Was kommt?

STATE OF FASHION

Wie kann Mode in Zukunft weiterhin Spaß machen, ohne den Ernst der Lage aus den Augen zu verlieren? Die Mode sucht nach neuen Strategien in einer volatilen Welt. Wie sie aussehen, untersucht ein Bericht. Wir haben ihn gelesen.

In der Modewelt gibt es derzeit nur eine Gewissheit: Die Dinge können nicht so bleiben, wie sie lange Zeit waren. Alles Weitere erscheint von außen betrachtet wie der Blick in eine Schneekugel, die gerade geschüttelt wurde.

Einmal im Jahr kommt der Räumdienst. Die Abteilung Global Apparel, Fashion & Luxury (Globale Bekleidung, Mode und Luxus) der Unternehmensberater von McKinsey kollaboriert mit dem Online-Fachmedium Business of Fashion und erstellt den jährlichen Report „The State of Fashion“, um über Trends in der Branche zu berichten, die nichts mit Rocklängen oder Farbkombinationen zu tun haben.

Was eigentlich als Insider-Bericht gedacht ist, ist auch für Modekonsumenten und Konsumentinnen interessant. Denn letztlich sind wir es, die durch unsere Kaufentscheidungen darüber mitbestimmen, ob wir, wenn das Schneetreiben sich gelegt hat, auf eine zumindest passable Landschaft oder ein dystopisches Inferno blicken werden. Wie kann Mode in Zukunft weiterhin Spaß machen, ohne den Ernst der Lage aus den Augen zu verlieren?

Die gute Nachricht lautet:

Nachhaltigkeit ist nicht mehr nur ein Schlagwort, sondern Notwendigkeit und Konzept, an dem weiter gefeilt wird und mit dem sich inzwischen nicht nur Lorbeeren verdienen lassen,
sondern auch Geld.

40 Millionen Tonnen Müll sondert die Bekleidungsindustrie jedes Jahr ab, vieles davon landet auf wilden Deponien, zum Beispiel in Westafrika oder Chile. Und während in den vergangenen Jahren viel von „zirkulärem Luxus“, eine fancy Beschreibung für den Secondhandmarkt 2.0 die Rede war, betont „The State of Fashion“ in diesem Jahr die zirkuläre Textilverarbeitung, sprich also, die Wiederverwendung von Materialien in sogenannten Closed-Loop-Prozessen.

Von den Führungskräften der wichtigsten Modeunternehmen, die für den Report befragt wurden, sagen immerhin 57 Prozent, dass „die Nachfrage des Konsumenten nach recycelten Produkten“ eine „hohe oder sehr hohe Wichtigkeit“ für ein entsprechendes Angebot sei. Das heißt: Individuelle Kaufentscheidungen wirken. Noch wichtiger sei, dass es inzwischen „technologisch reife Lösungen“ unter anderem für Wiederverwertungskonzepte gibt.

So bricht das Zeitalter an, in dem nachhaltige Strategien in der Mode nicht mehr nur wertkonservativ in Bezug auf Naturschutz, den Umgang mit Ressourcen und die Kultivierung traditioneller Handwerkstechniken sind. Technologie spielt eine genauso entscheidende Rolle, wenn etwa künstliche Intelligenz dafür eingesetzt wird, Überproduktion zu vermeiden.

Auch Produktpässe, die neuartige Version des eingenähten Etiketts, werden immer populärer.

Über QR-Codes lassen sich alle relevanten Informationen zu einem Kleidungsstück nachvollziehen.

Das betrifft sowohl die Herkunft der verwendeten Materialien und den Produktionsort als auch Angaben beziehungsweise Garantien zu teuren Markenprodukten, die sowohl für den Kunden als auch für Luxusunternehmen interessant sind, weil sie sich so gegen Fälschungen potenziell absichern können.

Virtuelle Mode hingegen verbraucht nur Strom. Wobei einige Marken wie Louis Vuitton oder Balenciaga auch auf stoffliche Kapselkollektionen setzen, die zuvor bereits einen Auftritt in Videospielen gehabt haben. Es handelt sich nicht nur um Spielerei. Robert Triefus, Vizepräsident und Marketingchef von Gucci, erwartet einen „sehr signifikanten, neuen Einkommensfluss“ für die Modewelt.

Das „Metaverse Mindset“ richtet sich auf nicht weniger als ein grenzenlos anmutendes Paralleluniversum. 81 Prozent der Generation Z verbringt dort bereits im Durchschnitt eine Stunde am Tag, und wie man sich dort präsentiert, wird immer wichtiger. Designer-Skins, also virtuelle Outfits für die Avatare, sind inzwischen im Angebot, und natürlich spielt Branding eine Rolle. Nike erwarb Ende des Jahres die Designfirma RTFKT, die digitale Sneakers unter anderem als Sammlerobjekte entwirft. Gucci, Rimowa und Dolce & Gabbana wagten sich unlängst erstmalig an NFTs, also virtuelle Kunstwerke. Auch maßgeschneiderte, digitale Couture für einen Post auf Instagram kann man inzwischen kaufen. Das allein reicht als Konzept derzeit vielleicht noch nicht zum Börsengang, aber Leute, die bereit sind, Geld dafür auszugeben, gibt es schon.

Nach der Prognose von McKinsey wird das Geldausgeben für Bekleidung im Jahr 2022 auch in der realen Welt, die in letzter Zeit in puncto Bedrohungen, Hindernissen und Bösewichten viele Videospiele in den Schatten gestellt hat, wieder ein größeres Thema werden. „Länder mit starken Gesundheitssystemen und ökonomischer Resilienz“ werden dabei die Nase vorn haben. Je höher die Impfquote desto besser angezogen? Das ließe sich dann für 2023 untersuchen.

Text
Heike Blümner