Marmor, Henkel und Design

Palazzo to go

Eine Handtasche mit Marmor-Henkel? Was für eine bestechende Idee das ist, zeigt eine Kollektion von Superdesignerin Patricia Urquiola für Valextra.

Nein, die nicht. Die ist ihr zu bunt für ihren persönlichen Stil. „Die weiße bitte!“, ruft Patricia Urquiola einer Mitarbeiterin zu. Das helle Model „Iside“ passt perfekt zu dem Pepita Mantel, den die Designerin an diesem Vormittag während der Mailänder Modewoche trägt und da sie bereit ist für kleines Video, soll schon alles stimmen. Signora Urquiola ist freundlich aber deutlich. Keine Kompromisse. Man ahnt sofort, wie das Projekt, über das wir hier im Mailänder Flagship-Store von Valextra gerade staunen, gelingen konnte. Denn zwei weitere Frauen von ihrem Energie-Kaliber stehen bereit, um aufzuklären. Alessandra Buri, Mutter, Artdirektorin und Vordenkerin bei dem gleichnamigen Mailänder Marmor-Spezialisten, die dermaßen mitreißend über ihr besonderes Material sprechen kann, dass man sich fragt, wieso man bisher nicht so recht gewürdigt hatte, welche subtile Kraft und Naturgeschichte darin liegt. Und Sara Ferrero, CEO bei Valextra, eine hochgewachsene Frau mit leiser Stimme, der man unbedingt zuhören will. Sie führt in einen Besprechungsraum mit einem sehr langen Tisch, auf dem viele Bücher liegen, Ausweis der vielen Gespräche und Diskussionen, die Sara Ferrero und Patricia Urquiola im Lockdown geführt haben. Seit die beiden sich vor einigen Jahren in New York kennengelernt hatten, sind sie in einem „freundschaftlichen, intellektuellen Dauerdialog“ geblieben. Den Lockdown hatte die Designerin auf Ibiza verbracht, Ferrero in Mailand. Anfang Juli war es dann so weit: „Ich kann nicht einfach ein neues Taschenmodel im September vorstellen!“ Mit der Vehemenz, mit der Signora Ferrero das jetzt noch wiederholt, ahnt man ihre Zerrissenheit, umzugehen mit der Situation und zugleich Chefin eines Luxustaschen-Labels mit internationaler Klientel zu sein, Umsatz verpflichtet.

Patricia Urquiola

Aber gerade, weil ihr Haus bereits 1937 gegründet wurde, „Kriege und Crashs, das Auf und Ab unseres Landes überlebt“ hat, hatte sie das Gefühl, in diesem Herbst mehr über ihre Werte als über Produkte sprechen zu wollen. Nun ist es nicht so, dass Valextra üblicherweise billigen Kram anbietet, im Gegenteil, Raffinesse und Qualität gehören zur Grundausstattung jedes Models. Erst im Februar wurde das „Extramilano“-Projekt präsentiert, mit Entwürfen von Arthur Arbesser, Carolina Castiglionis Plan C, JJ Martins La DoubleJ, Simone Rizzo und Loris Messina vom Label Sunnei und Massimo Alba.

Im Juli also rief Sara Ferrero bei Patricia Urquiola an und sagte: „Hör mal!“ Die neue Kollektion müsse folgendes vereinen: Valextra. Also Architektur und Design. Patricia repräsentiert das perfekt. Mailand. Also Luxus und Kultur. „Wir Mailänder nehmen Michelangelo und all die anderen als selbstverständlich wahr, andere nicht.“ Ingenieurskunst. Also Handwerkskunst und Technologie. So kam der Marmor ins Spiel. Nicht irgendein Marmor, sondern die Spezialisten von Buri. Zumal mit Alessandra Buri eine weitere wichtige Komponente erfüllt war: eine klasse Frau. Meinungsstark wie die beiden anderen.

Alessandra Buri

Die drei sprachen viel über Zerbrechlichkeit. Auf dem Tisch liegen unter anderem „Antifragile“ von Nassim Nicholas Taleb, der Katalog zur Ausstellung „Gender as a tool and a weapon“, die vor eineinhalb Jahren in New York gezeigt wurde, und auch „A year without winter“ von Dehlia Hannah. Das Resümee dieser Frauen konnte wahrscheinlich nur lauten: Wir packen es an! Binnen zwei Monaten („Ich glaub, wir haben gar nicht mehr geschlafen“, sagt Alessandra Buri amüsiert) wurde aus der Diskussion eine Taschenserie made to order. Jeder Griff ist ein Unikat und besonders. Kein Stück des hauchdünnen Marmors gleicht dem anderen, vereint zudem Bruchstücke aus sechs verschiedenen Ländern. Basis ist die ikonische „Iside“, der Griff „ein Juwel“, wie Patricia Urquiola sagt. „Ich wollte das so kostbare Material auf eine Art einsetzen, die zeigt, wie fragil und dabei gar nicht zerbrechlich es ist und ihm die Wertschätzung geben, die unsere Natur verdient. Man könnte die Tasche ruhig gleich ins Museum stellen.“ Oder einfach tragen, ergänzt sie und schwingt sie vor dem bodentiefen Spiegel. „MarVles by Patricia Urquiola“. Der Name birgt Marmor und Valextra, aber spricht sich wie marvellous, also großartig. Übertrieben ist das nicht.

Text
Inga Griese
Handy-Cam :)
Inga Griese