Global Diary

Bio, Kaiser und Champagner 

Das Bio-Hotel „Stanglwirt“ ist mehr als nur ein Platz, an dem sich Prominente tummeln, denn hinter jedem Klischee steckt meist mehr als vermutet.

Die blonde Frau winkt fröhlich, während sie durch die holzgetäfelte Lobby des „Stanglwirt“ läuft.  Maria Hauser trägt Dirndl aber keinesfalls traditionelle Haferlschuhe, sondern coole Wildlederbooties mit Absatz. Und eine schlichte Bluse. Bodenständig und modern. Sie ist offenbar gern Gastgeberin, das merkt man ihr schon bei der herzlichen Begrüßung an. Sie ist die Stanglwirtin.

Maria Hauser
Junior-Chefin Maria Hauser (links) mit Balthasar Hauser (daneben) und Familie

Das klingt nach kitschigem „Bergdoktor“-Klischee, die erfolgreiche ZDF-Serie wird hier gleich ums Eck quasi, am Wilden Kaiser, gedreht. Das Geschäft mit der Sehnsucht nach Idylle funktioniert nicht nur aktuell sehr gut.

Junior-Chefin Maria Hauser muss dafür nicht in eine Rolle schlüpfen. Sie ist die Tochter von Balthasar Hauser, der sich in mehr als 60 Jahren um das Hotel nahe Kitzbühel gekümmert hat und das 5-Sterne-Haus zu einem Treffpunkt für Gäste aus aller Welt mitten in den Tiroler Bergen geformt hat. Wir sitzen am Kamin, um einen großen Tisch, Corona-konform, schauen zur Bar hinüber, zur rechten Hand lassen die großen Fensterscheiben den Blick in die Reithalle schweifen. Schließlich zählt auch ein Lipizzaner-Gestüt zum Komplex, dessen gigantischen Ausmaße sich nur erkennen lassen, wenn man mal im Stanglwirt Quartier bezieht und sich ganz allein in den endloslangen Hotelfluren orientieren muss. Der kleine Lageplan, der beim Check In mitsamt einem Fläschchen Desinfektionsmittel überreicht wird, ist da nur eine gewisse Hilfe.

Von der geräumigen Lobby aus hat Maria Hauser alles im Blick, auch was, an der Rezeption geschieht. Es ist ein Freitagmittag, nach und nach trudeln die Gäste ein, die sich über ein Wochenende einquartieren.  Ein Segen für die Hotelfachfrau – nach all den Monaten des Stillstands. „Corona kann man nicht schönreden, nein, nirgendwo“, sagt sie und wird ernst. Der erste Lockdown von März bis zur Wiedereröffnung im Frühjahr 2020 schmerzte besonders.

Nach mehr als 250 Jahren mussten Hotel und Gasthof erstmals schließen. „Wir kannten keinen Ruhetag – nicht mal an Weihnachten“, erzählt die Mutter von zwei kleinen Mädchen.

Noch immer hängt am Gasthof, dort, wo alles begann, das Schild, auf das Maria und ihre Familie besonders stolz sind. „Seit 250 Jahren kein Ruhetag“. Dass der Gasthof, den die Vorfahren der Hauser-Familie bereits 1609 gründeten, während der beiden Weltkriege zwangsläufig ruhen musste, zählt die Familie nicht mit. „Warum? Weil das nach der Ansicht meines Vaters keine freiwilligen Schließungen waren“, erklärt Maria, die das Haus nun in elfter Generation führt.  Corona ist auch so eine Situation.

Ihre positive Grundeinstellung hat sie vom Vater übernommen. „Was kann uns auch schon passieren? Im Worst Case fangen wir wieder von vorn an – als Gast- und Bauernhof. Hauptsache ist wir sind gesund und halten zusammen.“

 Z‘sammen halten, Abstand halten – das neue Stanglwirt-Motto.

Überall zwischen Rezeption, Restaurants und im Spa, stößt der Gast auf das Schild, das an den Abstand erinnert. „Wir wollten nichts Abschreckendes, Panikmache gab es ja überall. Die Gäste sollen die Nestwärme spüren, und dazu gehört Sicherheit, und niemand soll sich wie auf einer sterilen Raumstation fühlen“.

Keinen der insgesamt drei Lockdowns, die Österreich im vergangenen Jahr verhängt hatte und die gezwungenermaßen zum Stillstand führten, haben die Hausers ungenutzt gelassen. Die Anlage beschäftigt 320 Mitarbeiter, die Familie hat viel investiert, umgebaut, erweitert, erneuert. Die Marketing- und PR-Abteilung, eine der Hauptaufgaben von Maria Hauser, standen nicht still. „Außerdem haben wir 160 Tiere, die Tag für Tag versorgt werden müssen“, erklärt sie.

Klar, der Großteil der Mannschaft arbeitete in Kurzarbeit, doch alle bekamen das Versprechen der Familie, zurückkommen zu können, sobald es wieder losgeht.

Der Gedanke an 300 leerstehende Zimmern und Suiten, erscheint Außenstehenden eher unheimlich. Der Film-Klassiker „Shining“ kommt in den Sinn. Doch durch das leere Hotel zu streifen, kam Maria, die mit ihren Geschwistern in einer kleinen Wohnung mitten im Hotel aufgewachsen ist in der die ihre Eltern noch immer wohnen, zu keinem Zeitpunkt merkwürdig vor.

„Es war nie komisch, es hat mich eher darin bestätigt, dass der Geist, der bei uns herrscht, dieses heimelige Gefühl, nie verloren gegangen ist. Es ist eben kein typisches Hotel, sondern unser Zuhause, das Wärme ausstrahlt, die auch spürbar ist, wenn keine Gäste da sind. Denn wir öffnen unser Zuhause quasi für die Gäste, viele davon sind inzwischen Freunde geworden.“ Das scheint das Rezept für ihren Erfolg zu sein. Daheim zu sein im Stanglwirt.

Den Erfolg, den letztendlich ihr heute 74-jährige Vater, Balthasar Hauser, begründete. 1966 übernahm er als junger Mann nach dem frühen Tod seiner Mutter den Gasthof, zu dem damals ein paar Zimmer mit fließend Wasser zählten, die unter der Woche Fernfahrer oder Vertreter bezogen, an den Wochenenden kamen Ausflügler zum Wandern. Von dem was das Haus heute bietet, drei Swimmingpools, einen Naturbadeteich, 16 Tennisplätze, fünf Saunen, Spa, Fitnessgrotte, waren sie damals weit entfernt.

Bio-Suite über der Kaiserwiese
Pick up Lounge
Begrünte Dächer
Tennis Wilder Kaiser
Felsen Whirlpool
Oase der Stille
Naturbadesee
Felsenbad und Außenpool

Bio- und Wellnesshotel „Stanglwirt“ in Going am Wilden Kaiser, Österreich.

Es war die strategisch günstige Lage an der Bundesstraße 178, weshalb sich die Gäste einquartierten. Nicht die inzwischen 12.000 qm große Spa-Landschaft. „Der kürzeste Weg von Paris nach Wien führte einst am Stanglwirt vorbei“, wird Balthasar Hauser oft zitiert. Das können sich Gäste, die sich, wenn man die Fotowände nahe des Fitnessbereiches oder im Gasthof entlangstreift, wie das Who is Who der Unterhaltungs- und Sportwelt liest, heute kaum noch vorstellen: Muhammad Ali, Bing Crosby, Kaiserin Soraya, „Kaiser“ Franz Beckenbauer, amerikanische Präsidenten, Wladimir Klitschko bereitete sich gar hier auf seine Wettkämpfe vor. Heute kommen Fußballer und Pop- und TV-Sternchen, Influencer, die sich vor der imposanten Bergkulisse räkeln, die Münchner Schickeria, für die Kitzbühel quasi ein Vorort ist, genauso wie Berliner Internetunternehmer mit Familie.

Hauptsächlich dann, wenn im Januar das traditionelle Hahnenkammrennen stattfindet, das legendäre Skirennen in Kitzbühel. Die Weißwurstparty, die im kommenden Januar zum 30. Mal stattfinden soll und mal als kleines Treffen begann, wird inzwischen als Großevent angeboten. Fast 2000 Eintrittskarten waren im letzten Jahr innerhalb von 30 Minuten ausverkauft.

So viel Aufheben ist Maria Hauser nicht angenehm. Sie weiß um das Klischee von Champagner, Weißwurst und der großen Sause in der Reithalle. Das es am Anfang um den Sport und das Zusammenkommen von Kitzbüheler Freunden ging, ist inzwischen Nebensache.

„Jede Medaille hat zwei Seiten. Jeder Prominente, sobald er in der Öffentlichkeit steht, polarisiert. So ist das bei uns auch. Wir sind ein prominentes Hotel, stehen also auch in der Öffentlichkeit.“

Es sei ein Geschenk, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, sie sieht Klatschblätter als ihre Partner, viele Gäste kommen nur deshalb. Viele wissen gar nicht einmal, was sich im Hotel „Stanglwirt“ eigentlich abspielt. Denken, es gäbe nur die legendäre Weißwurstparty. Maria Hauser arbeitet mit Elan am Image, möchte vermitteln, worum es im „Stanglwirt“ eigentlich geht, denn das Bio-Hotel ist mehr als nur Prominenten-Herberge.

„Wir steuern auf eine neue Welt zu, dessen bin ich mir sicher“, sagt sie. Das merke sie auch an den Fragen von Journalisten, denen es früher bloß darum ging, zu erfahren, welches der teuerste Champagner auf der Karte ist, was die teuerste Suite koste, wer der berühmteste Gast sei. „Ich habe immer versucht die Antworten davon abzulenken, und gefragt: Fragen Sie doch lieber mal, warum die Prominenten zu uns kommen?“  Es geht um Wellness, Sport, Werte, Nachhaltigkeit – das Land bewahren für die Generationen, die folgen. Das alles ist kein Neuland für die Stanglwirt-Familie.

Autorin Caroline Börger mit Balthasar Hauser

Bereits in den 70er-Jahren begann Vater Hauser damit, Haus und Hof Bio-gerecht zu machen, änderte die Bauweise, die Zimmerausstattung, setzte auf Holz aus der Region. Sogar die Telefone sind aus Holz. Und das lange bevor der Bio-Hype zum Massentrendwurde. „Anfangs sind wir dafür verspottet worden, mein Vater wurde als Spinner dargestellt, aber er war seiner Zeit voraus!“, erzählt die Tochter sichtlich stolz. Sie erinnert sich an einen Abend in 2019 in der Wiener Hofburg. Arnold Schwarzenegger, Österreicher, Action-Star, Politiker, Stanglwirt-Stammgast, lud Maria und Balthasar Hauser zu seinem alljährlichen Umweltgipfel. Eine der Auszeichnungen ging an Vater Hauser. Er sei ein „Green Visionary“, ein Rolemodel für gesunden Tourismus, der nicht nur ausbeute. „Mein Vater sollte auf die Bühne kommen. Wir saßen im Publikum, als er plötzlich zu mir sagte: „Weißt‘ Maria, worüber ich mich am meisten freue? Dass die Leute nun endlich verstehen, von was ich die ganze Zeit rede.“

 „Nehmen was da ist, was vor der Tür ist“ – lautet bis heute seine Devise. Für ihn eine Selbstverständlichkeit. Für die Branche nicht.

Man kann die Auszeit im Stanglwirt weder über ein Reisebüro noch über ein Buchungsportal buchen. Die meisten Gäste nutzen noch immer das Telefon oder die Homepage. Umso erstaunlicher, dass das Hotel zu den Top 3 (mit dem Hotel Sacher) der erfolgreichsten Hotels des Landes zählt.

Vielleicht mag es auch an der von außen nicht einsehbaren Lage liegen. Denn Balthasar Hauser wurde, als alle noch ihre Hotelzimmer mit Südausrichtung planten, klar, dass der Blick auf das Kaisergebirge das eigentliche Besondere sein könnte. Auch wenn das in Nordausrichtung liegt. Fast 95 Prozent aller Zimmer den Blick auf den „Kaiser“. „Der Kaiserblick ist unser Meerblick“, erklärt Maria Hauser und lacht. Jener Weitblick, den es auch für die nächste Generation zu bewahren gilt.

Zimmer mit Aussicht auf den Kaiser
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Caroline Börger