Louis Vuitton Chef

„Verbote befriedigen mich intellektuell nicht“

 „Alles braucht seinen Kompromiss“. Nachhaltigkeit und Diversität: Michael Burke, CEO von Louis Vuitton, geht die Reizthemen unserer Tage erstaunlich pragmatisch an. Der Erfolg gibt ihm recht.

Chaos am Berliner Flughafen, Stau vom Zielflughafen nach Paris, peinliche Verspätung. Aber Michael Burke, Vorstandschef von Louis Vuitton, schaufelt kurzerhand Termine um und nimmt sich Zeit. Es geht um große Themen.

Er ist der Manager, dem Konzernchef Bernard Arnault vertraut. Vielleicht gerade, weil er leise, klug  und pointiert spricht. Und wahrscheinlich, weil sein Bauchgefühl ihn so selten trügt. Er hat ein Händchen für Personalentscheidungen. Manchmal fragen ihn Kollegen, woher er wusste, dass Nicolas Ghésquière genau der richtige Mann für die Entwicklung der modischen DNA von Louis Vuitton sein würde. Und, dass Virgil Abloh so etwas wie der neue Karl Lagerfeld würde? Als er den Amerikaner als Designer für die Männerkollektionen verpflichtet, dachten viele noch, das wäre nur eine kurzfristige Marketingvolte. Burke lächelt in solchen Momenten.

Michael Burke, 64, stieg Mitte der 1980er-Jahre bei der Arnault-Gruppe ein, aus der der größte Luxuskonzern der Welt wurde. Burke war Chef von Dior, Fendi, Bulgari, seit 2012 ist er CEO von Louis Vuitton und sitzt auch im Aufsichtsrat von Tiffany und LVMH. Mit seiner Frau Brigitte hat er fünf Kinder.

ICON: Nachhaltigkeit, Klima, das sind die Schlüsselworte unserer Zeit. Wie sehen Sie als CEO der größten Luxusmarke das? Was ist Marketing, was ist Wirklichkeit, was macht Sinn?

Burke: Wind. Viel Wind. Richtig ist, dass in unserer Industrie schon lange darüber gesprochen wird. Gleichwohl ist nicht viel passiert. Der Fehler war: Wir haben zu viel geredet, zu wenig getan.

Sie sind doch eigentlich eher ein Macher als ein Schnacker?

Ja. Aber auch das Medienbiest will gefüttert sein. Man muss aufpassen, das man nicht in diese Falle läuft. Wir waren daher nie die lautesten.

Unter Ihrem Vorgänger Yves Garcelle gab es ein papierlos gemanagtes Lagerhaus, als viele Leute es noch unhöflich fanden, wenn man eine Mobilfunknummer statt Festnetz angab.

Wir haben die Lagerdächer schon vor 20 Jahren bepflanzt, recyceln das Wasser seit 20 Jahren. Der Ansatz ist: Mach es zuerst, mach es still, dann kannst du dir noch Fehler leisten. So einfach ist das. Das ist keine Medienstrategie, sondern eine Frage der Effektivität.

Ab wann haben Sie keine Fehler mehr gemacht?

Wir machen sie immer noch. Wir probieren ständig Dinge. Ich wäre fast in die Falle gelaufen, CO2-neutral zu versprechen. Dann dachte ich darüber nach, was das eigentlich heißt. Bullshit. In den letzten vier Jahren habe ich fünf neue Ateliers eröffnet, jedes Mal hätte ich sagen können: CO2-neutral! Es ist ein Waffenrennen um Worte, die gar nichts bedeuten. Aber wir machten in jeder Anlage enorme Fortschritte bei der Reduzierung von Energieverbrauch und im Recycling.

Sollte man nicht einfach zugeben, dass 100 Prozent Nachhaltigkeit in der Modeindustrie gar nicht möglich ist?

Es wird nie möglich sein. Deswegen sind 100 Prozent oder null Prozent, je nach Sprachgebrauch, die absolute Falle.

Zero Covid wird es auch nie geben können. Es gibt ja noch die menschliche Komponente.

Genau. Aber eins aus einer Million wird nicht akzeptiert. Nicht die kleinste Abweichung. Das ist das Problem. Wir haben 15 Jahre gebraucht, bis wir Ziele veröffentlichen, die wir zu 100 Prozent erreichen wollen und können (Anm. d. Red.: siehe das „Sustainability Magazine“ auf Louisvuitton.com). Emissionen nur zu handeln ist nicht aufrichtig und keine Lösung.

 

Tokio
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Michael Burke und Designer Virgil Abloh

Ist der Fokus zu einseitig? Was ist mit Technologie statt Verboten?

Verbote befriedigen mich intellektuell nicht. Was nachhaltig wirkt, sind Gewohnheiten. Positives Verhalten. Plastik zum Beispiel, können wir nicht vermeiden, aber wir können unsere Gewohnheiten verändern, wie wir Plastik einsetzen. Aber „Kein Plastik“ ? Nein. Wir sind doch keine Faschisten. Und egal welcher, die Heiligsprechung eines bestimmten Lifestyle ist nicht demokratisch.

Was können Sie als Unternehmen ganz konkret beeinflussen?

Wir haben unsere Verpackungen völlig verändert, fragen die Kunden, wie sie ihre Bestellung zugeschickt bekommen möchten. Ich akzeptiere zum Beispiel keine portofreie Zustellung. Man kann sich nicht einerseits sensibel geben und dann „free shipping“ verlangen.

Das ist in Ihrer Marktposition leichter als für andere Marken.

Nun, die Sofortlieferung kostet ein Vermögen, auch ökologisch. Ein Lastwagen fährt quer durch die Stadt, um eine Handtasche auszuliefern. Das ist doch kriminell. Und dann sagt eine Firma, sie sei umweltbewusst.

Alles hat seinen Preis, oder?

Ja. Und den müssen wir akzeptieren, aber auch verstehen. Wir verlieren bestimmt einigen Umsatz durch unsere Lieferpolitik. In Frankreich, den USA oder Italien zu produzieren, ist auch kostenintensiv. Hermès, Chanel und wir sind die einzigen, die noch in Frankreich produzieren. Aber wir glauben daran, einerseits, um Arbeitsplätze zu erhalten und um Lieferwege zu verkürzen.

Luxus an sich ist nachhaltig. Man behält die Dinge länger, reicht sie weiter, vererbt sie.

Burke zeigt auf seine schwarzen Schnürschuhe. Besohlt sie wieder und wieder. Ich habe sie seit 20 Jahren. Und sie werden immer besser, bekommen Patina. Oder die Verpackungen. Wir machen die Boxen so, dass man sie behalten will, gebrauchen kann mit den kleinen Schubladen. (lacht) Meine Enkelin bewahrt darin Spielzeug auf.

Die Kartons sind receycelt?

Ja. Wobei es mich einige Mühe kostete, das durchzusetzen. Nicht alle Designer mögen es, wenn sie nicht alle Farben und Papierqualitäten einsetzen können. Aber nicht jede Farbe oder Oberflächenbehandlung ist gut recycelbar. Alles braucht seinen Kompromiss.

Aber Designer wollen doch auch nachhaltig arbeiten?

Am Tag nach der Show. Nicht am Tag davor. Wir haben alle unsere Widersprüche.

Ist Ihre Strategie, niemals Nachlässe zu geben, Teil der Nachhaltigkeitsstrategie?

Wenn wir sie gäben, würden wir unsere Umsätze um zehn Prozent steigern. Auf kurze Sicht ein großer Verlust, auf lange Sicht macht es Sinn. Und wenn einer sagt: „Das ist viel zu teuer“, dann frage ich: „Wer entscheidet das?“. Eine Handtasche wird heute einmal im Geschäft und dann fünf, sechsmal weiterverkauft. Das ist gesund. Früher wurde die Tasche vererbt. Heute wird sie weiterverkauft. Großartig. Blockchain hilft uns, die Wege nachzuvollziehen. Diese Verkäufe nehmen zu, und das ist großartig.

Sorgt die Preisstabilität für mehr Begehrlichkeit?

Luxus ist an der Kreuzung zwischen Vernunft und Gefühl. Aber Gefühle sind nicht irrational. Und der Erwerb eines Luxusprodukt hat immer emotionale und rationale Gründe.

 

Arnold Schwarzenegger sagt, es muss eine Bürgerbewegung geben, um die Mauer der Umweltignoranz niederzureißen. Aber man sollte die Menschen nicht erschrecken und beschimpfen, sondern sie mitnehmen.

Verbote bedienen nur die Extreme. Aber das ist das Problem unserer Tage. Alle sind geradezu bewaffnet. Wir hören nicht die Mitte, alles ist polarisiert.

Sehen Sie eine Lösung?

Positiv bleiben wie Schwarzenegger. Entwaffnen, depolitisieren.

Aber wie?

Wir Wirtschaftsführer müssen Vorbild sein. Führen mit gutem Beispiel. Nicht durch politische Statements. Das geht meist nach hinten los.

Haben Sie persönliche Gewohnheiten verändert?

 Jeder kleine Schritt führt zu einem Ergebnis. Wir haben zum Beispiel in unserem Appartement in London am Boiler einen Zähler, der die Kilowatt zählt. Daneben zählt einer den Verbrauch in Pfund. Das sorgt für ein ganz anderes Konsumverhalten.

Wie passen Nachhaltigkeit und Wachstum zueinander?

Demokratien brauchen Wachstum. Die einzige Volkswirtschaft, die kein Wachstum braucht, ist eine totalitäre. Aber wer will das?

Sie wachsen auch in China.

Das Wachstum dort ist nicht größer als in Europa. Und der Konsum ist ein Bruchteil von dem in den Amerika. Es ist auch zu einfach die Chinesen zu kritisieren, sie holen auf, was Nachhaltigkeit angeht.

 

Die Schwester von Nachhaltigkeit ist Diversität. Wie ist ihre Sicht darauf?

Oder die Cousine? Auch hier ist dasselbe Problem zu beobachten: Worte versus Aktion. Wir brauchen keine Quoten, es ist viel wichtiger, wen Sie einstellen, egal welche Hautfarbe oder Ethnie. Und wenn Sie etwas verändern wollen, stellen Sie Menschen andere Herkunft ein und geben ihnen eine Machtposition. Daran glaube ich, danach handle ich.

Das war aber nicht der Grund, warum Sie den in Ghana geborenen Designer Virgil Abloh geholt haben.

Definitiv nicht!

Er scheint jedenfalls das kreative Kraftzentrum im Konzern zu werden.

Wir waren gerade essen im „ Cheval Blanc“, er steigt auch in das Thema Gastlichkeit und andere Produkt-Kategorien bei LVMH ein. Er ist einfach begabt.

Können Sie Shitstorms aushalten? Viele Wettbewerber nehmen sofort ein Produkt aus dem Sortiment, wenn in den Sozialen Medien nur die geringste Befindlichkeit deswegen geäußert wird.

Ich entscheide in diesen Situationen allein, für das Unternehmen aber auch als Mensch. Ohne Strategie sondern nur nach der Überlegung: Ist es richtig oder falsch?

Kürzlich gab es ein ziemliches Bohei um einen Druck in Abloh’s Kollektion, der angeblich die afrikanische Kultur verunglimpfe.

Ja, alle riefen an: ‚Michael, du musst es rausnehmen! Es ist schrecklich. Ein Shitstorm!‘ Ich fragte, was genau das Problem sei. ‚Es ist afrikanisch! Wir werden gekreuzigt!‘ Ich ließ den Stoff kommen, schaute drauf und sagte: ‚Wenn wir diesen Stoff aussortieren, sortieren wir Afrika aus. Der Designer ist Halb-Ghanaer, und wissen Sie, warum der Kente-Print so afrikanisch aussieht? Weil sein Vater ihn trug. Dürfen Halb-Schotten auch keinen Kilt mehr tragen?‘ Wir haben den Print behalten. Ohne Diskussion.

 

Michael Burke, Model Joan Smalls und Designer Virgil Abloh bei einer Veranstaltung in Paris. Foto Inga Griese.

Können Sie Shitstorms aushalten? Viele Wettbewerber nehmen sofort ein Produkt aus dem Sortiment, wenn in den Sozialen Medien nur die geringste Befindlichkeit deswegen geäußert wird.

Ich entscheide in diesen Situationen allein, für das Unternehmen aber auch als Mensch. Ohne Strategie sondern nur nach der Überlegung: Ist es richtig oder falsch?

Kürzlich gab es ein ziemliches Bohei um einen Druck in Abloh’s Kollektion, der angeblich die afrikanische Kultur verunglimpfe.

Ja, alle riefen an: ‚Michael, du musst es rausnehmen! Es ist schrecklich. Ein Shitstorm!‘ Ich fragte, was genau das Problem sei. ‚Es ist afrikanisch! Wir werden gekreuzigt!‘ Ich ließ den Stoff kommen, schaute drauf und sagte: ‚Wenn wir diesen Stoff aussortieren, sortieren wir Afrika aus. Der Designer ist Halb-Ghanaer, und wissen Sie, warum der Kente-Print so afrikanisch aussieht? Weil sein Vater ihn trug. Dürfen Halb-Schotten auch keinen Kilt mehr tragen?‘ Wir haben den Print behalten. Ohne Diskussion.

 

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Inga Griese
Bilder
Getty Images / Privat