Weltpremiere

Twist it, man!

Virgil Abloh vermag es, klassischen Luxusobjekten eine visionäre, spielerische, multikulturelle Begehrlichkeit hinzuzufügen. Der neueste Scoop: Eine abgefahrene Mercedes G-Klasse als Kunstinstallation.

Mit dem „Project Geländewagen“ hat Mercedes-Benz einen Scoop gelandet und mit dem Universalkünstler, Architekten, Modedesigner und DJ Virgil Abloh zusammengearbeitet. Gemeinsam wollte man etwas erschaffen, das es in dieser Form in beiden Branchen noch nie gegeben habe, definierte Chefdesigner Gorden Wagener die Herausforderung. Das Ergebnis ist ein Kunstwerk auf Basis der G-Klasse, am 8. September wird es weltweit auf mercedes-benz.com präsentiert. Inga Griese konnte einen Blick vorab drauf werfen und mit den Designern sprechen.

Skype funktioniert. Es ist früher Morgen in Chicago, Virgil Abloh trägt einen dunklen Hoody, seine schwere, schwarz umrandete Brille und sitzt in einem echten, lichten Raum, man hätte vielleicht gerade bei ihm eine der digitalen Inszenierungen von Hintergrund, die mit dem Fortschreiten des Homeoffice immer angesagter sind, erwartet. Bei ihm wäre es sicher vieldimensional, cool und verspielt zugleich. Wie das neue Showformat, das er im August für seine Louis-Vuitton-Männerkollektion in Shanghai präsentierte. Aber der Kosmopolit Abloh ist eben immer auch authentisch. Gorden Wagener wiederum sitzt in Stuttgart vor einem Foto, das ein Künstler von ihm und seiner Frau gemacht hat. 1,50 x 1,50 Meter groß. Kurzes Geplänkel über die Corona-Situation in den USA und Europa, Wagener sagt noch, er habe ihm, Virgil, was auf WhatsApp geschickt, Abloh checkt kurz, „Yeah“, und dann geht es ums Thema.

 

Virgil, was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Abloh: Ich habe meine Karriere mit Architektur und Ingenieurswesen begonnen. Ich fing an mit Mode zu arbeiten, um zu verstehen, welche kulturelle Komponente Design haben kann. Mode ist der Bereich, der der Kunst am nächsten ist, jedenfalls aus landläufiger Sicht, wobei Mode meiner Meinung nach nicht die Grenze markiert, wie man Kunst anwenden kann. Ich war schon immer von Autodesign fasziniert und fand auch immer, dass Mercedes-Benz Klassenbester in Luxus und Leistung ist. Also, ein perfektes Vehikel, um die Vorstellungen moderner Künstler von künftigen Stilwelten in Fahrzeugdesign einfließen zu lassen. So kam es zur Unterhaltung zwischen Gorden und mir.

Wagener: Es war schon cool, als Virgil mich einlud. Wir kannten uns nicht persönlich und trafen uns im Louis Vuitton Headquarter an der Pont Neuf an einem regnerischen Tag. Es war Wochenende, alles war zu, erst kam ich gar nicht rein. (Virgil lacht, amüsiert, wie er es noch öfter tun wird. „Yeah“) Das Studio war nicht ganz so, wie ich es von einem Modedesigner erwartet hätte, DJ Mischpult, Kunst, funky Sachen überall. Wir waren gleich auf einer Ebene, kreative Fetzen flogen nur so. Virgil malte kirchenähnliche Mercedes-Türme, aus denen der Wagen rein und raus kam, es war wie Performance-Art, wir hatten gleich das große Bild. Eine ganzheitliche Lösung, natürlich noch kein fertiges Objekt.

Wie passen Ihre Welten zueinander?

Abloh: Es ist genau wie Gorden sagt, Mercedes-Benz nur eine Automarke zu nennen limitiert die Bedeutung. Wenn ich an Mercedes denke, dann denke ich eher an eine Stimmung, einen Spirit, denn an ein Objekt. Unsere Zusammenarbeit basiert auf der Unterhaltung zwischen zwei Leuten über die Idee eines emotionalen Outputs, ein Crash zwischen meiner Welt und meinen Vorstellungen und Gordens Universum, getragen vom starken Rückgrat der Marke.

Ist es angesichts der Diskussionen über Klimawandel der richtige Zeitpunkt, ein Auto als Objekt der Begierde darzustellen?

Wagener: Das ist eine sehr deutsche Diskussion, keine internationale Perspektive. In Kalifornien zum Beispiel ist Umwelt ein noch ein größeres Thema, aber Elektroautos zu fahren ist dort eher cool als besonders umweltbewusst. Was meinst du, Virgil?

Abloh: Was war noch die Frage?

Ist ein Auto immer noch ein Objekt der Begierde oder ein Objekt der Kritik? Was sich nach Corona womöglich wieder geändert hat.

Abloh: Der emotionale Fokus richtet sich wieder auf persönliche Freiheit, Mobilität, in der Lage zu sein, unterwegs zu sein, zu reisen. Und Autos stehen dafür. Aber dafür ist Gorden der Experte, so wie ich darüber reden kann, warum Mode wichtig ist in der Bekleidungsindustrie.

Wagener: Durch Covid-19 hat das Auto sogar eine weitere Bedeutung hinzugewonnen , es ist auch als sicherer, isolierter Raum entdeckt worden, eine geschützte Blase in Zeiten von sozialer Distanz.

Die G-Klasse gibt es seit 41 Jahren, gilt als Ikone mit Charakter, Fans sagen, es wäre noch ein echtes Auto für Männer, keine fahrende Telefonzelle. Haben Sie deswegen das Model ausgewählt?

Abloh: Es ist das Modell, das ich selbst seit ungefähr zehn Jahren täglich fahre. Es hat Klasse, ist zeitlos, repräsentiert die Beständigkeit von gutem Design, es beeindruckt mich, dass es nicht altert.

Wagener: Im Luxus geht es um ikonische Produkte. Und Mercedes-Benz ist eine ikonische Marke in ihrer Geschichte und ihrem Erbe. Die G-Klasse ist Teil dieses Erbes. Gleichzeitig bedeutet Luxus immer auch Vielfalt und Exzentrik, auch wenn das mehr noch für die Mode gilt als im guten alten Autobusiness. Deswegen bin ich ja besonders froh über diese völlig neuen Aspekte, die Virgil ins Projekt bringt.

 

Warum haben Sie der doch so geschätzten G-Klasse eigentlich ein Facelift verpasst?

Wagener: Kein Facelift, bis auf zwei kleine Teilchen ist es ein völlig neues Modell. Ich war nie ein großer Fan vom ersten Modell, aber das hat vielleicht auch mit dem Designer-Ego zu tun. Jeder Designer möchte ein starkes Statement setzen. Wenn man jetzt beide nebeneinanderstellt, sieht man die unterschiedlichen Proportionen, wie erwachsen es geworden ist. Das Interieur ist eine ganz neue Welt. Und von wegen Männerauto: Meine Frau liebte den G mehr als ich.

Abloh: Ich kann klar sagen, dass Gordens Modell eines der besten Designs meiner Generation ist. Ich erinnere mich an das Telefon, das ich vor dem iPhone hatte, ich fand es großartig. Jetzt hab ich ein iPhone, und es hat meine Beziehung zu dem Gerät völlig verändert. Und ich hatte vorher ein Auto, mit dem ich absolut zufrieden war, aber jetzt habe ich das perfekte gefunden und gleich zwei davon.

Wagener: Identisch, für dich und deine Frau, richtig? In Sahara-Beige, oder?

Abloh: Genau. Und wenn sich ein Objekt richtig anfühlt, dann ist es richtig.

War Ihre Zusammenarbeit einfach, bei zwei so starken Designern?

Wagener: Für mich: ja! Ab einem bestimmten professionellen Level hat man Ego nicht mehr nötig, sondern genießt das kreative gemeinsame Herumspinnen.

Abloh: Ein Deutscher und ein Amerikaner, beide mit einer starken Vorstellung von Design – so war es. Aber Gorden hat es richtig erklärt: Unsere erste Unterhaltung war voller Ideen, kein Richtig oder Falsch, und so kamen wir schnell auf ein neues Level von gemeinsamem Design, diskutierten über Metaebenen, Ethos, was bedeutet das Auto, wie kann es anders sein. Aber wir waren nicht radikal, nach dem Motto: Lass es uns erst zerstören, damit was Neues entsteht, was sehr gängig heute ist. Unsere Zusammenarbeit ist ein Beweis für das Zutrauen in unsere jeweiligen Welten, dass eine Basis dafür vorhanden war, etwas zu rocken, was eigentlich schon perfekt ist.

Das erinnert mich an die „Birkin Bag“, die Sie kürzlich auf Ihrem Instagram Account gezeigt haben: Als wäre sie für „Game of Thrones“ modifiziert worden, aber mit viel Respekt vor dem Original. Ist ihre G-Klasse noch eines?

Abloh: 100 Prozent! Das ist mir wichtig. Aber wir zeigen sie einer heutigen Generation.

Sie haben Ihr Projekt bereits vor der Ausbreitung von Covid begonnen, aber nun taugt die G-Klasse plötzlich auch als Symbol für Themen, die im Zuge der Pandemie wieder an Wertschätzung gewonnen haben. Authentizität, Echtheit, Qualität, unabhängig sein, sich sicher fühlen, die Übersicht behalten. Was meinen Sie?

Abloh: Gorden can start.

Wagener: Die Pandemie hat uns sicherlich wieder daran erinnert, welche Werte wirklich zählen.

Abloh: Wir leben in einer Phase, in der die Menschen zu Hause bleiben sollen, Konsum auf die Zeit verschoben wird, wenn das Leben wieder normal läuft. Deswegen ist ein Projekt wie dieses gerade jetzt richtig und wichtig, weil es auf der konzeptionellen Idee basiert, den Menschen eine kleine Flucht zu ermöglichen. Es ist von vornherein als eine digitale Show gedacht, und die Leute können von überall daran teilhaben. Kunst und Kultur sind wichtig in Zeiten, in denen wir dringend eine paar Träume brauchen. Es zeigt auch, wie modern Mercedes-Benz ist, einen Künstler-Designer wie mich einen Moment kreieren zu lassen. Modenschauen haben wir wieder und wieder gesehen, doch dies ist ein kultureller Moment in einem Jahr, in dem es nicht viele Gelegenheiten für solche Erlebnisse gibt. Es ist schon einzigartig, jetzt ein Auto vorzustellen, an dem wir intensiv gearbeitet haben.

 

Wie eigentlich genau?

Abloh: Wir trafen uns in Stuttgart persönlich, und zwischendurch kommunizierten unsere Studios per Videokonferenz.

Wie klappt es mit der digitalen Kreativität?

Abloh: Ich bin nicht jung, aber ich bin aufgewachsen mit diesem Werkzeug. Mein Team ist viel jünger als ich, sie treiben den Brückenbau zwischen digitalen und physischen Formaten voran. Ich war noch nie so viel in Video-Konferenzen wie jetzt.

Wagener: Was ist die wirkliche Wirklichkeit? Die meisten Menschen können das Projekt nur auf dem Bildschirm sehen.

Brauchen wir überhaupt noch den direkten menschlichen Austausch?

Abloh: Wir brauchen beides, digital und physisch, einen modernen Mix.

Aber wir sind keine Avatare, sondern noch Menschen.

Abloh: (lacht) Das stimmt!

Wagener: In unserem globalen Designnetzwerk arbeiten wir digital, machen Konferenzen, schicken Daten um die Welt, wir sind alle damit aufgewachsen. Es gibt viele Möglichkeiten, und die Pandemie hat gezeigt, dass man sie besser nutzen kann als zuvor. Das hat viele gute Seiten, ich liebe das Reisen, aber man hat plötzlich so viel mehr Zeit, keinen Jetlag. Andererseits nervt es auch, den ganzen Tag in Video-Calls zu hängen. (Virgil Abloh nickt federnd)

 

Virgil, die G-Klasse hat das Image, eine Männerdomäne zu sein. Sie haben kürzlich einen Sneaker mit „his and hers, hers and his“ untertitelt. Spielen Sie mit den Autoklischees genauso?

Abloh: Dieses Auto ist ein gutes Beispiel, wenn man daran denkt, was in der Welt los ist. Unsere Zivilisation ist wahrscheinlich die beste im Nicht-länger-in-Schubladen-einsortieren. Genau das ist es, worum es in 2020 geht. Für mich gibt es nichts Cooleres als eine Frau, die eine G-Klasse fährt. Es ist nämlich nicht das Design, das die Schubladen fertigt, es sind Menschen, die andere dort hineinstecken. Ich mag Grenzüberschreitungen, wenn Dinge nicht in die vorbereiteten Schubladen passen, den unerwarteten Twist, wie dieses Projekt jetzt auch.

Mir gefällt die Leichtigkeit der Idee, dass Frauen tun, was Männer machen können, und umgekehrt. Doch gerade erleben wir Rückschritte, beziehungsweise keine Fortschritte in Sachen Toleranz auf vielen Ebenen. Es werden vor allem im Internet Moralschubladen aufgezogen, die Lufthoheit über die Meinungsvielfalt ist gerade in der vermeintlich freien Welt schwer umkämpft. Sie sind alles andere als ein Fähnchen im Wind, aber Sie scheinen dem Leben im besten Sinn eher gelassen und spielerisch zu begegnen?

Abloh: Ja. Alle arbeiten an einer besseren Welt.

Wagener: Wir Designer arbeiten quasi immer daran.

Aber wer definiert, welches die bessere Welt ist?

Abloh: Das ist die große Frage für ein größeres Publikum.

 

 

Ein Kunstobjekt von Virgil Abloh und Gorden Wagener. Eine maßstabsgetreue Replik wird im Anschluß an die digitale Präsentation am 8. September auf mercedes-benz.com versteigert. Der Erlös geht an eine gemeinnützige Organisation zur Kunstförderung. 

 

Interview
Inga Griese
Fotos
Verena Müller