Von Worpswede in die Welt

Paula Modersohn-Becker wurde eine Heilige der deutschen Kunstgeschichte. Deutschlands wichtigste Malerin der frühen Moderne. In Worpswede, nahe Bremen, hat sie zeitweilig gelebt. Es war nicht irgendein Ort, es war, eigentlich wie Paris, ein künstlerisches Zentrum.

 

Pariser Mode und norddeutsche Moorlandschaften, geht das zusammen, und wenn ja, wie? Niemand hätte besser Auskunft über solche Fragen geben können als Paula Modersohn-Becker – Deutschlands wichtigste Malerin der frühen Moderne. In Worpswede, nahe Bremen, hat sie zeitweilig gelebt, und der Ort ist mit ihrem Namen verbunden – „Künstlerdorf“ auf immer, auch wenn die Avantgarde schon lange woanders zu finden ist. Auch Paula Modersohn-Becker zog es von Worpswede immer wieder fort. Nach Paris ist sie gereist, vier Mal insgesamt, und doch ist sie immer wieder zurückgekehrt in die braune, erdige Dorflandschaft, in ihr Atelier beim Kleinbauern Hermann Brünjes und zu ihren Künstlerfreunden, die ihr Vater nur die „Moorkleckser“ nannte. Wenn sie dort aus ihrem Zimmer trat, so beschrieb es eine Biografin, „musste sie aufpassen, dass sie nicht mit einer Kuh zusammenstieß“. Ihren Blick für die Mode und die Verheißungen der Großstadt hat sie darüber nicht verloren. Paris, das sie jeweils für mehrere Monate besuchte, war für sie ein Erweckungserlebnis, „ein Fest“. Und doch beschrieb sie die dortigen Künstler und ihre Moden leicht amüsiert und lästerte über deren Auftritte mit langen Haaren und „braunen Sammetanzügen, mit seltsamer Toga und wehenden Schlipsen“. Ihrer Liebe zu Paris, ihrer eigenen Lebenslust tat das natürlich keinen Abbruch, zumal sie dort prägende Eindrücke erhielt, unter anderem durch das Werk von Cézanne und Rodin, den sie in dessen Atelier besuchte. Innerlich jubelte sie ob solcher Entdeckungen: „Ich gehe durch die Boulevards und Scharen von Menschen begegnen mir und in mir ruft es: ‚So etwas Schönes, wie ich es noch vor mir habe, habt ihr alle, alle, alle nicht‘.“

Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn
Paulas Atelier

Danach kam wieder die Moorlandschaft. Paris–Worpswede, was für eine Verbindung! Doch Worpswede zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eben nicht irgendein Ort, es war, eigentlich wie Paris, ein künstlerisches Zentrum. Eine ganze Gruppe von Avantgardisten hatte sich hier versammelt, auf der Suche nach Natur, billigem Atelierraum und einem Licht, für das es wohl Künstleraugen bedurfte, um es zu würdigen. Was für Normalsterbliche wie ein norddeutscher Regentag aussah, beschrieb Rainer Maria Rilke geradezu schwärmerisch: „Nur noch lauter wurden (durch den Regen) alle Farben; das Violett der großen Heideflächen bekam samtene Nuancen von warmer Tönung, und irgendeine Ziege, die über die Heide ging, war weiß wie aus Elfenbein.“ Die Maler Heinrich Vogeler, Fritz Mackensen oder Otto Modersohn sahen das auch so, ihre Namen sind heute geläufiges Gut der Kunstgeschichte. Rilke, mittendrin dabei, war mit Paulas bester Freundin Clara Westhoff, einer Bildhauerin, verheiratet. Paula selbst nannte er nur „die blonde Malerin“, obwohl ihre Haare braun waren. Sie waren einander verbunden, wie zahlreiche Briefe belegen. Ihre Kunst jedoch kam in seiner Schilderung der Worpsweder Gruppe nicht vor. Erst zwei Jahre nach ihrem frühen Tod, sie starb mit 31 nach der Geburt ihrer Tochter, dichtete er rilkemäßige Verse über ihre Bilder. Nun beschreibt er sie über eines ihrer Selbstporträts: „So ohne Neugier war zuletzt dein Schaun und so besitzlos, von so wahrer Anmut, dass es sich selbst nicht mehr begehrte: heilig.“

Im Torfkahn auf der Hamme: Midi-Kleid von Longchamp. Schapka aus Kunstfell: Dries Van Noten. Ringe: Christian Dior

Er sollte recht behalten: Paula Modersohn-Becker wurde eine Heilige der deutschen Kunstgeschichte. Besagtes Gemälde gilt heute als der erste weibliche Selbstakt der Kunstgeschichte. 750 Gemälde hat sie in ihrem kurzen Leben geschaffen, viele Kinderbilder darunter. Nur eine einzige Ausstellung ihrer Werke durfte sie selbst erleben. Die, in der Bremer Kunsthalle 1899, wurde von einem Kritiker im Pöbeltonfall runtergemacht. Von „unqualifizierten Leistungen“ und „sogenannten Studien“ ist da die Rede. Die junge Paula Becker, damals noch ohne Modersohn, holte ihre Arbeiten umgehend aus der Kunsthalle wieder ab.

Mit ihrem späteren Mann verband sie eine seltsame Allianz. Zuerst, als er noch mit einer anderen verheiratet war, lud sie ihn, den zehn Jahre älteren, nach Paris ein, wo sie in stillem, oft schweigendem Einverständnis zusammen waren. Später, er war nun verwitwet und mit ihr verlobt, schwärmt sie von seiner Liebe, doch die Verheißungen der Verlobungszeit erfüllten sich nicht. Auch nach fünf Jahren Ehe war sie noch Jungfrau, das Paar kam einfach nicht zueinander. Unterdessen malte sie monumentale, nackte Mütter mit Kindern, die Motive waren sehr irdisch und eine Ungeheuerlichkeit für die damalige Zeit. Dann reiste sie wieder einmal ab, nach Paris. Ihrem Mann schrieb sie: „Ich mag dich nicht zum Manne haben“ und eine Woche später: „Komme bald her, dass wir uns versuchen wiederzufinden.“ Unterdessen traf sie den Soziologen Werner Sombart, einen notorischen Frauenhelden. Danach, unter vielem hin und her, versöhnte sie sich in Paris mit Otto Modersohn, später gingen sie zusammen zurück nach Worpswede, wo sie 1907 ihre Tochter zur Welt brachte. Wenige Tage nach der Geburt verstarb Paula Modersohn-Becker an einer Embolie. Die Eröffnung ihrer ersten großen Ausstellung, wenige Wochen später in der Bremer Kunsthalle, konnte sie nicht mehr miterleben. Die Schau war eine Entdeckung für die Kunstwelt und sogar für diejenigen, die ihr nahegestanden hatten. Otto Modersohn und sein Künstlerfreund Heinrich Vogeler entdeckten in ihrem Atelier viele Bilder, die sie nie jemandem gezeigt hatte. Wenige Wochen später, im Frühjahr 1908, hingen ihre Werke beim Berliner Kunsthändler Paul Cassirer neben denen von van Gogh, Renoir und Manet, und Deutschland entdeckte, langsam, eine seiner größten Künstlerinnen.

Das Shooting

Die Künstlerkolonie Worpswede ist seit über 100 Jahren ein Ort, wo die Freiheit des Blickes zu neuen Perspektiven führt. Selbst ein Ausflug in die derzeit pittoresk verhangene Landschaft ordnet die Gedanken. Und für die starken Looks der aktuellen Winterkollektion bietet sich eine Gemälde-gleiche Szenerie:

Nadelstreifen Anzug: Karl Lagerfeld. Männer-Smokinghemd mit Kentkragen, schwarze Seidenfliege: Seidensticker. Strumpfhose: Falke. Schirmmütze aus Leder und Mary Janes: Christian Dior
Im Hintergrund: Laura im bodenlangen Mantel von Chanel
An der Hamme: Taillierter Maxi-Mantel und Seidenkleid darunter: Miu Miu
Auf den Stufen vom Barkenhoff in einem Mantel von Tod’s. Dazu: Kleid und Haarreif von Giambattista Valli
In Paula Modersohn-Beckers Atelier (kann man übrigens als Ferienwohnung mieten): Baumwollbluse, Epauletten aus Perlentressen, knielanger Tweedrock: Prada
Steingraues Cape: Salvatore Ferragamo. Ärmelloses Kleid in kariertem Dégradé mit gefransten Säumen sowie schwarze Lederboots mit Stern auf der Sohle: Christian Dior. Handstrickschal aus Kaschmir: Iris von Arnim. Ledergürtel: Etro
Bodenlanger Mantel mit Strichmuster, Choker mit CC-Monogramm: Chanel
Hellgraue Teddyplüschjacke: Brunello Cucinelli. Seidenkleid mit Biesendetails, gestuftem Rockteil und Puffärmeln: Tory Burch. Mary-Janes: Dior. Florentinerhut: hutdevries.de
Im Garten des Barkenhoff. Bolero mit Houndstooth-Muster, Baumwollbluse, Maxi-Rock, gehäkelte Handschuhe, Minibag: alles Gucci
Nachtblaues Blusenkleid: Max Mara. Shoulderpiece: zaafar.com
Nadelstreifen Anzug: Karl Lagerfeld. Männer-Smokinghemd mit Kentkragen, schwarze Seidenfliege: Seidensticker. Strumpfhose: Falke. Schirmmütze aus Leder und Mary Janes: Christian Dior
Text
Christian Tröster
Foto
Esther Haase
Assistenz
Marie Hübner
Model
Laura Schuller
Styling
Silja Lange
Assistenz
Jakob Schaefer
Haare & Make-up
Agnesha Kollien mit Produkten von Oribe + Chanel
Digital Operator
Marckus Klapper
Casting
Martin Freimoser