Es ist still in Venedig. Aber die Stadt gibt ein Comeback.
Stolz. Stark. Angreifbar
Natürlich wollten wir raus. Bei aller Liebe zu deutschen Küsten und Wäldern, bei allem Wissen um die bauliche Vielfalt unseres Landes, stand doch Italien auf der Sehnsuchtsskala ganz oben. So wie es die Fans mehr denn je nach Sylt zieht, seit es einmal geschlossen war, so viel denken wir an Italien. Besonders, wenn es um Mode und die Freuden des Lebens geht. Und welche Stadt stünde mehr für unsere aktuelle Sehnsucht, Hoffnung und auch Zerrissenheit als Venedig? Seit je ein magischer Ort, einzigartig nicht nur wegen der Wasser- statt Teerstraßen. Morbide, verletzlich, aber nie untergegangen. Stolz, stark und angreifbar. Erst die große Flut im November, dann Corona. Zwangsweise zur Besinnung gekommen, daran gesundet, aber in dem Wissen, dass die vergangenen Monate eher eine Illusion war als ein belastbares Zukunftskonzept.
Eine Situation wie Zwielicht, mal sehen, was der Morgen bringt, aber vor allem sehen, wie es jetzt ist. Das war die Idee. Und mit einem kleinen Team ein besonderes Modeshooting inszenieren. Konnte ja keiner ahnen, dass es noch schöner wurde als gedacht. Weil sich die Stadt so offenbarte. Und wir mit prima Menschen zu tun hatten. Wie Sanne, dem Model, der großen Entdeckung, beruflich und menschlich, eine großartige junge Frau. Überhaupt das ganze Team, Hands-on-Leute voller Kreativität. Und Durchhaltevermögen. Mann, war das heiß zwischendurch!
Oder ein Mann wie Stefano Nicolao, der das gleichnamige Atelier führt, wobei Atelier ein viel zu nüchternes Wort für das prächtige Stoff- und Kostümlabyrinth ist, in dem man gern mal verloren ginge. Für „Herr der Ringe“ entwarf er Rüstungen, Cate Blanchetts Roben als Elisabeth I., die Kostüme aus „Casanova“, er schneidert für das Opernhaus La Fenice, für die Gondolieri. Und für Besucher. Ein Mann wie ein Film. Oder Giovanni Sgrignuoli, Pressemann vom Palazzo Grimani, der es uns ermöglichte, im einmaligen Saal zu fotografieren, und sich auch noch über unsere Freude freute. Claudio, der sich jeden Tag kurz nach Mitternacht in Padua aufs Motorrad schwingt und bis morgens um 7 Uhr in der Pasticceria alla Bragora rechtzeitig die köstlichsten Torten, Kekse und Croissants gebacken hat, damit Leute wie wir beseelt und gestärkt in den Tag starten können.
Oder Francesca Perkhofer, die starke und mutige Unternehmerin, der mit Schwester und starkem Investor das „Hotel Gabrielli“ gehört, ein Palazzo aus dem 14. Jahrhundert mit weitem Blick über die Lagune, seit 1856 in Familienbesitz, das Älteste in Venedig. Es ist geschlossen, weil sie es nach der Flut von Grund auf im Wortsinn renoviert. Aber manche Zimmer sind fertig, hier konnten wir wohnen. Unten Baustelle, oben Eleganz und Ausblick, mehr Symbol ging eigentlich nicht. Die Atmosphäre war so surreal wie inspirierend.
Natürlich ist La Serenissima viel mehr zu genießen ohne Touristenhorden, die von Giga-Kreuzfahrtschiffen in die Lagunenstadt schwappen wie Hochwasser. Natürlich ist es wunderbar, wenn man auf dem Markusplatz den Blick schweifen lassen kann – und auch was vom Platz an sich sieht. Aber wo ist die Grenze, wer kann was bezahlen? Ich muss nicht mehr gegondelt werden, aber die Männer nur warten zu sehen, ist auch schmerzhaft. Francesca Perkhofer hat schon vor Corona beschlossen und sich darauf vorbereitet, ihr großes Haus bis Anfang 2022 geschlossen zu lassen und einmal alles zu renovieren. Auslöser war die große Flut, das Wasser stand ihr bis zur Hüfte. Der Elektrik im Erdgeschoss auch. Doch so mancher Kollege weiß nicht, wie es überhaupt weitergeht. Und viele andere auch nicht. Venedig braucht Reisende. Es klingt überheblich, wenn man sagt, nicht jeden. Wir waren ja auch da. Aber wenn nun nach fast 40 Jahren Diskussion, Planung und vielen Milliarden das Sperrwerk M.O.S.E, das die Lagune vor Hochwasser schützen soll, in Betrieb genommen wurde, dann wird es auch für reißende Touristenströme eine Lösung geben. Wir wollten einfach nur nach Venedig. Solidarität zeigen, Ewigkeit sehen.