Interview

„Ich nenne es Mondbaden“

Betony Vernon, fast zwei Meter groß, natürlich rothaarig, hat Sex als erhabene Kunst etabliert, als sublimierte Erotik. Wir trafen die Lustberaterin in Rom.

Ihre rosafarbene Visitenkarte ist gerade mal so groß wie ein Daumennagel. Darauf steht, gedruckt in Violett, nur eine E-Mail-Adresse. „Eden“ hieß ein Pariser By-appointment-only-Salon der gebürtigen Amerikanerin, die weltweit Frauen und Männer in Liebeskunst unterrichtet.

An diesem Nachmittag hat Betony Vernon, gekleidet in fleischfarbenes Kalbsleder, im Salon der Villa einer aristokratischen Freundin in Rom Platz genommen. „Lassen Sie mich zuerst eines klarstellen“, sagt die 53-Jährige, „ich bin weder eine 5-Sterne-Escort-Lady noch eine De-luxe-Domina, die ihre Kunden gegen Bezahlung auspeitscht. Meinen Körper darf man nur außerhalb meiner Arbeitszeit berühren, und das nur nach meiner ausdrücklichen Genehmigung.“ Wie sie den Beruf nennt, den sie ausübt? „Lustberaterin und Designerin von erotischen High-End-Spielzeugen.“

Ms Vernon, Sie haben ein 330 Seiten dickes Buch über die Lust geschrieben, Titel: „The Boudoir Bible“. Gewidmet ist das Buch Ihren Eltern. Was verdanken Sie ihnen?

Nicht viel mehr, als dass sie offenbar Sex miteinander hatten und mich auf diesem Planeten ausgesetzt haben. Mein Vater war Hubschrauberpilot. Er hatte keine Lust, mich zu erziehen, und meiner Mutter war es nicht erlaubt. Mit der Widmung im Buch danke ich den beiden für ihre Abwesenheit. Dass sie ihre Aufgaben als Eltern nicht wahrnahmen, gab mir die Freiheit, der Mensch zu werden, der in mir angelegt war.

Ihre Eltern haben sich in den Siebzigerjahren scheiden lassen. Die Umstände sollen dramatisch gewesen sein.

Meine aus Großbritannien stammende Mutter wollte ihr Leben der Kunst und dem Vergnügen widmen. Es gab immer mehrere Männer gleichzeitig in ihrem Leben, auch farbige Männer, und das in einem ultrakonservativen Bundesstaat wie Virginia. Als mein Vater sie aus dem Haus warf, lebte sie in einem Heim für obdachlose Frauen, die von ihren Männern verstoßen oder verprügelt worden waren. Den Umgang mit ihren vier Kindern hatte ein rassistischer und frauenfeindlicher Richter ihr untersagt. Ich war vier Jahre alt, als meinem Vater das alleinige Sorgerecht zugesprochen wurde. Meine Mutter durfte uns nur einmal im Jahr für eine Woche sehen. Erst mit 16 hatte ich regelmäßig Kontakt zu ihr.

Mit 15 zogen Sie bei Ihrem Vater aus, fuhren mit einem Greyhound-Bus nach New York und lebten dort als Punkgirl und Gelegenheitsmodel.

Nachdem ich meine Sachen gepackt hatte, hinterließ ich meinem Vater einen Brief, in dem ich ihm dafür dankte, dass er mir zu meiner Unabhängigkeit verholfen hat. Daraufhin brach er jeglichen Kontakt ab. Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander. Nach ein paar Jahren hörte ich, sein Leben liege in Scherben. Er musste Privatinsolvenz anmelden und lebte bis zu seinem Tod als verarmter Eremit auf einem kleinen Segelboot.

Waren Sie auf seiner Beerdigung?

Nein, für mich war er eigentlich schon lange vorher tot.

Haben Sie je überlegt, Kinder zu haben?

Nein, auch von meinen drei Schwestern ist nur eine Mutter geworden. Ich habe meine Eileiter entfernen lassen, um mich vom Kreuz einer ungewollten Schwangerschaft zu befreien.

Wann begann Ihre sexuelle Biografie?

Mit Ende 15. Weil ich nicht erzogen worden war, hatte ich keine Scham, wenn es um meinen Körper und Sex ging. Ich trug Korsett und Strapse und habe früh bei Orgien mitgemacht. Mit meinen roten Haaren und meinem großen Busen war ich ein Blickfang. Ich trug jeden Tag Make-up und kleidete mich wie eine von Vivienne Westwood ausstaffierte Sexpuppe. Es dauerte zwei Stunden, mich zurechtzumachen. Damals habe ich die Bedeutung sexualisierter Objekte begriffen. Sobald ich ein Korsett trug, bewegte ich mich anders und wurde mit anderen Augen betrachtet. Dieser Kitzel hat mich bis heute nicht losgelassen.

Wann kamen Sie mit Sexualtechniken wie Bondage und Spanking in Berührung?

Mit 16 lernte ich erstmals einen Mann kennen, der mich nicht penetrieren wollte. Meine Lust war seine Lust. Das traf einen Nerv bei mir. Ich spürte erstmals, wie viel Lust es bereitet, die Kontrolle abzugeben und von jemandem dominiert zu werden, der etwas vom Körper einer Frau versteht.

Nach einem Studium der Kunstgeschichte in Virginia zogen Sie mit 20 nach Italien und studierten in Mailand Industriedesign. Was brachte Sie auf die Idee, erotischen Schmuck und Sexspielzeuge aus Silber und Gold zu entwerfen?

Warum sollte eine Frau billig und unästhetisch aussehende Plastikgegenstände in ihren Körper einführen? Im Grunde habe ich Spielzeuge für mich selbst entwickelt. Ich war bei jedem neuen Prototyp die Testperson. Der Erfolg kam so schnell, dass ich mit 21 meine eigene Firma hatte und später Schmuck für Modefirmen wie Valentino, Missoni, Gianfranco Ferré, Alexander Wang und Fornasetti entwarf.

„Love Lock Necklace“ Halskette aus Sterling Silver 925. €7,000
„Pleasure Puff Cuff“ Armband aus Sterling Silver 925. 3.500€
„Double Sphere Massage Ring“ Ring aus 18 Karat Gold. 15.000€
„O’Ring Cuff Kit Mini“ Ring-Kette aus 18 Karat Gold. 22.000€.

Welches Thema ist bei Ihrer Kundschaft am stärksten tabuisiert?

Analsex. Den empfinden viele Frauen immer noch als eklig oder abartig. Ich frage dann, wie diese Prägungen in ihren Köpfen entstanden sind, und kläre darüber auf, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die Prostata eines Mannes zu stimulieren: über den Anus. Viele Frauen wissen nicht, dass ein Mann dadurch einen Orgasmus haben kann, der nichts mit dem zu tun hat, den er durch die Stimulierung seines Penis erlebt.

Wie gehen Sie mit Neukunden um?

Ich schicke ihnen einen Fragebogen zu, um die Erwartungen abschätzen zu können. Ich frage nach unausgelebten Wünschen und Fantasien und mache mir ein Bild der sexuellen Disposition. Oft habe ich es mit Paaren zu tun, die sagen: „Wir sind seit 25 Jahren zusammen und lieben uns noch immer, aber das sexuelle Feuer zwischen uns ist schon lange erloschen.“ Mit diesen Paaren mache ich praktische Übungen oder ich bringe meine Boudoir Box mit. Es ist aber in jeder Sekunde klar, dass ich an den Übungen nicht selber teilnehme. Mein Eröffnungssatz lautet: „I’m untouchable.“

Gibt es Kunden, die diese Regel im Sexrausch verletzen?

Nein, als Vorsichtsmaßnahme sind Alkohol und Drogen bei meinen Sessions verboten. Einige meiner Kundinnen sind Opfer traumatischer Erlebnisse. Wer missbraucht wird, verlässt seinen Körper, um die Seele zu schützen. Oft bleibt das Körperempfinden dauerhaft gestört. Sobald es wieder zum Sex kommt, sucht das Gehirn instinktiv nach einem Schild „Notausgang“. Ich bringe diesen Frauen in Übungen bei, ihren Körper wieder zu akzeptieren und lieben zu lernen. Dabei hilft es, dass ich ausgebildete Hypnotherapeutin bin.

Wie alt sind Ihre jüngsten Kunden?

14. Ich therapiere nicht selten junge Frauen. Ebenso habe ich mit jungen Männern gearbeitet, die im wirklichen Leben keine Erektion kriegen, weil sie seit Jahren nur noch wie Suchtkranke zu Pornofilmen masturbieren. Wenn sie Sex mit einem echten Menschen haben wollen, schaffen sie es nicht, die reale Welt von ihren Pornofantasien zu trennen – und versagen. Eine Kundin erzählte mir unlängst, ihre 14-jährige Tochter wolle sich die äußeren Schamlippen wegoperieren lassen, weil ihr Freund sie entsetzt angeschaut habe. Die Erklärung war, dass der Junge bislang eine Vulva nur in Pornofilmen gesehen hatte, wo meist Frauen mit wegoperierten Schamlippen gezeigt werden, um den Eindruck von Jugend zu erzeugen. Auch das ist ein Grund, warum Jugendliche keine Pornos gucken sollten. Das sind die schlechtesten Lehrer, die man sich vorstellen kann.

Haben Sie mehr weibliche oder männliche Kunden? Und wie verhält es sich mit der LGBTQ-Community?

80 Prozent meiner Kundschaft sind Frauen über 40, die beschlossen haben, die Verantwortung für ihre Lust in die eigenen Hände zu nehmen. Viele wollen, dass ich ihnen helfe, ihren G-Punkt zu finden.

Was mögen Sie an Spanking?

Abgesehen davon, dass dabei Nerven stimuliert werden, geht es um Psychologie. Wenn ich zu einem Mann sage: „Beug dich über die Couch, ich will dir den Po versohlen“, kommt es zu einer Machtverschiebung. Eine Person verlangt Gehorsam als Teil des Spiels, und die andere muss Kontrolle abgeben. Das kann beiden einen Wahnsinnskick geben. Kennen Sie E. L. James?

Die Autorin von „Shades of Grey“?

Ja, bevor sie anfing, Romane zu schreiben, war sie eine Schülerin von mir und sah meine Boudoir Box. Bis dahin hatte sie, glaube ich, keine Ahnung, dass viele Frauen von Fesselspielen und Dominanz-Szenarien stärker erregt werden als durch Penetration.

Was machen Männer beim Sex falsch?

Sie begreifen nicht, dass sie Sex lernen müssen wie Motorradfahren oder Fußballspielen. Dass es geborene Liebhaber gibt, ist ein Mythos, den sich eitle Männer ausgedacht haben. Ein Kardinalfehler vieler Männer ist ihre phallozentrische Sicht auf Sex. Wichtiger sind für uns Frauen Spiel, Verführung und Offenheit für Experimente. Ohne Expertise geht beim Sex wenig. Keine Frau möchte von einem Mann gefesselt werden, der glaubt, in einem Cowboyfilm mitzuspielen, und dann sein Lasso schwingt. Ich sage Ihnen aus Erfahrung: Bondage mit Amateuren ist lebensgefährlich. Viele Männer praktizieren immer noch Schnellsex, der zwischen drei und 15 Minuten dauert. Ich plädiere für drei, vier Stunden Ritual-Sex. Es ist ein Mythos, dass nur spontaner Sex guter Sex sei. Zeremonien helfen, denn es dauert seine Zeit, bis sich die Apotheke des Körpers öffnet und er seine natürlichen Liebesdrogen wie Endorphin ausschüttet. Warum nicht zwischendurch der Partnerin die Zehen lutschen? Zunge und Finger können ewig.

 Haben Sie mehr weibliche oder männliche Kunden? Und wie verhält es sich mit der LGBTQ-Community?

80 Prozent meiner Kundschaft sind Frauen über 40, die beschlossen haben, die Verantwortung für ihre Lust in die eigenen Hände zu nehmen. Viele wollen, dass ich ihnen helfe, ihren G-Punkt zu finden.

Was mögen Sie an Spanking?

Abgesehen davon, dass dabei Nerven stimuliert werden, geht es um Psychologie. Wenn ich zu einem Mann sage: „Beug dich über die Couch, ich will dir den Po versohlen“, kommt es zu einer Machtverschiebung. Eine Person verlangt Gehorsam als Teil des Spiels, und die andere muss Kontrolle abgeben. Das kann beiden einen Wahnsinnskick geben. Kennen Sie E. L. James?

Die Autorin von „Shades of Grey“?

Ja, bevor sie anfing, Romane zu schreiben, war sie eine Schülerin von mir und sah meine Boudoir Box. Bis dahin hatte sie, glaube ich, keine Ahnung, dass viele Frauen von Fesselspielen und Dominanz-Szenarien stärker erregt werden als durch Penetration.

Was machen Männer beim Sex falsch?

Sie begreifen nicht, dass sie Sex lernen müssen wie Motorradfahren oder Fußballspielen. Dass es geborene Liebhaber gibt, ist ein Mythos, den sich eitle Männer ausgedacht haben. Ein Kardinalfehler vieler Männer ist ihre phallozentrische Sicht auf Sex. Wichtiger sind für uns Frauen Spiel, Verführung und Offenheit für Experimente. Ohne Expertise geht beim Sex wenig. Keine Frau möchte von einem Mann gefesselt werden, der glaubt, in einem Cowboyfilm mitzuspielen, und dann sein Lasso schwingt. Ich sage Ihnen aus Erfahrung: Bondage mit Amateuren ist lebensgefährlich. Viele Männer praktizieren immer noch Schnellsex, der zwischen drei und 15 Minuten dauert. Ich plädiere für drei, vier Stunden Ritual-Sex. Es ist ein Mythos, dass nur spontaner Sex guter Sex sei. Zeremonien helfen, denn es dauert seine Zeit, bis sich die Apotheke des Körpers öffnet und er seine natürlichen Liebesdrogen wie Endorphin ausschüttet. Warum nicht zwischendurch der Partnerin die Zehen lutschen? Zunge und Finger können ewig.

Sie behaupten, Männern beibringen zu können, multiorgasmisch wie Frauen zu sein.

Ja, es erfordert allerdings eine Menge Hausaufgaben. Männer müssen lernen, ihren Orgasmusreflex von ihrem Ejakulationsreflex zu trennen. Ohne Training ist das nicht zu schaffen. Es geht darum, die Konditionierung des Wett-Onanierens in der Jugend zu durchbrechen. Diese Prägung hält bei vielen Männern ein Leben lang.

 

Was ist das Hauptproblem von Frauen beim Sex?

Sich sofort zu verlieben – statt sich selbst zu lieben. Die Selbstliebe ist der Schlüssel zu allem. Das Bild, das wir von unserem Körper im Kopf haben, entscheidet über das Maß unserer Lust. Frauen stehen vor dem Spiegel und kritisieren sich selbst. Kennen Sie Männer, die das machen?

Sie behaupten, Männern beibringen zu können, multiorgasmisch wie Frauen zu sein.

Ja, es erfordert allerdings eine Menge Hausaufgaben. Männer müssen lernen, ihren Orgasmusreflex von ihrem Ejakulationsreflex zu trennen. Ohne Training ist das nicht zu schaffen. Es geht darum, die Konditionierung des Wett-Onanierens in der Jugend zu durchbrechen. Diese Prägung hält bei vielen Männern ein Leben lang.

Was ist das Hauptproblem von Frauen beim Sex?

Sich sofort zu verlieben – statt sich selbst zu lieben. Die Selbstliebe ist der Schlüssel zu allem. Das Bild, das wir von unserem Körper im Kopf haben, entscheidet über das Maß unserer Lust. Frauen stehen vor dem Spiegel und kritisieren sich selbst. Kennen Sie Männer, die das machen?

Wie lernt man, gnädig auf sich zu blicken, was ist der Trick?

Ich nenne es Mondbaden: nackt Zeit zu verbringen und den Körper atmen, fühlen zu lassen. Die Haut ist unser größtes Organ, aber wir bedecken sie die meiste Zeit. Jeder sollte einen großen Spiegel zu Hause haben. Wenn Ihnen etwas an dem, was Sie sehen, nicht gefällt, fangen Sie an, es zu ändern, sofern es möglich ist. Andernfalls lernen Sie, es zu akzeptieren und zu lieben. Und lassen Sie die Selbstkritik. Negatives Denken erzeugt nur Frust und negatives Handeln. Statt zu jammern, dass Sie sich zu dick fühlen, könnten Sie sich auch motivierend, positiv sagen: „Ich freue mich darüber, dass ich gesund bin, und könnte, um mich noch wohler zu fühlen, vielleicht ein paar Kilo abnehmen.“

Wenn Sie nackt vorm Spiegel stehen, was gefällt Ihnen da besonders?

Meine Haut. Mir gefällt, dass meine Oberarme definiert sind, so zart angedeutet. Ich mag meine Beine und dass meine Waden schön geformt sind. Ich hasse Fitnessstudios, ich mache Yoga und drei Mal die Woche eine Stunde Speedwalking. Etwas Cellulitis schadet übrigens nicht. Wer will eine Marmorstatue? Ein Po zum Beispiel muss griffig sein. Wenn da nichts mehr wippt, sieht es nicht mehr sexy aus.

Für welchen Part Ihres Körpers erhalten Sie die meisten Komplimente?

Für meine Haare. Man sagt mir auch, dass ich eine schöne, dunkle Stimme hätte. Männer nehmen viel subtiler wahr als viele Frauen glauben. Wie eine Person spricht, ihr Duft, die Art, wie sie sich vielleicht durchs Haar streicht, all das kann unheimlich betörend sein. Parfüms sollte man sparsam verwenden. Ich persönlich mag es gar nicht, wenn man einen Raum betritt und sofort eingenebelt wird. Es zerstört außerdem unseren Geruchssinn, der ja in der Lage ist, unseren idealen Paarungspartner zu erkennen.

Was finden Sie an Männern erotisch?

Ich liebe Männerhände.

Wer sind Ihre Lieblingskunden?

Eltern, deren Kinder die Schulreife erlangt haben, und die sich eingestehen, dass über die Sorge um das Wohlergehen ihrer Kinder ihr Sexleben eingeschlafen ist. Diese Paare schauen sich mit dem Wissen an, dass es keinen perfekteren Partner für sie gibt als den Menschen, der neben ihnen sitzt. Gleichzeitig wissen sie, dass Begehren der Klebstoff für Beziehungen ist. Also wollen sie etwas für sich tun.

Mit welchen Anliegen wenden sich Menschen noch an Sie?

Themen sind: Die Angst vor Nähe und Intimität oder dem Versagen. Viele trauen sich nicht, über ihre erotischen Fantasien zu sprechen, oder wissen nicht mal im Ansatz vom sexuellen Potenzial ihres Körpers. Man glaubt gar nicht, wie unaufgeklärt viele sind. Andere leiden an „skin hunger“, weil sie zum Beispiel im Lockdown so einsam waren, dass sie sich kaum mehr selbst spüren. Ich empfehle da heiße Bäder, sich selbst zu umarmen und zu streicheln, einfach liebevoll mit sich zu sein. Die Gefühllosigkeit nimmt überhaupt zu, weil wir in unserer digitalen Welt immer mehr abstrakt wahrnehmen, ohne emotionale, tatsächliche Verbindung.

Was kosten Ihre Dienste?

1000 Euro aufwärts für eine persönliche Sitzung. Online 400 Euro.

Sind Sie liiert?

Ja, ich bin vergeben. Mein Partner ist Römer, wir leben in Umbrien. Lang vor ihm war ich sogar einmal verheiratet, mit Barnaba Fornasetti, dem Sohn des berühmten italienischen Künstlers und Innenarchitekten. Wir hatten zwölf sehr glückliche Jahre. Als wir beide jung und verliebt waren, war es wild und aufregend. Mit der Zeit aber schien der Altersunterschied zwischen uns immer mehr zu wachsen. Er war 18 Jahre älter als ich. Ich wollte raus in die Welt, er nur zu Hause sitzen mit mir.

Warum entwickelt sich aus einem One-Night-Stand selten eine Beziehung?

Die Liebe ist kein Hotelzimmer, in das man einfach ein- und auszieht.

Ist guter Sex nicht bereits Liebe?

Absolut. Ein One-Night-Stand kann sich anfühlen wie Liebe für einen Moment. Sex verbindet uns, eine Beziehung aber fordert viel mehr.

Die „Boudoir Box“.

Gehören Liebe und Sex überhaupt zusammen?

Nicht zwingend. Der Schlüssel für eine glückliche Beziehung ist aber auch nicht nur in einer Formel zu finden, wie es Partnerinstitute vorrechnen. Ich glaube an die kathartische Kraft mit nur einem Menschen. Sex wird besser, wenn man liebt und vertraut. Ich finde übrigens, dass deutsche Männer sehr charmant sind, sie sind offen, flirtig und erstaunlich verschmust.

Wie kann zwei Menschen ein sexueller Neustart gelingen?

Man muss es sanft versuchen. Küssen zum Beispiel kommt überhaupt oft viel zu kurz. Die Kunst ist, sich in kleinen Schritten zärtlich anzunähern. In meiner Schmuckkollektion gibt es einen Ring mit zwei haselnussgroßen Kugeln aus massivem Silber oder Gold. Wenn Sie mit dem sich erwärmenden Metall über den ganzen Körper Ihres Partners fahren, werden Energieflüsse frei, wie man sie noch nie erlebt hat.

Wie viele Gläser Wein können Sie trinken und trotzdem guten Sex haben?

Etwa zwei, schätze ich.

Welche Musik empfehlen Sie dabei?

Ich hatte einmal den besten Sex zu Tannhäuser von Dusty Springfield, die die Wagner-Oper für einen Song verwendet hat. Soul-Pop passt immer. Man sollte nur keine Songs spielen, deren Texte man auswendig kennt. Ich zumindest bin sonst geneigt, mitzusingen. Das lenkt zu sehr ab.

Haben Sie jemals einen Orgasmus vorgetäuscht?

Nein, warum sollte ich das tun? Ganz ehrlich, ich glaube auch nicht, dass man das kann. Ein erfahrener Liebhaber bemerkt den Unterschied. Liebemachen ist kein Besuch im Fitnessstudio. Zu hyperventilieren ist weder überzeugend noch zielführend.

Sigmund Freuds These war, es liegt im Geiste mindestens ein Mensch mehr mit im Schlafzimmer.

Ein 40-Jähriger offenbarte mir mal, dass er noch Jungfrau sei. Ich sagte zu ihm, dass ich leider nicht mit ihm arbeiten könne, solange er noch bei seiner Mutter lebt. Das Schlafzimmer könnte manchmal mehr erzählen als manche Psycho-Couch. Da tun sich die unterschiedlichsten Spannungsverhältnisse, auch Schmerz und Missbrauch auf. Ich habe es oft genug gesehen, wir sind eine Gesellschaft von gebrochenen Menschen. Vielleicht erklärt das auch, warum unsere Welt immer mehr auseinanderfällt. Als ich in den Achtzigern aufwuchs, waren wir frei, zu lieben, uns auszudrücken und zu erkunden. Inzwischen sind wir fast in einer asexuellen Zeit angekommen. Es geht nur noch um politische Korrektheit. Unsere Körper werden immer mehr zu Ersatzteillagern, gleichzeitig sourcen wir aus. Die Horrorversion ist eine Gesellschaft, in der man sich künftig eine Befruchtung ins Haus bestellen kann und die andere Hälfte sitzt wie im Woody-Allen-Film zu Hause und lässt die Orgasmus-Kugel kreisen.

Warum haben Männer nach dem Sex das Bedürfnis, sofort einzuschlafen?

Sex ist ein Hochleistungsport. Zum Höhepunkt zu kommen erfordert einen enormen Kraftaufwand. Man muss sich das einmal klarmachen: Bei einer Ejakulation rasen Millionen von Spermien mit einer Geschwindigkeit von 45 kmh los, um ein befruchtbares Ei zu finden. Eine Ladung könnte theoretisch ganz Nordamerika befruchten. Sex ist erschöpfend für Männer wie für Frauen.

Kann man zu viel Sex haben?

Ja. Ich sehe es an meinen männlichen Freunden, die früher Pornofilme gedreht haben, was zwei, drei Mal Sex am Tag bedeutete. Und all das noch auf Viagra. Die sehen doppelt so alt aus, wie sie sind. Ab fünfzig sollte ein Mann es angehen wie die anderen guten Dinge des Lebens. In Maßen genießen, wie zum Beispiel ein besonderes Menü: einmal die Woche.

Sind Sie eifersüchtig?

Nein. Ewige Treue ist ein Konstrukt der Kirche. Wissen Sie übrigens, dass es im Vatikan das größte Erotikmuseum der Welt gibt!

Was raten Sie bei Liebeskummer?

Face it, erase it, replace it: Abhaken, was vorbei ist, und was Neues suchen. Und fragt Sie jemand nach Ihrem Beziehungsstatus, erklären Sie bloß nicht, dass Sie Single sind. Sagen Sie doch einfach, dass Sie gerade in einem multiplen Modus leben und mehrere Verehrer haben, aber noch unentschieden sind. Das macht Sie interessanter.

 

Interview
Dagmar von Taube