London Fashion Week

London Fashion Week 2023

JW Anderson

Jonathan Anderson hat eine ergebene Fan-Gemeinde, doch auch er war einmal Fan. Eines seiner größten Idole: Der schottische Choreograf und Performance-Künstler Michael Clarke. Mit ihm wollte Anderson eine Kollektion erarbeiten, die von seinen Archiven inspiriert ist. „Aber dann habe ich gedacht, dass ich dann auch durch meine Archive gehen müsste“, sagte der Designer nach der Show. Anderson blickt ungern zurück, aber die Auseinandersetzung mit der Arbeit eines Idols half ihm dabei, sein früheres Ich und seine frühere Arbeit im Kontext der britischen Sub- und Popkultur besser zu verstehen.

Im Roundhouse, einer legendären Londoner Konzert-Location, ließen Anderson und Clark eine Installation aus riesigen Werbeplakaten aufbauen, die abwechselnd Motive aus dem Werk der Beiden zeigten. Der Favorit für die Instagram-Selfies steht längst fest: ein riesiger Penis, den man bei Anderson auch als Schlüsselanhänger bekommt. Er ist nur eine von vielen Ideen aus dem JW Anderson-Archiv, die in dieser Kollektion wieder auftauchen: Vom Tubetop mit Seitentaschen über Mäntel mit Karomuster hin zu den gestreiften Matrosenshirts mit JWA-Logo.

 Das Ergebnis ist eine Best-of-Kollektion, die zeigt, was Anderson am besten kann: Mode, die tragbar ist und trotzdem, auf seltsame und humorvolle Art, einzigartig. 

 Moncler

Bigger is better: das ist seit jeher das Motto der Moncler-Genius-Schauen, spektakuläre Mega-Events, die Mode im Rahmen eines ultraraffinierten Freizeitparks inszenieren. So ähnlich war es auch in London, wo Moncler seine neueste Entwicklung des Genius-Konzepts vorstellte. Anstatt „nur“ mit Modedesignern an verschiedenen Kollektionen zu kooperieren, holte man auch Künstler wie Pharrell Williams, Jay-Zs Label Roc Nation dazu oder Mercedes-Benz. Den Mix ergänzte man mit der Ready-to-Wear-Expertise eines Rick Owens, der Sportswear von Adidas und dem Streetwear-Kult rund um Palm Angels. In einer riesigen Halle erwarteten die Käste verschiedene „Räume“ zu jeder Kooperation, kleine Erlebnis-Inseln, die alle mit unterschiedlichen Entertainment-Programmen aufwarteten: Eine Eishöhle bei Adidas, eine Schaumparty bei Palm Angels, ein melancholischer Regenwald bei Pharrell. Mercedes präsentierte mit PROJECT MONDO G eine Autoskulptur basierend auf seiner G-Klasse und verziert mit einer an Daunenjacken erinnernden Struktur. Die wohl teuerste Produktion dieser Fashion Week lieferte dementsprechende hochkarätige Star-Momente: Pharrell Williams, Justin und Haley Bieber gehörten zu den Gästen, Alicia Keys performte auf der Bühne.

PHARRELL WILLIAMS
PHARRELL WILLIAMS
MERCEDES
RICK OWENS
RICK OWENS
SALEHE BEMBURY
PALM ANGELS
PALM ANGELS

Simone Rocha

Die stimmungsvollsten Kirchen, die schönsten Museen, die prunkvollsten Säle: Wenn es um Locations geht, hat Simone Rocha ihren Londoner Kollegen immer einiges voraus. Diese Saison lud sie in die Westminster Hall ein, die zum Palast von Westminster gehört. Anstatt der britischen Regierung zollte Rocha mit ihrer Schau jedoch ihrer irischen Herkunft Respekt. Die Rituale, Traditionen und Aberglauben ihrer Heimat dienten ihr als Inspiration für eine ihrer besten Kollektionen seit Langem. Das Puppenhafte ist einer ernsteren Stimmung gewichen, kindliche Verletzlichkeit drückt sich Matrosenhemden aus und Poesie trifft auf Bodenständigkeit in Tüllkleidern, die mit Stroh gefüllt sind. Mit Spitzenhemden, Röcken und bestickten Bomberjacken wird Rocha auch ihre männlichen Kunden erfreuen, für die es seit einem halben Jahr eine eigene Linie gibt.

 Nensi Dojaka

„Hottest ticket in town” – dieses Qualitätssiegel wird Nensi Dojaka nun seit einigen Saisons zugesprochen und das aus gutem Grund. Dass Models wie Caroline Trentini oder Mariacarla Boscono in ihrer Schau laufen ist nur ein Zeichen dafür, wie weit Dojaka gekommen ist. Der Grund sind ihre knappen, von Lingerie inspirierten Kleider, in denen dünne Bändchen auf Chiffonkörbchen und strategisch verteilte Cut-outs treffen. Dojaka zeigte Variationen dieses Key-Looks und experimentierte gleichzeitig mit für die neuen Materialien von Denim über Stretch-Samt bis Faux Fur. Dabei deutete sie einige gute Ideen an, die es verdienen, weiterentwickelt zu werden.

Christopher Kane

Durch künstliche Intelligenz generierte Rattenprints und Tournüren auf Pencil Skirts: Auf eine solch schräge Kombination muss man erst mal kommen, aber Christopher Kane gehörte schon immer zu den Designern mit Ideen, die am meisten überraschen. Im Falle seiner neuesten Kollektion kommen noch Erinnerungen an seine Kindheit in Schottland hinzu, Erinnerungen an schwarze Müllbeutel und die Schürzen der Bardamen in den Kneipen von Glasgow. Die inspirierten die bereits genannten Tournüren, die auch an der Hinterseite von Blazern befestigt waren und dank Kane nächste Saison ein Comeback feiern dürften.

Richard Quinn

 Richard Quinn mag große Gefühle. Ein Chor, ein Live-Orchester, und dramatische, reich bestickte Roben – darunter geht’s für ihn nicht. Auch diese Saison lebte er erneut seine Leidenschaft für opulente Abendgarderobe aus, die von traditionellen Schnitten der Haute Couture inspiriert ist. Das Handwerk dahinter ist unübersehbar aufwendig und beeindruckend, der Überraschungseffekt inzwischen sehr gering.

SS Daley

 Vom Jugendtheater zu Ian McKellen: So ungefähr könnte man die Entwicklung der SS Daley-Modenschauen zusammenfassen. Der Designer Stokey-Daley setzt jede Saison auf Live-Theater-Performances, doch dieses Mal standen statt schauspielernder junger Männer und Frauen der 83-jährige britische Superstar auf dem Laufsteg und rezitierte ein Gedicht des britischen Dichters Alfred, Lord Tennyson. Im vergangenen Jahr gewann Stokey-Daley den LVMH-Prize, für viele gilt er als eine der größten Nachwuchshoffnungen in London. Seine romantische, durch voluminöse Silhouetten und historische Referenzen definierte Männermode, wirkte diese Saison etwas schlichter und alltagstauglicher. Der Kate-Bush-Song „The Ninth Wave“ und die Themen Wasser, Seefahrt, Matrosenkleidung zählten zu Daleys wichtigsten Inspirationen für eine Kollektion, die signalisiert, dass Daley seine etablierten Codes weiterdenkt und entwickelt.

 David Koma

David Koma mag es ohnehin freizügig und knapp. Diese Saison wagt er sich an seine eigene Version von „Fetishcore“: Overknees und Trenchcoats aus schwarzem Lackleder, knappe Kleider, die den weiblichen Körper mit Schmucksteinen und roten Latexblüten betonen. Das Ultraweibliche – Rüschen, Federboas, ausgestellte Röckchen – kombinierte Koma mit Krawatten, Tailoring und mit Glitzersteinen besetzte Zigaretten. Sogar eine Bikerjacke war mit Marlboro-Logos bedruckt.

Roksanda

Es war eine kleine Runde, die sich zur Roksanda-Schau im Claridge´s Hotel einfand. Die Wände im Raum waren mit Holz vertäfelt, die Decken mit Stuck geschmückt. Langsame Geigenmusik wurde zeitweise nur von den Worten der Dichterin Arch Hades unterbrochen – sie saß im Publikum und las Auszüge aus ihrem Werk „Arcadia“ vor. Mit ihrer neuen Kollektion wollte Roksanda Ilincic eine Botschaft über die Bedeutung von Kunst und Gemeinschaft aussenden und fokussierte sich dafür auf Kleider aus fließenden Stoffen und Blazern mit breiten Schultern und schmalen Schößchen – ein Kontrast, den die Designerin als ein Aufeinandertreffen des „Emotionalen mit dem Mechanischen“ beschrieb.

Text
Silvia Ihring