Als der britische Thronfolger vor zwölf Jahren das von Ausverkauf und Verfall bedrohte Dumfries House im schottischen Irgendwo kaufte, hatte er einen Plan, den nicht jeder verstand. Er wollte Herrenhaus und Gegend regenerieren. Soll heißen: für Touristen, aber vor allem für die Einheimischen, die Arbeit und Perspektive finden sollen. Es ist gelungen, es bleibt ein fortwährender Prozess.
Bei Charles zu Hause
Längst kommen auch die Mitglieder der britischen Königsfamilie nicht mehr daran vorbei, ihr öffentliches Image zu steuern. Doch gibt es Orte, an denen die Chancen gut stehen, etwas mehr vom Menschen hinter dem Bild zu erhaschen. Wer beispielsweise erkunden will, was Prinz Charles umtreibt, sollte ganz in den Südwesten Schottlands in die Grafschaft Ayrshire fahren: Zwischen grünen Hügeln, auf denen die braun-weißen Ayrshire-Kühe grasen, liegt Dumfries House. Ein Herrenhaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts inmitten eines 120 Hektar großen Parks, in dem es über zweihundert Jahre alte Mammutbäume gibt, die gut 30 Meter hoch in die Landschaft ragen.
Ich treffe Prinz Charles am Ladies Well, einem historischen Brunnen im Park, der gerade restauriert wurde. Sein Pressechef Julian Payne stellt mich vor. Im Vorfeld, so erfahre ich, wird Charles über jeden, den er persönlich trifft, genau gebrieft. Es ist eine sehr herzliche Begegnung. Der Prinz freut sich sichtlich, dass ich extra aus Deutschland angereist bin, um über sein Dumfries House zu schreiben. Mit den tiefblauen Augen strahlt er mich an, will genau wissen, was ich schon alles gesehen habe und was ich davon halte. Charles liebt Schottland seit er in frühester Kindheit viel Zeit mit seiner geliebten Großmutter, Queen Mum, in deren Heimat verbrachte. Diese Gegend südlich von Glasgow hat er besonders in sein Herz geschlossen.
Wir unterhalten uns über Malerei. Der Prinz malt ebenfalls. Und ist ganz der Künstler: Jedes Mal habe er Selbstzweifel, wenn er wieder vor einer weißen Leinwand sitzt. Wer einmal eines seiner Bilder gesehen hat, weiß dass diese unbegründet sind. Beim Spaziergang durch den gepflegten Park begegnen wir immer wieder Kunststudenten, die an ihrer Staffelei malen: die chinesische Brücke, das Schloss, den See mit den vielen Seerosen. Prinz Charles freut sich sichtlich über die jungen Talente. Auch im Park entgeht ihm kein Detail. Er ist begeistert, wie sehr die in allen Blautönen blühenden Lupinen seit seinem letzten Besuch gewachsen sind, und bemerkt, dass an einem prächtigen Rosenbusch ein Trieb noch nachgeschnitten werden muss. Von seinem Gärtner erfahre ich später, dass der Hausherr am Abend oft selbst mit der Gartenschere unterwegs ist. Der Park steht allen Besuchern offen, selbst wenn der Duke of Rothesay – wie Charles in Schottland offiziell genannt wird – anwesend ist. Das kann zu komischen Situationen führen. Einem Rentnerehepaar, das bei seinem Ausflug fast in den künftigen König reinläuft, nimmt der durch eine kurze Plauderei die Hemmungen.
Vor zwölf Jahren kaufte er das Anwesen, um es vor dem Verfall und die einmalige Sammlung von Chippendale-Möbeln aus dem Rokoko vor dem drohenden Ausverkauf zu retten. Noch ein Schloss, mag mancher Kritiker gedacht haben, und ausgerechnet in Ayrshire? „Heritage-led Regeneration“ – Regeneration, indem man das Erbe bewahrt – ist der Ansatz des Prince of Wales und seiner Stiftung. Konkret bedeutet dies, das Bewahren von Kultur und deren Baudenkmälern, um ein harmonisches Lebensumfeld mit Zukunft zu schaffen. Und Zukunft ist etwas, was diese Gegend dringend braucht: Wirtschaftlich ist die Region ziemlich gebeutelt, seit vor 30 Jahren das letzte Kohlebergwerk seine Tore schloss und die ehemals boomende Textilindustrie nach Fernost abwanderte. Tausende Menschen verloren ihre Jobs. Das ehemalige Bergbaustädtchen ist in den vergangenen Jahren von 9000 auf nur mehr 2000 Einwohner geschrumpft.
Charles hat sich ein Netzwerk an wohlhabenden Stiftern ins Boot geholt, setzt der Hoffnungslosigkeit der Region Bildung und Weiterbildung entgegen. In den ehemaligen Stallungen, Scheunen und Gesindehäusern von Dumfries House sind heute moderne Einrichtungen entstanden: eine Lehrküche, eine Schneiderei, eine Tischlerei, eine Zeichenschule, eine Farm mit alten Tierrassen, eine Gärtnerei und ein voll ausgestattetes MINT-Labor. Hier arbeiten Menschen wie die Biologin Karen Alexander. Auch Schulklassen kommen zu ihr und untersuchen im Rahmen von Projekttagen die Luftqualität anhand von Bioindikatoren, filtern Wasser mit Naturmaterialien und lernen auf diese Weise einiges über Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Rund 8000 Schulkinder kommen pro Jahr. Sie können sich so aneignen, wie man Kleidung selbst näht, Gemüse anbaut oder gesunde Gerichte kocht. Sie lernen die unterschiedlichen Tierrassen kennen, füttern, misten Ställe aus. Im Sommer finden Zeichen- und Architekturkurse für ältere Schüler und Studenten statt.
Ganz gezielt spricht das Team von Dumfries House die Arbeitslosen aus der Umgebung an. Michael Nowack, ein Mann von 27 Jahren, hatte weder Job noch Wohnung, als er in Dumfries House einen Crashkurs in Gastronomie angeboten bekam. Sechs intensive Wochen lang lernte der Ex-Soldat, wie man Gäste empfängt, wie man serviert, Weine empfiehlt und nicht zuletzt Grundwissen im Kochen und die Abläufe in der Großküche. Dreimal pro Jahr finden diese Kurse statt. Nowack stellte sich dabei so gut an, dass Charles ihn als Butler einstellte. Wenn Not am Mann ist – beziehungsweise erhöhter Butler-Bedarf im Buckingham Palace oder in Windsor Castle – reist Nowack an und hilft.
Insgesamt haben 200 Menschen hier einen Job gefunden, und noch viele mehr sind durch die Crashkurse in Gastronomie und Schneiderei wieder in Lohn und Brot gekommen. Die Mitarbeiter von Dumfries House führen Besucher herum, arbeiten im Café, in der Gästelodge – hier kann man auch übernachten –, auf der Farm, im Garten oder auch als Betreuer und Hausmeister im Gemeindehaus von New Cumnock, der Nachbargemeinde.
Das marode Gemeindehaus stand leer und sollte eigentlich einem Parkplatz weichen, als Prinz Charles beschloss, es mit seinem Prince’s Trust für die Gemeinde zu retten. Auch hier ließ er das historische Gebäude sorgfältig renovieren und mithilfe eines Sponsoren großzügig ausstatten. In der geräumigen Küche finden Kochkurse für alle Altersgruppen statt – jedes vierte Kind in der Region ist von Armut bedroht. Der große Saal mit dem Holzboden und mehreren Sitzreihen auf der Empore dient gleichzeitig als Kino, Ballettstudio, Disco und Theater. Es gibt Tischtennis, Karate und Tanzkurse. Sogar Hundetraining wird angeboten. Es ist ein lebendiger, fröhlicher Ort, der von den Menschen in New Cumnock dankbar angenommen wird.
Gegenüber vom Gemeindehaus befindet sich das Freibad der Stadt, ebenfalls von der Prince’s Foundation renoviert und betrieben. Charles hatte die Idee, die Türen der Umkleidekabinen in sämtlichen Pastelltönen zu streichen, was dem Pool in der schottischen Kleinstadt eine südländische Note verleiht. Die Einheimischen nennen es daher ihren Lido – und es geht dort ähnlich betriebsam zu wie beim venezianischen Namensgeber. Bademeister Andy Clapperton versichert noch dazu, es handele sich um eines der wenigen Schwimmbäder, die ihre Betriebskosten wieder hereinwirtschaften.
Etwas abseits, auf einer Anhöhe hinter einem Wäldchen, liegt ein Spa im Schlosspark. Hier können Frauen aus der Umgebung, die von Krebs oder anderen schweren Krankheiten betroffen sind, sich massieren lassen, über gesunde Ernährung informieren, beim Yoga entspannen. Eine Überweisung ihres Hausarztes genügt.
In nur wenigen Jahren ist Dumfries House so zu dem Ort geworden, an dem die Visionen des künftigen Königs von England begreifbar und erlebbar sind. Als der im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag feierte, widmeten ihm viele Zeitungen lange Porträts, die oft damit begannen, dass er seinen Job überhaupt erst im Rentenalter beginnen wird. Das klingt fast so, als hätte er die vergangenen 50 Jahre in der Warteschleife verbracht.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Charles geht auf in seiner Arbeit für die Prince’s Foundation und vieler anderer Stiftungen, die er selbst gegründet hat oder deren Präsident er ist. Wer das Glück hat, ihm zu begegnen, merkt schnell, dass all das kein Job ist, sondern ein inneres Bedürfnis. Ganz egal, was der Zeitgeist gerade sagt – und wie sich das mit Image verträgt.