Auf zu neuen Höhen: Die Haute Joaillerie vereint Handwerk, Wissenschaft mit Kreativität und Magie.
Wir schauen ins Kästchen.
GLANZ GESCHMEIDIG
EIN ROADMOVIE IN SCHMUCK
Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Haute Joaillerie wird eine Kollektion nicht der Weiblichkeit, der Natur oder dem Universum gewidmet, sondern einem Mann: dem Imperiumsgründer Louis Vuitton, geboren am 4. August 1821. „Als ich über sein Leben las, war ich schwer beeindruckt. Dieser Mut, diese Entschlossenheit, seiner bescheidenen Herkunft zu entfliehen und in Paris als Koffermacher Karriere zu machen“, sagt Francesca Amfitheatrof in der opulenten „Diamond Suite Princesse Grace“, dem Penthouse des „Hôtel de Paris“, der ersten Adresse in Monaco. Vor drei Jahren wurde Amfitheatrof Chefdesignerin in dem Haus, das seit 2009 im 325-Milliarden-Dollar-Schmuckmarkt mitmischt.
In acht Kapiteln lassen die Schmuckstücke von Amfitheatrof das Leben des Hausgründers Revue passieren. Die Reise beginnt mit dem Collier „La Constellation d’Hercule“, benannt nach dem Sternbild, unter dem Vuitton vor 200 Jahren in der ländlichen Region Jura geboren wurde. Ungewöhnlich die mosaikhaft gesetzten, runden Steine im Cabochon-Schliff, wie man sie aus dem Mittelalter kennt, wo sie von Männern und Frauen getragen wurden, und wie sie heute nur noch selten in der Haute Joaillerie verwendet werden. Auf ihm vereinen sich Tansaniten von 209 Karat, 50 Karat australische Opale und Tsavorite von fast 34 Karat, zwischen denen über ein Dutzend Diamanten als LV-Monogramm-Blumen im patentierten Flower-Cut leuchten. Das Edelstein-Potpourri wird gehalten mit dem roten Faden, der sich durch die gesamte „Bravery“-Kollektion zieht: einem mit Diamanten besetzten, gewundenen Seil aus Weißgold – als Erinnerung daran, wie Louis Vuitton seine sieben Sachen schnürte, um seinen Traum von einem besseren Leben in Paris zu verwirklichen. „Man muss sich das vorstellen: Der Halbwaise mit der sprichwörtlich bösen Stiefmutter brach allein als Zwölfjähriger auf, zu Fuß, und kam zwei Jahre später in Paris an“, erzählt Amfitheatrof. „Ich konnte die Kollektion nur Bravery nennen, ,Kühnheit‘!“
Ein Schmuck-Set nennt sich „Le Tumbler“ und erinnert an die innovative Kofferschließe. „Er erfand den Masterkey, mit dem sich alle Koffer eines Sets öffnen ließen – um dem Besitzer das Leben zu erleichtern“, erzählt Amfitheatrof. „Und sein Freund und Kunde Houdini, der berühmte Entfesselungskünstler seiner Zeit, bescheinigte ihm, dass die Schlösser quasi aufbruchsicher waren.“ Ein Marketingstratege war Vuitton also auch. Er machte seine Produkte durch Logos leicht wiedererkennbar: mit einem Canvas im Damier- oder Schachbrettmuster oder der vierblättrigen Monogramm-Blume. Sein Enkel fügte später noch die Initialen LV hinzu. Auf „Le Mythe“, dem Herzstück der Kollektion, kommen diese Signaturen alle zusammen: Das dreireihige, von Diamanten übersäte Collier zeigt drei Zuckerhut-Cabochons – einen 19,70-karätigen Saphir aus Sri Lanka in Königsblau, einen 8,64-karätigen kolumbianischen Smaragden und einen samtig-schimmernden 7,11-Karat-Saphir aus Madagaskar. Dahinter stecken 1300 Arbeitsstunden, und es kann auf zwölf verschiedene Arten getragen werden.
„Ich möchte behaupten, dass wir unseren Kunden die besten farbigen Steine der Welt anbieten: Keiner ist erhitzt oder behandelt. Das ist so etwas wie unser Reinheitsgebot!“, legt sie nach. Sie hat dabei die volle Unterstützung ihres Chefs: „Unser CEO Michael Burke ist selbst ein leidenschaftlicher Edelsteinliebhaber, gibt uns die Freiheit und das Budget dafür und verfolgt unsere Arbeit mit jedem Schritt.“ Letztes Jahr kaufte Louis Vuitton medienwirksam den zweitgrößten je auf der Welt gefundenen Rohdiamanten namens Sewelo: groß wie ein Tennisball, 1,758 Karat, 352 Gramm schwer und geschätzt 20 Millionen Dollar teuer.
LA VIE EN ROSE
Die Königin aller Blumen ist das Thema von „Dior Rose“, die größte Haute-Joaillerie-Kollektion, die das Haus Dior je gestaltet hat: In 116 hochkarätigen Blüten. Man kann es so formulieren: Das Leben hatte Christian Dior wahrhaftig einen Rosengarten versprochen. Von dem Garten seiner Mutter in der Normandie, in dem er als einzelgängerisches Kind viel Zeit mit der Naturbeobachtung verbrachte, bis zu dem südfranzösischen Garten seines Schlosses Col Noir, den er selbst anlegte, waren Blumen eine ewige Quelle der Inspiration. Mit seiner Blütenkelch-Linie – weit fallende Röcke, schmale Taillen und runde Schultern – wurde er zum Architekten des New Look und zum Star-Couturier der Nachkriegszeit.
Victoire de Castellane, seit über 20 Jahren Kreativdirektorin von Dior Joaillerie, lässt sich häufig von der Geschichte des Hauses inspirieren. Zehn Jahre nach ihrer Kollektion „Le Bal des Roses“ steht die Lieblingsblume des Hausgründers erneut im Fokus: die Rose. Ein recht braves und klassisches Thema, so scheint es auf den ersten Blick. Ist de Castellane doch eher bekannt dafür, die Codes der Haute Joaillerie fröhlich auf den Kopf zu stellen. Sie plusterte Cocktailringe auf bis dahin ungekannte Größen auf, huldigte in ihren Kreationen ebenso dem Sonnenkönig, japanischen Mangafiguren wie Bollywood. Ihre Spielfreude und ihre Leichtigkeit im Umgang mit kostbaren Steinen kommt nicht von ungefähr: Während andere Kinder mit Legosteinen bauten, spielte sie mit Hochkarätern auf dem Teppich ihrer Oma Sylvia Hennessy aus der gleichnamigen Cognac-Dynastie. Diesmal feiert sie die Rose in allen Facetten: von romantisch über naturalistisch bis abstrakt.
Mal erblüht sie durch blaue Saphire in einem Set, das aus einer Halskette, Ohrringen, einem Armband und einem Doppelring besteht. Bei der Halskette sind die Saphire aus Myanmar, Smaragde aus Kolumbien und Rubine aus Mosambik in einem Wirbel aus naturalistischen Blumenblättern gefasst, um den Hals schmiegen sich statt einer Kette Zweige aus Weißgold, auf denen winzige Diamanten wie feiner Tau glänzen. Abstrakter erscheint sie einem anderen Ensemble aus Halskette und Ring, wo pink und grün lackierte Blattadern auf transparenten Diamanten für eine reizvolle Struktur sorgen. Bei den anderen Stücken wechseln sich streng symmetrische, grafische Linien aus einfarbigen Diamanten ab mit lebendigen, asymmetrischen und kubistischen Formen. Ein virtuoses Spiel mit den Feinheiten von Farbschattierungen, Konstrasten und eine ungewöhnliche Kombination von verschiedenen Schliffen zieht sich durch die gesamte Kollektion und verleihen ihr eine außergewöhnlich komplexe Struktur. Präsentiert wurde die mit 116 Schmuckstücken bisher größte Haute-Joaillerie-Kollektion von Dior ausnahmsweise nicht im Pariser Stammhaus in der Avenue Montaigne, welches sich seit über zwei Jahren immer noch in Renovierung befindet, sondern im fernen Chengdu in China. 24 Models führten sie auf einer Modenschau vor, für die ihre Kollegin von der Damenmode, Designerin Maria Grazia Chiuri, eigens zarttransparente Chiffonroben entwarf. Ein kongeniales Auswärtsspiel der zwei Frauen, die Christian Diors Erbe zu neuer Blüte führen.
SONNE, MOND UND STERNE
Piaget spielt mit den außergewöhnlichen Lichteffekten, die beim Wechsel von den Tages- in die Abendstunden zu beobachten sind. Das Schmuckstück, das der gesamten Kollektion ihren Namen gab, heißt „Extraordinary Lights“ und eröffnet den Haute-Joaillerie-Parcours bei Piaget an der Place Vendôme. Das Collier überträgt das Prinzip eines Wendemantels auf Schmuck: Es hat eine Tages- und eine Nachtseite. Vorn funkelt die Tagesseite in Gelb, Orange und Rot. „Der zentrale, gelbe Diamant ist ein so außergewöhnlicher Stein, wie ich ihn selten gesehen habe: ein extrem seltener Fancy Vivid Yellow mit 8,88 Karat im Kissenschliff, dessen unglaubliche Facetten wir in den Ateliers noch einmal mit einem Neuschliff akzentuiert haben“, sagt Kreativdirektorin Stéphanie Sivrière. Sein Partner: ein 3,61 Karat schwerer, birnenförmiger roter Spinell, der wie ein Blutstropfen auf das Dekolletee zu träufeln scheint. Darum herum Aureolen aus Diamanten und farbig fein abgestufte Spessartingranate in Orangenuancen eines Sonnenuntergangs. Das Collier lässt sich auch drehen – und die in dunklen Blautönen gehaltene Rückseite vorn tragen. Dann wird ein blauer Saphir mit 5,34 Karat zum Blickfang. Ein tiefdunkler Stein wie ein großer Wassertropfen, der sich in mehrere kleine zu teilen scheint: in einer Abfolge von Perlen und Diamanten. Diese kleine Kette am Collier kann auch als Armband abgenommen werden – insgesamt neun verschiedene Tragevarianten sieht das Collier vor. Zum Set gehören noch Ohrringe und Ringe. Hauptstein des Rings ist ebenfalls ein Fancy Vivid Yellow mit 5,54 Karat und eine Rarität wie der des Colliers. Diese Steine leuchten mit einer Intensität, die an die Helligkeit der Sonne erinnert. „Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir die passenden Steine für dieses Ensemble gefunden haben. Und 450 Arbeitsstunden, bis das Collier fertig war“, sagt Sivrière.
ÜBERM REGENBOGEN
Eine regelrechte Licht- und Farbexplosion ist die neue, futuristische Kollektion „Holographique“ – in Bonbonfarben und mit Flughafen-Technologie. Claire Choisnes persönliches Bravourstück ist das Collier „Holographique“, welches der ganzen Kollektion ihren Namen gab: Eine in allen Farben des Prismas schillernde Halskette aus in Weißgold und Diamanten gefassten Bergkristallscheiben, ein futuristisches Gebilde, wie man es in der Haute Joaillerie noch nie gesehen hat. Die Scheiben wechseln ihre dreidimensional wirkenden Farben je nach Perspektive, Farbe der Haut oder der Kleidung. In der Mitte thront ein achteckiger, gelber Ceylon-Saphir von 20,21 Karat, der zwischen den Kristallen zu schweben scheint.
Die Kreativdirektorin von Boucheron, dem ältesten Schmuckhaus an der Place Vendôme, ist eine der avantgardistischsten ihrer Zunft. Letztes Jahr fing sie symbolische Himmelstropfen in einem Anhänger, gefüllt mit dem sogenannten Aerogel, das die Nasa entwickelte, um Sternenstaub im Universum zu sammeln. Dieses Jahr holte sie sich die Unterstützung des französischen Baustoff-Unternehmens Saint Gobain, das die zwei Millimeter dünnen, klaren Kristallscheiben in ebendiese bunten Holografien verwandelte – mit einer Technik, die eigentlich zur Beschichtung der Lichtsignale von Start- und Landebahnen auf Flughäfen verwendet wird.
„Wir haben diese Beschichtungstechnik nun erstmalig auf Bergkristall und weißer Keramik realisiert: Für diesen Farbeffekt braucht es bis zu zehn nacheinander dünn aufgesprühter Schichten.“ Ein Novum für Boucheron und für den heutigen Börsen-Giganten Saint Gobain, der im 18. Jahrhundert zu Zeiten des Sonnenkönigs gegründet wurde und dessen erster Großauftrag das Kristallglas für den Spiegelsaal in Versailles war. Um die Wirkung der Farb- und Schattenspiele zu kalkulieren, arbeitete Choisne zuerst an einem Modell mit Plexiglasscheiben, die sie mit der Taschenlampe ihres iPhones beleuchtete.
„Chromatique“ ist ein Ensemble aus Brosche und zwei Ringen. Die Brosche schmückt ein 25,01 Karat schwerer grüner Turmalin, die Ringe ein Aquamarin sowie ein pinkfarbener Turmalin. Hier schickte sie echte Pfingstrosen und Stiefmütterchen durch einen Scanner, bevor die Blüten in weißer Keramik naturgetreu nachgebildet wurden und mit der Saint-Gobain-Technik holografisch beschichtet wurden. Der Effekt ist eine surreale Farbexplosion in candy colours, wie sie Künstlern wie Jeff Koons oder Pierre & Gilles gefallen würde, die es lieben, die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst auszuloten. Als Inspiration für diese Kollektion nennt Choisne aber andere Künstler: den isländischen Lichtmagier Ólafur Elíasson oder den mexikanischen Architekten Luis Barragán.
Vorführen ließ sie die Kollektion im Pariser Stammhaus von echten Models. Die Ringe und Broschen wurden vor allem von Männern getragen. Auch das weist in die Zukunft: Denn die Haute Joaillerie, so erzählen auch die anderen Schmuckhäuser in Paris, wird immer häufiger auch von Männern gekauft – und zwar für sich selbst.
SPITZENTÄNZER
Das Ballett und Van Cleef & Arpels sind schon lange verbunden. Camille hebt an zu einer graziösen Drehung, ihr Ballettrock glänzt in Dutzenden von Smaragden. Man braucht eine Lupe oder eine sehr gute Brille, um all die lebensecht nachempfundenen Details zu erkennen: Auf dem Körper der gleichnamigen Broschen-Figur ist jeder angespannte Muskel ausgearbeitet. Dafür wurde die Mini-Ballerina zuvor in weichem Wachs akribisch modelliert und schließlich in poliertes Weißgold gehüllt. Ihr Gesicht ist geschliffen aus einem einzigen Diamanten – der Kopfputz aus Gelbgold und gelbem Saphir. Details, wie sie wohl nur die Kunsthandwerker von Van Cleef & Arpels beherrschen. Die neue Haute-Joaillerie-Kollektion dreht sich ganz um den Tanz. Ob bei den berühmten Clip-Broschen, den Colliers oder den Uhren: Alles scheint sich zu drehen, zu federn oder leicht wie Tüll zu sein. Für Van Cleef & Arpels der Auftakt für das von ihnen gesponserte Tanzstück „Romeo & Julia“, interpretiert von Benjamin Millepied, das im kommenden Winter in der Seine Musicale in Paris Premiere feiert. Frankreichs Tanzstar arbeitet bereits seit 2012 für diverse kleinere Tanzprojekte eng mit dem Schmuckhaus zusammen, das seinerseits mit dem Prix Fedora innovative Ballettkompagnien auszeichnet. In den neuen Schmuckuhren drehen die Ballerinen frei: Auf dem extragroßen Zifferblatt von 33 Millimeter treten auf: „Lady Danse“ und „Lady Danse Duo“. Die Erste tanzt in einem mit Rubinen besetzten und goldgesäumten Kleid vor einem Intarsienhintergrund aus Perlmutt, Türkisen und grünem Chrysopras. Auf der zweiten Uhr tanzt sie ein Pas de deux vor einer Wolkenkratzerkulisse, als Halbrelief in Diamanten. Welch Handwerksliebe!