In der Gestaltung von Luxushotels sind die Architekten Yabu Pushelberg Power Player. Nun erobern sie Europa.
Pragmatische Grandezza
Dass Glenn Pushelberg und George Yabu kontaktfreudig sind, kommt sogar gefiltert über 6000 Kilometer Entfernung und einen Bildschirm rüber. In New York, wo die beiden kanadischen Architekten ihren Hauptsitz haben, ist es erst Vormittag, aber von der anderen Seite des Atlantiks schwappt ausgelassene Stimmung rüber. Da wird gelacht und sich ins Wort gefallen, die Antworten überschlagen sich.
Kein Zweifel: Hier spricht ein Paar, das sich sehr lange kennt. Mit denen würde man auch an der Hotelbar oder im Restaurant sofort ins Gespräch kommen. Und ein Plausch mit und über Europa steht dringend an: Große Projekte werfen ihre Schatten voraus, unter anderem wird im September aller Voraussicht nach in Paris der Einkaufstempel „La Samaritaine“ nach 15 Jahren wiedereröffnen, dessen 30.000 Quadratmeter große Verkaufsfläche Yabu Pushelberg weitgehend gestaltet haben. In der britischen Hauptstadt wartet derweil das Hotel „The Londoner“ auf das Ende des Corona-Schlafes. Auch kleinere Kollaborationen gibt es mannigfach. Der Weg auf den Kontinent kam über Umwege und erst nach Jahrzehnten, dafür jetzt mit voller Kraft: „Das war unsere letzte Bastion“, sagt Pushelberg und lacht.
Der Anlauf, sie zu stürmen, war lang. Schon 1980 fanden die Kanadier nach dem Studium in Toronto zueinander: „Wir waren Kinder“, sagt Yabu verschmitzt.
Gemeinsam baute man zunächst Reinigungen und Copy Shops um. 40 Jahre später hat ihr kleines Imperium über 100 Mitarbeiter und auf der ganzen Welt Spuren hinterlassen – am augenfälligsten im Bereich der Luxushotellerie.
Mit dem „W“- Hotel am Times Square ging es in den 90er-Jahren los, seitdem gibt es wohl kaum eine Marke, für die sie nicht gestaltet haben: Das „Park Hyatt“ in Bangkok und New York gehört dazu, das „Rosewood“ in Guangzhou ebenfalls. Ritz Carlton und Fairmont haben sie im Portfolio, aber auch die hippen Edition Hotels oder Aman Resorts – alles bekannte Häfen für den gehobenen Globalisten:
„Luxushotels altern oft mit ihrer Stammkundschaft. Unsere Aufgabe ist es, die Prinzipien, die eine Marke groß gemacht haben, aufrechtzuerhalten und sie gleichzeitig interessant für die nächste Generation von Reisenden zu machen“, so Pushelberg.
Wonach verlangt also der globale Nomade heutzutage? „Es gibt ein grundlegendes Missverständnis“, erklärt Yabu. „Hotelbesitzer wünschen oft, dass ihr Hotel ein ‚Home away from home‘, also ein Zuhause in der Ferne, sein solle. Tatsächlich wollen viele Leute aber auch mal raus aus ihrem Zuhause und eine andere Welt erleben.“
Oder auch: eine alltagsfreie Welt ohne knittrige Bettwäsche, Flecken auf dem Sofa und schwächelnden Duschstrahl. Aber auch: Inseln der Vertrautheit für Vielreisende. Hotels, wie sie von Yabu Pushelberg gestaltet werden, müssen das Bedürfnis des Besuchers nach Sicherheit und temporärer Abschirmung bedienen und gleichzeitig den Blick für das Unbekannte, das sich vor der Tür des Hauses abspielt, öffnen. Auch wenn jedes Haus, das von ihnen eingerichtet wurde, anders ist, so haben sie doch eine verbindende und verbindliche Designsprache in diesem Segment hervorgebracht: Komfortabel, gediegen und großzügig, pragmatische Grandezza: „Ich möchte keinen Stuhl neben meinem Bett stehen haben, sondern ein Sofa“, bringt Yabu es auf den Punkt.
Auch sonst offenbart sich der Wille zum Angenehmen in geschwungenem Mobiliar, runden Ecken sowie ausgewählten Statement-Pieces wie Leuchten oder Skulpturen. Gedämpfte Farbtöne wie Hellgrau und Beige, Einsatz von Marmor und Holz sorgen für ein klares, aufgeräumtes Gefühl. Dazu kommt, dass angesagte Hotels mehr als die Summe ihrer Zimmer und Einrichtungsgegenstände sind. Speziell, seit das ständige Unterwegssein sich vor Corona zu einer Art Breitensport entwickelt hatte. Diese Häuser sind auch angesagte Treffpunkte:
„Die Schönheit eines Ortes liegt darin, ihn zu erfahren“, so Yabu.
Die Architekten sind die Erfinder eines luxuriösen Design-Esperanto, das in jeweils unterschiedliche Formate gegossen wird. Auch im Kaufhaus- und Boutiquedesign kommt das gut an. Und im regional geprägten Europa wird dieser Stil nun auch zunehmend nachgefragt: Leuchtturmprojekte wie die Renovierung des Kaufhauses Printemps am Boulevard Haussmann in Paris 2015 gibt es inzwischen vorzuzeigen, und spätestens mit der Eröffnung von La Samaritaine wird ihre Bekanntheit auf dem Kontinent nochmals zunehmen. Dass sowohl die Reisebranche als auch das physische Shopping in der Krise sind, erleben die Beiden derzeit bei sich in New York vor der Haustür. Andererseits, so Pushelberg, glaube er, dass die Zukunft zwei Arten von Läden stärken werde: den unmittelbaren Nachbarschaftsladen und das glamouröse Destinationsshopping an Orten, die eine in sich geschlossene Welt bieten. Und für letzteres sind sie die Spezialisten.
Den Fuß in die europäische Tür bekamen die Kanadier nach eigenem Bekunden aber über das Produktdesign – ein neues Feld für sie, das sie auch ob des vergleichbar rasanten Realisierungstempos begeisterte, denn an einem Hotel arbeitet man oft gut und gern zehn Jahre und mehr. Zu ihren ersten Kunden hier vor fünf Jahren zählte das niederländische Unternehmen Linteloo, für das sie mehrere Sitzmöbel und einen Coffee-Table entwarfen. Es folgte unter anderem der Glastisch „Nacre“ für Glas Italia, dessen Form von einer Auster inspiriert ist und dessen Inneres auch als Terrarium genutzt werden kann. Und mit dem belgischen Outdoormöbelhersteller Tribù arbeitet man seit 2017 zusammen und entwickelt die modulare Kollektion „Nodi“, die Stahl mit Flechtwerk und luftig weichen Kissen kombiniert.
Yabu Puschelbergs Möbel wirken üppig, sinnlich und kommunikativ. So wie man es auch bei originellem und hochwertigem Hotelmobiliar schätzt. 2018 erschien bei Molteni das Sofa „Surf“, rundlich und prall mit leicht nach hinten geneigter Rückenlehne, auf der man auch sitzen oder sich zu einem Plausch im Vorbeigehen anlehnen kann:
„Die Leute achten nie auf die Rückseite eines Sofas“, so Pushelberg. „Immer wird es nur von vorn gezeigt. Wir haben es uns von allen Seiten angeschaut, und es ist auf 360 Grad einladend.“
Es scheint, als hätten die notorischen Globetrotter nun auch ihren Platz in Europa gefunden. Was ihnen hier besonders gefalle, sei das Arbeiten und der direkte Draht in Familienbetrieben. Davon gibt es im Designbereich einige. Den italienischen Armaturenhersteller Fantini und den deutschen Luxusküchenhersteller Eggersmann zum Beispiel, mit denen demnächst Kooperationen anstehen. Bei Yabu Puschelberg schaut man selbstbewusst auf das, was kommt: „Europa braucht uns für Hotels. Denn dort sind sie historisch oder trendy – und die trendy Hotels sind nicht komfortabel“, urteilt Pushelberg. Ihr eigenes Lieblingshotel? Das „Casa Fortunato“ in Lissabon, ein kleiner Familienbetrieb, „stylisch und hochindividuell“. Vielen großen Konzernen sei „das Wesen der Gastgebertradition“ abhanden gekommen. Dabei sei es eigentlich ganz simpel: „Mein Zuhause für dich“. Es sieht so aus, als könne die Welt da auch noch was von Europa lernen.