Live from Milan

Für Gucci beginnt eine neue Ära 

In Mailand zeigte der neue Kreativdirektor des Labels seine erste Kollektion. Er soll den Look verändern, die Umsätze hochtreiben. Das dürfte ihm gelingen – trotzdem hätte man sich mehr Mut gewünscht.

Es lief alles etwas anders als geplant. Schwarzer Teppich statt Kopfsteinpflaster, dunkelrotes Scheinwerferlicht statt nachmittäglichen Sonnenscheins, Musik aus Lautsprechern statt Straßenlärm und urbane Geräuschkulisse. Die erste Kollektion von Sabato de Sarno, Guccis neuem Kreativdirektor, hätte eigentlich in den Straßen das Mailänder Stadtviertels Brera unter freiem Himmel stattfinden sollen. Doch dann war Regen angesagt, noch bis zum Abend vor der Show hielt das Label an seiner Location fest, dann kam die E-Mail:  Planänderung, wir zeigen woanders.

Und so fuhren Modejournalisten, Celebrities, Freunde und Familie doch an den Rand der Stadt zur Unternehmenszentrale von Gucci, dem “Gucci Hub”, wo man seit Jahren seine Modenschauen veranstaltet. Es änderte nichts daran, dass diese Show mit so viel Spannung erwartet wurde wie sonst keine diese Saison Nach dem Abgang des vorherigen Kreativdirektors Alessandro Michele stand fest: Ein neuer Designer soll eine neue Ära für Gucci einläuten, dem Maximalismus absagen und sich auf leichter zu konsumierenden, zeitlosen Luxus fokussieren und damit den Umsatz nach oben treiben.

Am Ende wurde es Sabato De Sarno, ein erfahrener, aber unbekannter gebürtiger Neapolitaner, dessen Karriere bei Prada begann und zu 14 Jahren bei Valentino führte, zuletzt als Designdirektor. Sein früherer Chef, Pierpaolo Piccioli (unten rechts mit seiner Frau im Bild), befand sich auch unter den Gucci-Gästen.

Auf De Sarnos Schultern lastet der Druck eines Multi-Milliarden-Euro-Unternehmens, das noch etwas milliardenschwerer werden will. Ein Unternehmen, das das Debüt des neuen Designers vorbereitet und anteasert wie eine Hollywood-Produktion auf Blockbuster-Niveau: ein leer gefegter Instagram-Account, eine Vorab-Kampagne mit dem verehrten und lange praktisch untergetauchten 00er-Jahre Model Daria Werbovy, einem neuen, wie eine Art visuelles Notizbuch gestaltetes Marken-Magazin, blutrote Plakate in ganz Mailand beschriftet mit Sabato De Sarnos Kollektionsmotto „Ancora“.

Als „Nochmal“ oder „mehr“ übersetzt steht dieses Wort, so der Designer, für Lust, nach mehr Leben, Liebe, und eben auch nach Mode. Im Kontext seines Gucci-Debüts wirft es aber auch die Frage auf: Gelingt ihm erneut dieses kreative Erdbeben, das seinen Vorgänger Alessandro Michele im Jahr 2016, als dieser seine erste Kollektion für Gucci zeigte, zum wichtigsten Designer jener Jahre machte und Gucci zum Impulsgeber der gesamten Branche? Kann ein solcher Erfolg mit solchen Nachwirkungen „noch mal“ gelingen?

François-Henri Pinault, Chef des Konzerns und Gucci-Eigentümers Kering, der neben Julia Roberts und Ryan Gosling in der ersten Reihe saß, dürfte jedenfalls zufrieden sein: De Sarno hat genau das geliefert, was von ihm erwartet wurde. Schon der erste Look verkörperte den Mix aus Sexyness und Klassik, aus „Quiet Luxury“ und Instagram-tauglichen Accessoires, den moderne Luxuskonsumenten heute lieben, Mode, die leicht zu tragen ist, und mit auffälligen Anhängseln aufgehübscht wird.

In Fall von Look eins sind das Plateau-Loafer mit Horsebit-Schnalle, die zu Mikroshorts, einen Mantel, einem weißen Tanktop und einer Jackie-Bag kombiniert werden. De Sarnos Basisrezept sind lange Beine zu kurzen Röcken oder Shorts, ein typische 60er-Jahre-Silhouette, die viel Haut zeigt aber durch Blazer, Polos oder Tanktops entschärft wird. Mehr denn je lieben es junge Frauen heute, ihre Körper zu entblößen, nicht etwa, weil sie Männerblicke bedienen wollen, sondern als ein Zeichen von Selbstermächtigung. De Sarno liefert ihnen die perfekte Uniform. Auch die Kleider sind extrem kurz und gerade geschnitten, zum BH-Top so schmal wie ein Klebeband werden damenhafte Pumps und eine winzige Bamboo-Bag getragen. Die Lässigkeit von Jeans und Hoodies trifft auf die Tiefe des „Rosso Ancora“, ein intensiv-dunkles Rot, das in der Geschichte von Gucci immer wieder verwendet wurde und nun von De Sarno zur neuen Markenfarbe erklärt wurde, die vom Logo bis zu den Einkaufstüten das Gucci-Luxus-Versprechen in die Welt trägt.

In einem Interview mit dem Branchenblatt „Womens Wear Daily“, das der Designer vor der Show gab, erzählte dieser von seinen Entdeckungen in den Archiven, von Mustern und Accessoires, die kaum bekannt sind und von denen er sich hat inspirieren lassen. So findet sich das Stickerei-Muster einer Clutch aus den 50er-Jahren als Kristallapplikation auf Kleidern und Schuhen wieder.

Das alles ist smart und durchdacht, eine gekonnte Neuinterpretation der Vergangenheit für den modernen Geschmack, welcher der Nostalgie nach vergangenen Jahrzehnten ohnehin  total verfallen ist. Wirklich überraschend, komplex oder neu ist daran nichts. Trotzdem muss man von einem Neuanfang sprechen: Sabato De Sarno herrscht ab sofort über ein “neues Gucci”, das auf den exzentrischen Applikations- und Muster-Wahnsinn der Vergangenheit verzichtet und dem Purismus, der klaren Linie und monochromen Coolness huldigt. Das passt zum Zeitgeist, trotzdem hätte man sich etwas mehr Mut, etwas mehr Persönlichkeit gewünscht. In der Pressemitteilung wurde die Kollektion als “Geschichte über fabelhafte, diverse Menschen” beschrieben, als eine Art Lobgesang auf die Lust am Leben. De Sarnos Gucci macht Lust auf Mode. Aber sie macht vor allem neugierig auf das, was noch kommen könnte.

Text
Sivia Ihring