Von einem winzigen, französischen Kaff über Marseille und Barcelona nach Berlin: Die Künstlerin Johanna Dumet hat eine erstaunliche Karriere hinter und vor sich.
Die Ritterin der Tafelrunde
Von einem winzigen, französischen Kaff über Marseille und Barcelona nach Berlin: Die Künstlerin Johanna Dumet hat eine erstaunliche Karriere hinter und vor sich.
Hart ist er natürlich schon, der neue, sandfarbene Betonboden in Johanna Dumets Studio. Glatt, kühl und nahezu unbefleckt – handwerkliche Perfektion. Und deshalb die Frage: Schuhe an, Schuhe aus? Wie macht man das im Atelier? Die 30-jährige Künstlerin ist sich selbst nicht ganz sicher. Also, Schuhe aus und hinein in den Mikrokosmos einer Malerin, die im Makrokosmos der Kunstwelt nicht nur ein besonderes Händchen für ihre Arbeit, sondern auch für deren Präsentation hat: Zugänglich, ohne gefällig zu sein, kraft- und humorvoll, trifft sie das Interesse von Sammlern, Marken und ihrer Instagram-Community gleichermaßen. So gesehen, ist sie ultra-zeitgenössisch. Vertreten durch die Berliner Powerhouse-Galerie von Johann König, bespielt sie Instagram wie eine Influencerin mit Fotos ihrer Kunst, aber auch aus ihrem Urlaub, oder von sich selbst. Sie kooperiert mit Marken wie Hermès, Tiffany oder Bang & Olufsen. Vor Kurzem wurde eine gemalte Tischszene von ihr zwischen die illustren Künstler der Berliner „Paris Bar“ gehängt. Museen beziehungsweise Kulturinstitutionen in China und Düsseldorf interessieren sich für ihre Arbeit, und für ihre weniger begüterten Fans hatte sie im Juli einen bezahlbaren Print zur Bestellung über ihre eigene Website herausgebracht. Titel: „The New Neighbours“ (die neuen Nachbarn), der schnell ausverkauft war: „Kunst ist ein Luxusgegenstand. Mit diesem Print können sich auch andere Leute als nur Sammler eine Arbeit von mir leisten. Das ist mir wichtig.“
Dumet selbst ist auch ein Neuzugang in der Berliner Kunstszene und eine neue Nachbarin in den Wilhelm Hallen in Berlin Reinickendorf, ein gründerzeitliches Industrieareal, das zahlreiche Ateliers und Galerien beherbergt. Das Maisonette-Studio, das sie sich mit ihrem Partner, dem Künstler Manuel Wroblewski, teilt, hat sie Ende vergangenen Jahres bezogen. Hier lässt es sich gut aushalten: Unten gibt es eine kleine Küche, oben ein Bett, im Erdgeschoss ein langer Tisch, an dem sie an diesem Tag ihre Prints unterschreibt und mit kleinen, gemalten Tieren als Dreingabe versieht. Um Dumet herum stehen großformatige Selbstportraits, die sie bei einem Aufenthalt in Portugal von sich angefertigt hat. Sie sehen wie zweidimensionale Werbeplakate oder Magazincover aus, die trotz ihrer Flächigkeit und den knalligen Farben irgendwie skizzenhaft wirken und sich selbst nicht ganz ernst nehmen: Mal hält sie darauf eine Coladose oder ein Weinglas in der Hand, mal eine Katze im Arm, mal räkelt sie sich in einem grünen Cocktailkleid:
„Mir geht es immer darum, den Moment einzufangen, nicht um Perfektion“
sagt sie. Dass sie Malerin werden wollte, verkündete sie ihren Eltern bereits mit fünf Jahren. Dass ihre Arbeiten 25 Jahre später in Berlin heiß gehandelt werden würde, war jedoch keineswegs vorgezeichnet. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf namens La Pâques in der Nähe von Limoges, das aus einer Straße mit drei Häusern besteht. Ihr Vater ist Metallarbeiter, die Mutter Krankenschwester. Ihre Kindheit sei sie frei gewesen: „Wir hatten kein Geld, um vornehme Dinge zu kaufen“, erzählt sie. „Deshalb machte ich alles selbst. Mit fünf bastelte ich Schmuck, mit sieben bekam ich eine Nähmaschine.“ Mit 17 Jahren entschließt sie sich, Modedesign zu studieren und wird in Marseille an der Universität angenommen. Für ein Praktikum geht sie eine Zeit lang nach Indien. Dort wird ihr besonderes Verhältnis zu Farben geweckt: „In Indien gibt es, was die Farbkombinationen angeht, keine Regeln. Alles geht irgendwie zusammen und sieht gut aus.“
Nach zwei Jahren hat sie ihren Abschluss an der Modehochschule und weiß: „Es war toll, aber das ist es nicht. Ich wollte nicht Teil der Modewelt sein. Dort geht es letztlich darum, mit seiner Arbeit der Kundin zu gefallen. Mit meiner Kunst ist es das genaue Gegenteil: Sie muss nur mir selbst gefallen.“ Theoretisch könnte es vermeintlich einfach sein: Bekannt wurde sie mit ihren Tisch-Szenen, mal mit, mal ohne Menschen, aber immer im Sinne kulinarischer und sonstiger Ausschweifung: Auf Dumets Tischen stapeln sich Krustentiere, überquellende Aschenbecher, Weinflaschen, Handtaschen, Schinkenkeulen, Blumen und Katzen. Es ist was los auf diesen Bildern. Aber die Schöpferin dieser Tafelrunden ist gesättigt: „Alle wollen meine Tische, aber ich weiß nicht mehr, was ich drauf stellen soll. Ich interessiere mich inzwischen für andere Themen.
Neben den Selbstportraits arbeitet sie nun an einer Serie mit männlichen Akten. Einige Leinwände rollt sie zur Ansicht auf dem Boden in ihrem Atelier aus: Ein nackter Mann in Pastell, der nach vorne gebeugt seine Zehen berührt, ein weiterer im offenen, gestreiften Bademantel mit baumelndem Penis und Kaffeekanne. Es ist ein erstaunlicher Weg, den Dumet in den letzten Jahren zurückgelegt hat: Die Techniken für ihre Art zu arbeiten, hat sie sich als Autodidaktin mit dem Studium von Werken in Museen und bei befreundeten Künstlern beigebracht. 2018 saß sie in ihrer Küche und googelte: „Wie komme ich in eine Galerie“. Googles Antwort lautete: „Häng in Galerien ab, häng mit anderen Künstlern ab, die Dich ihrem Galeristen empfehlen.“ Nichts, was Dumet gefiel: „So wird man zum Schleimer. Ich möchte mich nicht mit Leuten anfreunden, mit denen ich nicht befreundet sein möchte.“ Weshalb sie ihre Karriere auf Instagram launchte: „Instagram durchbrach alle diese Grenzen“, sagt sie. Auch, was ihr Betätigungsfeld angeht: Wenn das Modehaus Hermès fünf gemalte Handtaschen von ihr möchte, macht sie das:
„Ja, ich bin Malerin, ja ich bewege mich in der Kunstwelt, aber ich bin auch eine 30-Jährige Frau, die schöne Dinge liebt. Es macht mich glücklich und ich habe Spaß dabei.“
Die Bilder der Handtaschen wurden sukzessive von Hermès auf dem Firmen-Account gepostet. „Von mir aus können die Leute mich auch Influencerin nennen. Das kann durchaus etwas Gutes sein, denn meine Follower unterstützen mich in meiner Arbeit und ich gebe Ihnen auch etwas zurück.“
Vermutlich auch eine Form von Energie. Denn ähnlich wie ihre Bilder hat die Malerin eine Art von Präsenz, die die eingefahrenen Gepflogenheiten der Kunst- oder Modewelt überstrahlt, ohne sie zu düpieren oder grundsätzlich in Frage zu stellen. Mit zielstrebiger Nonchalance hat sie sich einen eigenen Weg gesucht, die Dinge anzugehen. Und plötzlich ist alles im Fluss: Kunst, Mode, Kommerz und die sozialen Medien. Dumets Arbeit hat etwas Lebensbejahendes, versöhnt mit Imperfektionen. Und das allein ist in Zeiten wie diesen eine Kunst.
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