VON ALLEN GETRAGEN

Wie über den Aufstand im Iran sprechen, der mit der eigenen Biografie eng verwoben und doch wie zwangsweise abgespalten ist? Die Designerin Leyla Piedayesh rief fünf weitere bekannte deutsche Frauen aus iranischen Familien und mit künstlerischen Berufen zusammen. Sie sprachen mit HEIKE BLÜMNER über ihre Eindrücke aus dem Land in Aufruhr.

Tragen, was sie wollen! Von links: Designerin Leyla Piedayesh (Anzug: Lala Berlin); Filmproduzentin Minu Barati Fischer (Kaftan: Simone Bruns), Schauspielerin Sarah Sandeh (Lederhemd: Miu Miu); Schauspielerinnen Pegah Ferydoni (Bluse: Lala Berlin, Hose: Dorothee Schumacher), Jasmin Tabatabai (Bluse: Stella McCartney, Hose: Arms), Melika Foroutan (Bluse: The Row, Rock: Vivienne Westwood). Dank an Aproposstore.com und ungerfashion.com für’s Ausleihen

 

Von Leichtigkeit ist an dem grauen Januartag im Foto­studio in einem ehemaligen Fabrikgebäude in Berlin­ Neukölln wenig zu spüren. Und es liegt ausnahmsweise mal nicht am Wetter, oder daran, dass hier sechs sendungsbewusste Frauen in knapp bemessener Zeit zu einem Gruppen­foto arrangiert werden müssen. Ei­gentlich geht es um alles andere. Um die ganz großen Themen wie Leben und Tod, Kampf und Hingabe, und darum, was es unter Umständen bedeu­ten kann, in der heutigen Zeit für Frau­enrechte einzustehen.

Vor knapp einem halben Jahr wurde Mahsa Amini von der iranischen Sitten­polizei ermordet, weil ihre Kopfbede­ckung nicht deren Vorstellungen ent­sprach. Daraufhin erhoben sich die Frauen im Iran, um gegen ein Regime zu protestieren, das ihnen die Freiheit abspricht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, was sich schon in banalen Dingen wie Kleidung äußert. Seitdem reißen die Proteste nicht ab und die iranischen Männer haben sich an die Seite der Frauen gestellt. Auf der gan­zen Welt, auch in Deutschland, hallte der Ruf „Woman. Life. Freedom“ nach. Für die Modedesignerin Leyla Pieday­esh, die Filmproduzentin Minu Barati­ Fischer sowie die Schauspielerinnen Sarah Sandeh, Pegah Ferydoni, Jasmin Tabatabai und Melika Foroutan haben die Ereignisse dort zusätzlich eine persönliche Qualität: Sie und ihre Familien gehören zur iranischen Dias­pora. Die meisten von ihnen wurden im Iran geboren und kamen als Kinder im Zuge der Revolution von 1979 nach Deutschland. Was ihre Familien nicht zurückließen, war die Hoffnung und auch die Verzweiflung über die Zu­stände in ihrer Heimat. Regelmäßig gab es dort Proteste, die bald wieder ver­ebbten. Nun, so scheint es, haben die Demonstrationen eine neue Qualität erreicht. Der Funke ist übergesprun­gen, und auch diese deutsch­iranischen Frauen versuchen mit ihren Mitteln, das Feuer nicht verglühen zu lassen. Ihre Geschichten und Einschätzungen teilten sie im Gespräch, das sich hier in Auszügen findet.

 

SARAH SANDEH

„Ich bin in Deutschland geboren, nicht religiös aufgewachsen, und meine Familie stammt aus dem Iran. 2009 war ich in Teheran, und über eine Freundin erfuhr ich damals, dass es beim Freitagsgebet Proteste geben sollte. Ich bin dann auf das Gelände der Universität gegangen, wuss­ te aber nicht so recht, was da passieren würde. Als ich dort war, fingen die jungen Frauen wäh­ rend des Gebets an, zu protestieren. Sie riefen: „Freiheit, Freiheit für alle politischen Gefange­nen!“ Als wir das Gelände verließen, warteten draußen schon die Ordnungswächter auf uns, sprühten mit Tränengas und schlugen auf die Menschen ein. Und einen Moment werde ich nicht vergessen: Ich sah, wie zwei junge Frauen niedergeknüppelt wurden. Eine von ihnen richtete ihren Blick auf und sagte zu dem Mann: „Aber du bist doch einer von uns. Warum machst du das?“ Dann gab es bei ihm ein Zö­gern. Und in diesem Zögern liegt für mich etwas verborgen, darin liegt die Chance.“

 

LEYLA PIEDAYESH

„Einige Frauen, die bei diesem Shooting dabei sind, kenne ich über meine Arbeit als Modede­signerin, auch als Freundinnen. Einige jedoch habe ich erst über die aktuellen Ereignisse im Iran kennengelernt. Von manchen wusste ich zuvor nicht, dass sie ebenfalls aus iranischen Familien stammen. Jede von ihnen macht im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Ereignisse dort publik. Und das verbindet uns. Man verliebt sie ja dann sofort in diese Seelen, die ähnliche Emotionen zu dem Thema haben. Es hat eine andere Tiefe.“

„Du hast mich nach Hoffnung gefragt, aber ich denke nicht mehr darüber nach. Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich schon mal viele Hoffnungen und bis heute haben sie sich nicht erfüllt, viele Fragen bleiben offen. Da will ich nicht wieder hinkommen. Ich will den Optimismus nicht mehr verlieren.“

Melika Foroutan

„Ich habe eine sehr berührende Sprachnach­richt von einer Frau bekommen, die zusammen mit ihrer Tochter an den Protesten teilgenom­men hat: Sie sprach mit solch einem Enthusias­mus und einer Euphorie, und das, obwohl ihre Tochter von einem Gummigeschoss getroffen worden war. Sie sagte: „Hätte ich heute eine richtige Kugel abbekommen und wäre ge­storben – es hätte sich gelohnt!“ Ich habe mir diese Nachricht sehr oft angehört.“

 

„Ich habe ein Video gesehen, wo eine Frau im Tschador Polizisten anschreit: ‚Schämt ihr euch nicht? Wer seid ihr, dass ihr hier die Leute umbringt?‘ Es gibt auch religiöse Menschen, die unbedingt das Regime stürzen wollen.“

Minu Barati-Fischer

 „Ich sehe, dass Leute dort, die sich nie politisch betätigt haben und mehr als ängstlich und zurückhaltend waren, es jetzt tun. Diese Revo­lution wird von allen getragen.“

 

„Die gesamte Diaspora weltweit ist ebenfalls mit aufgewacht. Wir werden nie wieder still sein, und es betrifft nicht nur den Iran. Es ist eine Zeit, in der Frauen füreinander einstehen.“

 

Pegah Ferydoni

 „Die Proteste können eine Vorbildfunktion für uns alle haben. Sie haben auch das Artensterben und den Umweltschutz im Blick. Es haben sich sogar chinesische Oppositionelle mit den Irane­rinnen solidarisiert. Und auch die Ukraine­rinnen. Wenn die Islamische Republik kippt, ist Putin nicht mehr zu halten. Erdogan auch nicht, und dann kommt auch Assad endlich weg. Der Freiheitswille von Menschen ist ansteckend.“ 

 

„80 Prozent der Bevölkerung ist unter 30, viele sind super gebildet und informiert. Sie schauen in die Welt und wissen ganz genau, was bei uns passiert. Die jungen Männer im Iran sind woke. Und es ist für sie selbstverständlich, dass sie für ihre Schwestern, Töchter und Mütter mit auf die Straße gehen.“

 

Jasmin Tabatabai

 „Vergangenes Jahr haben wir einen ,Tatort‘ gedreht, und die Staatsanwältin, die ich da spiele, haben wir ,Taghavi‘, nach Nahid Tag­ havi, benannt. Sie ist eine deutsch­iranische Architektin und Menschenrechtlerin, die im Iran auf offener Straße verhaftet wurde und seitdem aus fadenscheinigen Gründen inhaf­ tiert ist und gefoltert wurde. Ihre Tochter kämpft um ihre Freilassung. Als ich ihr erzählt habe, dass meine Rolle im ,Tatort‘ nach ihr benannt wurde, hat sie es der Mutter erzählt, und sie hat sich so gefreut und alle im Gefäng­ nis haben sich mit gefreut. Ich habe mich fast geschämt. Aber: Jede Geste zählt.“ 

 

„Die Proteste im Iran brechen mit all den Kli­schees, die wir von diesem Land haben. Hätte vor einem Jahr jemand gesagt, dass die nächste große feministische Bewegung aus dem Iran kommt und die Männer sich damit solidarisie­ren, hätte das niemand für möglich gehalten.“

 

FOTO
NEDA RAJABI
STYLING
SILJA LANGE
HAARE
CLAUDIA FISCHER
MAKE-UP
CAROLINE TORBAHN
INTERVIEWERIN
HEIKE BLÜMNER