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NUMMER 44

Weltmeister Lewis Hamilton rast mit Mercedes von Sieg zu Sieg in der Formel 1. Mit der gleichen Ambition möchte er die Welt ein bisschen besser machen. Und die Mode. Das sind keine Widersprüche, stellte Inga Griese fest, als sie den Briten im Computer traf

Die Auflagen sind streng, nur wirklich nötige persönliche Kontakte sind erlaubt. Das Treffen mit Lewis Hamilton findet also am Bildschirm statt. Der Formel-1-Star kommt direkt vom Training, schwingt sich hinter einen Tisch und streicht sich über die Haare, die zu kleinen Lockenbüscheln gedreht sind. „Ist es okay?“ Ist es. Macht die Situation persönlich, Aufnahmen sind eh nicht vorgesehen. Und es passt zu dem, der Lewis Hamilton geworden ist: Ein Mann, der seine Bling-Bling-Phase hinter sich hat, der an seinen großen Erfolgen nicht nur als Fahrer, sondern auch als Mensch gereift ist. Jüngst hat der britische Weltmeister ausgerechnet auf dem Nürburgring mit dem 91. Sieg den All-time-Rekord von Michael Schumacher eingestellt. Auf Instagram hat er mehr als 20 Millionen Follower, in sein Profil dort hat er geschrieben: „Vegan. Liebe Tiere. Suche ständig nach meinem Sinn, nach Abenteuer, Offenheit und Zuversicht. Ich liebe die Kraft des Universums.“ Man sieht ihn dort in seiner Wahlheimat Monaco mit Bulldogge Roscoe am Strand, mit dem Helm von Michael Schumacher, den dessen Sohn Mick dem gerührten Sieger am Nürburgring überreicht hat, er benutzt seine Popularität aber auch für gesellschaftspolitische Anliegen wie die Rechte der „people of colour“. Und dann ist da noch der Hinweis tommy/tommyxlewis. Seine Zusammenarbeit mit Tommy Hilfiger. Die für mehr steht als einen Werbevertrag. Unser „Boxenstopp“ ist kurz getaktet, wir sollen das Interview schnell führen – doch Hamilton will nicht rasen.

Lewis, geht es Ihnen gut?

Ja. Sind Sie gesund?

Ja, danke. Erzählen Sie doch mal von Ihrer Kooperation mit Tommy Hilfiger, es ist schon Ihre fünfte Kollektion.

Es scheint ewig her, dass wir dran gearbeitet haben. War es Dezember, Januar? Das fühlt sich in diesem merkwürdigen Jahr wie ein Leben an. Aber das wichtigste Thema dieser Kollektion bleibt, es geht darum, die Nachhaltigkeit voranzutreiben. Und wir haben Partner-Unternehmen gesucht, die wirklich nach diesem Prinzip arbeiten. Sodass wir die Herstellung wirklich in die Richtung bringen können, die mir richtig erscheint. Die erste Kollektion war zu 25 Prozent nachhaltig produziert und nun, bei der neuesten Kollektion, sind es etwas mehr als 75 Prozent, darauf bin ich sehr stolz. Und dankbar. Und es geht auch um Inklusion: Die letzte Show war ziemlich divers, das ist mir ein sehr wichtiges Anliegen.

Das erstaunlicherweise wieder thematisiert werden muss. Man dachte ja, es wäre längst Common Sense.

Leider nein. Viele farbige Menschen haben anderes erlebt. Ich finde es sehr wichtig, dass die Industrie sich verantwortlich fühlt, deswegen wollte ich auch gerne mit Tommy Hilfiger zusammenarbeiten. Ich weiß, dass er zukunftsorientiert ist. Er denkt nicht in Grenzen. Als ich ihm sagte, dass Nachhaltigkeit und Diversität die beiden Säulen wären, auf denen ich meine Zusammenarbeit mit ihm aufbauen möchte, hat er gleich verstanden.

 

Lewis Hamilton in seiner aktuellen Kollektion für Tommy Hilfiger

Ein ehrenwerter Ansatz, aber große Modetanker sind nicht so schnell umzusteuern.

Genau, und leider gab es bis jetzt auch nicht genug Nachfrage nach gewissen ethischen Arbeitsweisen und viele Marken machen weiter wie immer. Aber je mehr Nachfrage, desto schneller und besser wird die Technologie und desto leichter der Wandel. Die Produktionsbedingungen in Indien zum Beispiel sind verheerend – und wir müssen einfach weiter Druck machen. Da möchte ich dabei sein.

Man muss Fehler aber auch erst einmal erkennen. Als ich jünger war, war Rauchen eine Selbstverständlichkeit, man war umgeben von Qualm. Es dauerte, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, wie schädlich es ist.

Manchmal stehen wir uns selbst im Weg, was?

Wie kamen Sie zum Thema Nachhaltigkeit? Sie sind Formel-1-Fahrer, was nicht gerade auf dasselbe Thema einzahlt.

Danke für die Frage! Denn das ist ein Konflikt, mit dem ich mich auseinandersetze. Ich habe mich bereits als Fünfjähriger für Rennen interessiert und es war mein Traum, ein Formel-1-Fahrer zu sein. Ich denke, es war auch der Traum meines Vaters und so haben wir es gemeinsam vollbracht. Ich bin wie viele Jungs mit einer Leidenschaft für Autos aufgewachsen und bin jetzt zugleich in einem Konflikt, da wir einen großen Einfluss auf die Umwelt haben. Durch meine Arbeit habe ich jedoch eine große Reichweite, die ich gerne nutzen möchte, um Themen voranzubringen. Ich werde nicht immer Rennen fahren, und ich ändere bereits mein Verhalten. Ich habe meine Flüge stark reduziert, bin Veganer und mein Haushalt, so wie mein Management-Team, arbeiten klimaneutral. Viele Firmen werben damit, dass sie für ein Jahr klimaneutral sind – ich möchte es während meiner ganzen Karriere sein. Als großer Schritt in die richtige Richtung.

Aber Rennen gewinnen wollen Sie noch?

Klar, ich will die Weltmeisterschaft gewinnen! Es war so schwer, bis hier zu kommen. Und ich denke, ich bin es meiner Familie, meinem Großvater schuldig.

Ein Sieg in der Formel 1 schließt mehr Bewusstsein für andere Thema ja nicht aus?

Ja! Ich strebe auch Veränderungen in meiner Industrie an, setzte mich für Inklusion und Vielfalt ein. Da ist noch viel Bedarf. Bis Ende des Jahres sollten wir ein klimaneutrales Renn-Team sein, ich ermutige sie auch, kein Plastik zu benutzen. Und da meine Meinung ein gewisses Gewicht hat, versuche ich, eine große Marke wie Daimler-Benz zur Elektro-Technologie in unserem Sport zu animieren. Wir sind Menschen, müssen nicht perfekt sein, aber wenn wir alle ein bisschen – oder auch viel – tun, macht das einen großen Unterschied.

Die Tattoos auf seinen Händen sind nicht aus einer Laune heraus entstanden. Sie bedeuten Lewis Hamilton viel. „Ich habe jede Menge religiöse Tattoos am Arm, auf der rechten Hand eine Sanduhr, denn nicht mal Geld kann Zeit kaufen, mein Sternzeichen Steinbock. Das große mit dem Schwert steht für Loyalität. Einer meiner Freunde ist Fecht-Weltmeister und unsere Clique nennt sich ,Swordman‘. Die andere Hand zeigt die sieben Elemente des Lebens. Je älter ich werde, desto spiritueller werde ich.“  Foto aus der POLICE X LEWIS EYEWEAR COLLECTION

Die Menge der kleinen Teile ergibt das große Ganze.

Es geht darum, andere zu ermutigen. So haben wir bei der ersten Kollektion für Hilfiger Begriffe wie „Loyalty“ oder „Unity“ eingesetzt, weil wir der Welt mitteilen wollten, dass wir uns mehr denn je vereinigen müssen. Und das bleiben Grundwerte der Kampagne. Schauen Sie die Welt an: Wir sind trotz der Unterschiede doch eine Rasse. Wir haben alle dieselbe Blutfarbe. Aber das Problem etwa mit der Ungerechtigkeit gegenüber der afroamerikanischen Bevölkerung in Amerika ist krass. Es gibt noch sehr viel zu tun, und es fängt alles mit der Bildung an, die müssen wir pushen. Und das gilt nicht nur für die USA. Auch in Europa, schauen Sie nach Belgien oder Großbritannien, gibt es Statuen, die die Sklaverei verherrlichen, und Kinder laufen an ihnen vorbei und denken womöglich, das sind die Leute, auf die man stolz sein soll.

Nicht mehr lange, oder?

Hoffentlich. Aber ich versuche zu verstehen. Warum gibt es zum Beispiel nicht mehr diverse Schulen? Was sind die Barrieren? Warum gibt es nicht mehr Asiaten oder Schwarze, die studieren – oder sie studieren, aber beenden das Studium nicht …?

Frauen …?

Genau, warum gibt es keine Frauen in unserem Business? Es hat auch mit Verantwortung zu tun und da bin ich stolz auf Mercedes, weil sie offen sind für Verbesserung, bei der Formel 1 und auch in anderen Sportarten.

Aus dem Off kommt die höfliche Ansage, dass wir das Interview-Rennen bald beenden müssen. Wir brauchen noch Zeit, erwidert Hamilton.

Verfolgen Sie immer noch die Idee, Modedesigner zu sein?

Nun, ich lese gerade viel darüber, was in der Modewelt passiert, die Industrie wurde hart von der Pandemie getroffen, es ist beunruhigend. Wer hätte gedacht, dass sie derart getroffen werden würde. Was ist next? Keine Fashionshow, alles online, weniger Kollektionen? Es gab so viele Produkte! Vieles hat sich geändert, ich bin sehr gespannt auf die Zukunft, darauf, was Firmen wie Tommy machen werden und ich denke, ein zentraler Punkt wird die Nachhaltigkeit sein, denn wir können nicht weiter so produzieren wie bisher. Ich bewundere Tommy sehr – schauen Sie, was er in 35 Jahren aufgebaut hat, und es ist toll, mit ihm zu arbeiten. Doch mein Traum wäre es, eine Marke wie er aufzubauen, aber komplett nachhaltig. Tommy future.

 

Es gibt viel Angst in der Welt. Sie riskieren beruflich Ihr Leben jeden Tag oder zumindest ziemlich oft – haben Sie eine Empfehlung, einen Tipp, wie man am besten mit Angst umgehen kann?

Ehrlich gesagt, nein. Ich bin ein Mensch wie jeder andere. Was das Rennen anbelangt, habe ich einfach viel Glück gehabt. Wenn man sieht, wie angstfrei Kinder beim Skifahren die Pisten runterrasen, so ist das bei mir. Die Angst, die ich habe, ist eher, das Potenzial meines Lebens nicht ganz auszunutzen, nicht erfolgreich zu sein, nicht so gut zu sein, wie ich sein kann. Auch jetzt mit Covid-19, ich kann nicht richtig arbeiten, verpasse Rennen, könnte die Weltmeisterschaft noch verlieren.

 

Fürchten Sie das Virus?

Vorige Woche habe ich meine Wohnung nicht wirklich verlassen, außer um joggen zu gehen oder am Abend ins Fitnessstudio zu fahren, wenn keiner da war. Aber ich bleibe positiv, bin dankbar, versuche das Licht am Ende des Tunnels zu sehen und nutze die Zeit, um zu lernen und Prioritäten im Leben neu zu ordnen.

Sie benutzen immer die Nummer 44, bei der ich an Anrufe aus London denke.

Witzige Assoziation!

Also Ihre Heimat. Familie ist Ihnen wichtig, richtig?

Ich habe so ein Glück mit der Familie! Ich denke, wenn wir am Ende unseres Lebens stehen, wünschen wir uns nicht mehr Geld zu haben, sondern mehr Zeit mit denen, die wir am meisten lieben. Ich habe vor zwei Stunden mit meinem Vater gesprochen, er vergewissert sich regelmäßig, ob es mir gut geht, er hört nie auf, fürsorglich zu sein. Ich denke bei Rennen und Siegen auch nicht: „Das habe ich alles alleine geschafft.“ Mein Vater hat immer seine Zeit für mich geopfert, hat Chancen genutzt, um mir wiederum Chancen zu bieten, und dafür möchte ich ihn jeden Tag stolz machen. Die 44 hat er ausgesucht, als ich acht war. Als ich zur Formel 1 ging, bekam man eine Nummer vom Team zugeteilt. Vor ein paar Jahren konnten wir uns dann eine aussuchen und ich entschied mich natürlich wieder für die 44. Momentan bin ich vielleicht die Nummer eins in meinem Sport, aber ich werde die 44 nie ändern.

Fühlen Sie sich sicherer damit? Die Eins kann man schnell mal verlieren, aber 44 werden immer Sie sein.

Ja, das stimmt, aber es geht nicht um Aberglauben, und ich fühle mich nicht sicherer, vielmehr verbindet mich die Zahl mit meinem Vater, es ist eine Power-Zahl. Jeder kann eine Eins haben, aber wer hat schon eine 44? Das bin ich.

Sie scheinen zunehmend involviert und interessiert zu sein an Umwelt-, Gesellschafts- und auch Politikfragen, äußern sich öffentlich, sind weniger der Party-Boy, der Sie früher waren. Gab es diesen Moment, in dem Sie gedacht haben: „Ich muss mich verändern“?

Ich versuche, das Gleichgewicht im Leben zu finden. Wissen Sie, wenn man berühmt wird, kann man ausgenutzt werden. Es gibt Leute, zum Beispiel Filmstars oder Musiker, die in Depressionen verfallen, es gibt viel Druck, man steht konstant unter Beobachtung, man wird für alles kritisiert. Ich sagte mir: „Ich werde mein Leben genießen, wie es mir nur möglich ist.“ Aber wenn man dann älter wird, ich bin jetzt 35, dann nimmt man anderes wahr. Ich sah meinen Vater immer Nachrichten sehen, ich selbst tat es nie. Doch eines Tages fing ich damit an, und mir fiel auf, welche Verantwortung ich habe, Kinder sowie Erwachsene folgen mir nicht nur in den sozialen Netzwerken. Mir ist bewusst, dass, was ich tue und sage, auf eine bestimmte Art und Weise aufgenommen werden kann. Wobei meine Werte immer gleich geblieben sind.

Wie zum Beispiel?

Ich bin sehr verbunden mit der emotionalen femininen Seite meiner Mutter. Das ist mir wichtig. Mir liegt dieser Planet sehr am Herzen, er ist so schön! Und wenn ich ihn verlassen werde, möchte ich wissen, dass meine Anwesenheit nicht umsonst war.

Interview
Inga Griese