Die „Code 11.59“-Kollektion

Kleine mechanische Kunstwerke

Die schwierigste Aufgabe ist bis heute, ein Läutwerk in eine Armbanduhr einzubauen, das durch seine Gongschläge dem Träger die Zeit signalisiert. Die Königsdisziplin der Feinuhrmacherei. Audemars Piguet kann das. Und noch mehr.

 

Wenig trägt so sehr zum Mythos der Uhrenindustrie bei wie Funktionen, die auf komplizierter Mechanik beruhen. Entsprechend gern beschäftigen sich Manufakturen, die ihren Ruf als Hort brillanter Konstrukteure und Kunsthandwerker fördern wollen, mit Mondphasen, ewigen Kalendern oder Chronographen. Die schwierigste Aufgabe aber ist bis heute, ein Läutwerk in eine Armbanduhr einzubauen, das durch seine Gongschläge dem Träger die Zeit signalisiert.

Bei Patek Philippe beispielsweise kontrolliert der Chef Thierry Stern persönlich bei jedem Modell, ob die Lautstärke und die Harmonie halten, was der Name der Firma verspricht. Aber auch Anbieter aus dem Hochpreissektor wie Vacheron Constantin oder A. Lange & Söhne achten darauf, entsprechende Exemplare im Angebot zu haben. Zumeist existieren lange Wartelisten.

Besonders viel getan auf diesem Gebiet hat sich in den vergangenen Jahren bei Audemars Piguet. Davon legt das Modell „Code 11.59 Grande Sonnerie Carillon Supersonnerie“ Zeugnis ab, das die Schweizer jetzt vorstellen. Auch eine besondere Art der Emaille-Verarbeitung kommt für die Uhr zum Einsatz. Der Hersteller im Besitz der Gründerfamilien, der heute vor allem für die Stahl-Sportuhr „Royal Oak“ bekannt ist, knüpft damit an ein Erbe an, das bald nach der Geburt des Unternehmens im Jahr 1875 den Ruhm der Manufaktur mehrte.

Uhrenmodell „Code 11.59 Grande Sonnerie Carillon Supersonnerie“ von Audemars Piguet

Das Haus bewahrt mit seinen Superuhren ein Menschheitserbe – nämlich das, mit dem eigenen Kopf und den eigenen Händen völlig individuelle Gegenstände in die Welt zu setzen, die eine Maschine mit all ihrer Perfektion niemals ersetzen wird.

Bereits im Jahr 1882 sind Modelle mit einer Minutenrepetition dokumentiert – dabei werden durch das Läuten Stunden, Viertelstunden und Minuten akustisch wahrnehmbar. Bald darauf kreierte die Firma das weltweit kleinste Uhrwerk mit Minutenrepetition und 1892 die erste Armbanduhr mit dieser Funktion. Auch danach hörte man nie auf, sich mit Läutwerken zu beschäftigen.

2015 verblüffte das Unternehmen aus dem Vallée de Joux die Händler und Journalisten auf der Genfer Feinuhrenmesse mit einer Technik, die das Läutwerk in einer Lautstärke und Reinheit erklingen ließen, wie es zuvor niemand je gehört hatte. Die Töne werden bei allen Uhren mit einer akustischen Repetition durch Hämmerchen ausgelöst, die an Klangspiralen schlagen – doch diesmal hatten die Konstrukteure in Zusammenarbeit mit der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lausanne einen neuartigen Resonanzboden hinzugefügt und die Spiralen auf ihm fixiert statt wie üblich auf der Platine. Bei einer Carillon-Ausführung ertönt als Signal für die Viertelstunden nicht wie üblich ein Intervall aus zwei Schlägen, sondern ein Dreiklang.

Dieser Mechanismus findet sich nun auch in dem neuen „Code 11.59“-Modell. Das ergibt insofern Sinn, als das Unternehmen mit der 2019 lancierten Serie versucht, den Fokus der Kunden ein wenig von der „Royal Oak“ wegzubewegen. Bei ihrer Präsentation fand die „Code 11.59“-Kollektion, die bei einem runden Gehäuse einen sehr architektonischen Aufbau hat und mit einer neuen Generation von Werken ausgestattet ist, ein geteiltes Echo.

Den Emaille-Zifferblättern werden Goldplättchen hinzugefügt
Das Emaille-Zifferblatt können die Kunden bei der Uhr mitgestalten

Leute, die sie nie in der Hand hatten, verrissen das Stück auf Online-Plattformen mit Worten, die hier nicht wiedergegeben werden sollen. Ein Verhalten, das Zweifel daran aufkommen ließ, ob es sich bei Uhrenfans wirklich um so kultivierte Menschen handelt, wie sie es gern von sich behaupten, handelte es sich doch ganz offenkundig um die Tat rhetorischer Hooligans ohne einen Funken Ahnung von der Sache.

Doch auch manchen ernsthaften Kritikern wirkte die „Code 11.59-Kollektion“ im Gegensatz zur „Royal Oak“ mit ihrer unverwechselbaren achteckigen Lünette zu glatt. Die Serie deshalb mit einer Funktion auszustatten, die man entscheidend vorangetrieben hat, kann nur helfen, die Einzigartigkeit zu unterstreichen, zumal sich der Klangmechanismus ein- und ausstellen lässt.

Emaille-Kunsthandwerkerin Anita Porchet

Aber das Team ist nicht nur wegen des Läutwerks den nächsten Schritt gegangen. Die Zifferblätter erschafft die Schweizer Emaille-Kunsthandwerkerin Anita Porchet. Im Umgang mit diesem Werkstoff ist sie unerreicht, diesmal arbeitet noch dazu mit kleinen Goldplättchen, die eine besondere Fingerfertigkeit erfordern. Bei der Gestaltung haben die Kunden Mitspracherecht, was die Farbe angeht – die Klientel bei diesem Punkt mit einzubeziehen, dürfte eine tiefe Verbundenheit zwischen Käufer und Unternehmen zur Folge haben.

Zu einer „Grande Complication“ macht das Modell nach Audemars-Piguet-Standards übrigens weder das komplexe Werk noch Porchets Arbeit. Um sich dafür zu qualifizieren, muss eine Uhr eine Minutenrepetition, einen ewigen Kalender und eine Chronographen-Funktion mit Schleppsekunde in sich vereinigen. Diese mechanischen Kunstwerke erschaffen die besten Uhrmacher überhaupt in bis zu 1000 Stunden Handarbeit. Man könnte jetzt nörgeln, dass sich dieses Angebot an Menschen richtet, die über quasi unbegrenzte Finanzkraft verfügen.
Doch gleichzeitig bewahrt das Haus mit seinen Superuhren ein Menschheitserbe – nämlich das, mit dem eigenen Kopf und den eigenen Händen völlig individuelle Gegenstände in die Welt zu setzen, die eine Maschine mit all ihrer Perfektion niemals ersetzen wird. Einem Unternehmen vorzuwerfen, das zu fördern, wäre absurd. Seien wir also froh, dass es Leute gibt, die sich darum kümmern.

Text
Philip Cassier