auf dem Rücksitz. Darunter drei große Flaschen: eine gelbe, eine weiße, eine rote. Und als 3-Jähriger habe ich mir die halbe Cola reingezogen und scheitere seitdem am Versuch, vom Zucker loszukommen.

 

Wo fühlen Sie sich geborgen?

Ich brauche nicht viel zum Glück. Ein Gefühl von Zuhause hat für mich mit einer Person zu tun, weniger mit einem Ort. Und das ist seit neun Jahren meine Frau.

 

Wie ist es mit Heimat?

Bis vor wenigen Jahren hätte ich gesagt, dass Rumänien den Klang hat, der mich aufatmen ließ. Vor allem als Kind, in den Sommerferien. Kürzlich war ich nach langer Zeit wieder da zur Recherche für mein neues Buch und muss sagen: Diese Heimat hört sich nun nur noch wie ein Echo aus der Vergangenheit an. Meine Großmutter, die für mich diese Heimat definiert hat, ist vor sechs Jahren gestorben, und deswegen kann ich jetzt sagen: Es hat pur mit Personen zu tun, wo für mich Heimat ist. Nicht nur durch die Flucht. Die Entwurzelung ist ja damals unbewusst geschehen. Weitere Umzüge kamen hinzu. Und mein Beruf. Wenn ich nur jede 20. Nacht zu Hause verbringe, kann ich es mir nicht leisten, nur das als Daheim anzusehen.

 

Ihre Generation muss jetzt die Zeichen der Zeit setzen, oder?

Leider ist es schon zu spät, um diese Aufgabe einer Generation allein anzuvertrauen, denn auf den angewöhnten Luxus müssen wir alle zugleich verzichten. Und da gibt es noch zu viele Menschen, die den Ernst der Lage nicht erkannt haben. Unsere Gesellschaft hat eine zerrissene Identität, und ich beneide die nachkommenden Generationen nicht. Als ich jünger war, konnte ich mich einem wesentlich unbeschwerterem Kontext stellen und völlig frei entdecken: Wer bin ich?

 

Ein Mann mit weißer Haut. Manches kann man nicht entscheiden. Was machen Sie daraus?

Mir meiner privilegierten Situation bewusst und dankbar dafür sein, zugleich aber auch daran zu arbeiten, dass die Welt ein gerechterer Ort wird. Mein Wunsch ging weg von der Musik hin zum Schauspiel. Mit vier Jahren Geigenunterricht zu bekommen, war keine freiwillige Entscheidung von mir, sie hat aber dazu geführt, dass ich erkennen konnte, was eine ist. Nämlich, damit aufzuhören.

Ohne ein Korsett zu kennen, kann man nicht dankbar sein, wenn man frei atmet.

 

Ein Tag im stilreichen Headquarter von Tod’s in Mailand: „Es war großartig. Das Gebäude der Della Valles, das Mittagessen in dem Club da oben. Vor allem spürte man einen großen Zusammenhalt“ Sabin trägt auf allen Bildern Looks und Schuhe aus der aktuellen Kollektion von Tod’s. 

Italienische Pracht: Sabin im Treppenhaus der Della-Valle-Villa. Man bleibt dort Stil und Tradition treu. Auch die „Gommino“-Winterstiefel sind ein ewig gültiger Klassiker.

Von der Unternehmenszentrale am Corso Venezia ging es zum großen Tod’s-Store in der Via Monte Napoleone.

Platz und Intimität sind ein Luxus in der lauten Welt. Im Flagship-Store von Tod’s in der Via Monte Napoleone gibt es daher den privaten „JP Club“ als Rückzugsort.

So beschwerlich es war, so jung aufs Geigenspiel getrimmt worden zu sein, war es nicht auch schön, Musiker zu sein?

Ich habe in jedem Fall eine weitere Sprache gelernt, die musikalische. Damals habe ich es verflucht! Aber heute weiß ich, alles, was Synapsen aufbaut im Gehirn, ist wichtig.

 

Wann haben Sie aufgehört?

Es hieß immer, mit 18 kannst du entscheiden. Aber da war diese Bringschuld, wenn die Eltern so viel Zeit und Geld in mich investieren. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich brauchte lange für den Mut. Doch ich war immer so aufgeregt vor Auftritten, dass ich eine richtige Bühnenangst entwickelt habe. Gewissermaßen als Therapie dagegen haben mich meine Eltern in den Kinderchor im Theater Hagen eingeschrieben, und das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mich erst gar nicht traute, mir das als Lebensinhalt für später vorzunehmen. Bis dahin galt für mich immer: Was man macht, muss mit Arbeit und Disziplin zu tun haben. Schauspiel war immer ein Vergnügen, das größer war als die Arbeit daran …

Erinnern Sie noch Ihre erste Rolle?

Der Wolf im Rotkäppchen.

Berlin-Prenzlauer Berg, zu Rudis DDR-Zeiten der Hotspot der Punks, das wohl wichtigste Szenelokal „Schick, charmant und dauerhaft“. Möchten Sie so sein?

Dauerhaft sicher nicht. Sonst würde ich an meiner Endlichkeit zugrunde gehen. Ich habe Frank gefragt, was es damit auf sich hatte. Es ist ja an sich ein Widerspruch. Und das war der Humor an der Sache, den man rückblickend romantisierend vielleicht gar nicht mehr erkennt. Aber das war alles eine Provokation damals. Wir versuchen, mit unserer Gegenwart die Begriffe zu sezieren, aber das geht gar nicht. Es war Humor und Frechheit. Und nein, ich will nicht chic, charmant und dauerhaft sein. (lacht)

Klingt auch nach Frau Schöllack aus der erfolgreichen „Ku’damm“-Serie, in der Sie mitspielten. Und apropos: Sie tanzen zauberhaft auf dem Laufsteg.

Das war die Stressszene für mich überhaupt. Ich hatte schon zwei Wochen vorher Lampenfieber, weil ich wusste, dass ich Leichtigkeit pur verkörpern muss. Und beim Tanzen bin ich alles andere als das. Ich hab viel zu lange Arme.

Als Schauspieler schafft man die unglaublichsten Herausforderungen, oder?

Ja. Zumindest in der Definition, wie ich diesen Beruf verstehe und ausübe. Heute werden eher Typen besetzt, die als Typen immer sichtbar sind, die Verwandlungsfähigkeit verliert an Wertschätzung. Ich bin deswegen sehr dankbar, dass ich so unterschiedliche Rollen spielen durfte. Auch paradox, dass ich als Atheist Jesus und Abt Narziss gespielt habe.

 

Als Schauspieler tragen Sie, was bereitliegt. Wie ist Ihr persönlicher Stil?

Ich habe ungefähr 60 von diesen weißen T-Shirts. Privat nehme ich mich zurück und habe mir eine dunkelblaue Uniform angeeignet. Manchmal hab ich auch Ausreißer, und meine Frau Alice holt mich dann zurück mit dem vernichtenden Satz „Du hast doch eigentlich Geschmack“. Das ist dann ein semi-guter Start in den Tag.

 

Mode war auch in der DDR ein Ventil.

Sie ist auch heute noch eine Provokation. Dass Brad Pitt im Rock überall für Schlagzeilen sorgt, hätte ich im Jahr 2022 auch nicht gedacht.

 

Als Rudi bringen Sie der Hauptdarstellerin Suzie den aufrechten Modelgang bei. Wie halten Sie es mit Haltung?

Bei der psychischen würde ich mich nie wegducken. Oder man lernt Mechanismen, die eigene Haltung zu bewahren, aber so zu kaschieren, dass sich die Menschen im engeren Umfeld nicht provoziert fühlen. Ich habe großen Respekt davor, generell über Themen zu sprechen. Man läuft Gefahr, bei jeder Meinung, die man im Moment ausspricht, dass man sich fünf Jahre später dafür schämt. Weil man sich hoffentlich weiterentwickelt hat.

 

Aber das hieße ja, man müsste sich für seine Wandlungen schämen?

Man begibt sich ja immer in den Bewertungspool des Heute, und die Temperaturen darin können unvermittelt schwanken. In meiner Diplomarbeit schrieb ich vor fast 15 Jahren: „Ich hoffe, dass ich in einigen Jahren die Hände über dem Kopf zusammenschlage über das, was ich da geschrieben habe.“ Diese Scham ist nicht unbedingt etwas Negatives.

Was war das Thema Ihrer Arbeit?

Praktisch von der Selbsteinbildung in der Ausbildung zur Bildung durch Selbstausbildung in der Praxis.

Wow, wie Sie das hier so runterrattern können. Zu welchem Titel hat das geführt? (Da ist es wieder, das verschmitzte, leicht diabolische Grinsen)

Meine Kolleginnen und Kollegen am Set schimpfen mich manchmal: Diplom-Schauspieler!

Fotos
Jonas Huckstorf
Interview
Inga Griese
Creative
Sara Krüger
Haare + Make-up
Leon Gorman
Assistenz
Paulina Beutel