Uhrenserie Métiers d’Art

Kunstwerke am Handgelenk

Was ist eigentlich eine Zivilisation? Die Frage stellen sich Menschen nun auch schon seit mehr als 2500 Jahren – und der Kern der Antwort ist immer wieder, dass der homo sapiens vermittels seiner Fähigkeit zu denken in den Lauf der Natur eingreift. Nicht alle Ergebnisse dieses Prozesses sind wünschenswert. Aber genauso gilt, dass es Zeugnisse menschlichen Schaffens gibt, die selbst nach Jahrtausenden nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben, so groß ist der Aufwand, die Kreativität, die Disziplin und die Leidenschaft, die sie verkörpern.

Die Uhrmacherei sieht sich gern als Branche, die für das Beste steht, was Menschen leisten können. Und ganz falsch liegt sie damit nicht, denn es gehört sowohl viel Wissen als auch viel Training dazu, die Zeit mechanisch zu messen. Die größten Schweizer Manufakturen suchen deshalb gern die Nähe zur Kunst. Je nachdem, ob sie ihre Fähigkeit zur Disruption zur Schau stellen wollen oder lieber die Tradition betonen, wechseln sich Stile und Epochen ab. Vacheron Constantin ist ein Unternehmen, das Wert darauf legt, bereits im Jahr 1755 gegründet und fortlaufend in Betrieb geblieben zu sein.

Postmoderne Performance-Akte stehen bei den Genfern folglich nicht zu erwarten, dafür aber haben sie Kooperationspartner wie die Londoner Abbey Road Studios, in denen einst die Beatles ihre Songs aufnahmen. Noch mehr bei sich selbst aber ist die Manufaktur, wenn es an die Zusammenarbeit mit dem Pariser Louvre geht: Seit 1795 ein Fixpunkt in der französischen Hauptstadt, ist der Prachtbau mit der Glaspyramide davor heute das am meisten besuchte Museum der Welt – und selbst wer von Kunst noch nichts gehört hat, wird wissen, dass hier mit Leonardo da Vincis Mona Lisa das berühmteste Lächeln der Welt an der Wand hängt.

Der Löwe des Darius

Ohne der Institution zu nahe treten zu wollen, ist dieses Gemälde aus dem Jahr 1503 Segen und Fluch zugleich, lenkt es doch von den anderen Schätzen ab, die es im Herzen von Paris zu entdecken gibt. Vor allem in den Abteilungen für die Alten Ägypter, Griechen und Römer sind Dinge zu sehen, die einem diese Zeit lebendig machen wie wohl sonst kaum an einem anderen Ort auf der Welt. Das wiederum nahm Vacheron Constantin zum Ausgangspunkt, in endlosen Stunden Handarbeit vier Unikate zu fertigen, die sich mit den Preziosen des Louvres beschäftigen.

Zur Präsentation der Uhren, deren Preis nicht einmal die Mitarbeiter kennen, haben die Schweizer nach Paris eingeladen. Dienstags hat das Museum geschlossen, aber für den Kooperationspartner hat es eine Ausnahme gemacht – und so haben 100 Personen an diesem Vormittag Zutritt. Vor dem Gebäude hängt ein riesiges Plakat mit den Kunsthandwerk-Zeitmessern, damit keine Zweifel entstehen, wie ernst das hier gemeint ist. Schon beim Eintreten erfasst die Besucher eine feierliche Stimmung: Die hohen Ausstellungshallen ohne Menschen zu erleben, das macht selbst jene italienischen Kollegen sprachlos, die sich flink über die Bitte hinweggesetzt haben, nicht in Sneakers aufzutauchen.

Die erste Uhr, die es zu besichtigen gibt, hat ihr antikes Vorbild im Persien des 5. Jahrhunderts vor Christus. Der Löwe des Darius entpuppt sich als ein Mosaik aus Stein, für das gewaltig ein zu kleines Wort ist, aber das war auch der Zweck, der ihm innewohnte. Vacheron Constantins Direktor Christian Salmoni steht in einem doppelreihigen roten Sportjackett vor ihm und versorgt seine Gäste persönlich mit Informationen. Wenn er die Gravuren, Steinsetzereien und Saphirarbeiten erläutert, die in das Stück eingeflossen sind, merkt man, wie sehr er seine Handwerker schätzt. Die Dreidimensionalität des Löwen im Miniaturformat umzusetzen, muss eine Aufgabe gewesen sein, die filigranste Finger erforderte. Ort und Uhr vermischen sich zu einem Ganzen, das einen fast ein wenig überfordert.

Die Große Sphinx von Tanis

Aber schon steht der zweite Zeitmesser an, die Große Sphinx von Tanis. 2500 Jahre ist sie nun alt, ihre Strahlkraft ist ungebrochen, ein gar nicht einmal so gelungener Nachbau steht heute beispielsweise vor einem Hotel in Las Vegas. Das Modell in Paris strahlt Gravitas aus, die den Betrachtern bis ins Mark geht. Sie als Vorlage für eine mechanische Uhr zu haben, das ist etwas, das man sich verdienen muss, lautet die Botschaft, sie kommt an. Wieder erstaunt die Umsetzung auf dem Zifferblatt, diesmal vor allem die Emaille-Arbeiten, wieder möchte man am liebsten ewig stehenbleiben, wieder zieht die Karawane weiter – und zwar zur Nike von Samothrake.

Diese Statue des Sieges die auf dem Bug eines Kriegsschiffes steht, wurde 1863 auf der Insel Samothraki in der nördlichen Ägäis entdeckt, gebaut wurde sie im Jahr 277 vor Christus. Als hellenistische Göttin breitet sie ihre Flügel aus, neuen Erfolgen entgegen. Ein englischer Kollege stellt fest, sie erinnere an Kate Winslet in „Titanic“, ein deutscher Spaßvogel sagt: „Die hat ja gar keinen Kopf mehr“, beides ist wohl nur durch den überwältigenden Anblick zu entschuldigen. Das Uhrenmodell besticht vor allem durch die feine Metallarbeit, mit der die Statue nachgebildet wurde, und die griechischen Lettern dahinter.

 

 

Nike von Samothrake

Bliebe noch die Büste des Augustus, jenem Neffen Cäsars, der als Begründer des römischen Kaisertums gilt. Bevor er in Amt und Würden kam, muss er unter seinem Geburtsnamen Octavian einen eher durchwachsenen Charakter gehabt haben, aber als Alleinherrscher entwickelte er bis zu seinem Tod im Jahr 14 nach Christus eine Milde und Weisheit, die bis heute beispiellos geblieben ist. Eine Marmorbüste in eine Uhr zu übersetzen, das stellt die Schöpfer vor Probleme, die man sich nur schwer vorstellen kann. Trotzdem ist die Umsetzung gelungen, wer auch immer das Stück am Ende erhalten wird, sollte dankbar sein.

Die Büste von Augustus

Und als ob das alles nicht reichen würde, geht es natürlich zum Schluss doch noch zur Mona Lisa. Der Schritt verlangsamt sich ganz unwillkürlich, bis er wieder schneller wird, denn die Sogwirkung der Dame hinter kugelsicherem Panzerglas stellt sich von ganz allein ein. Dann ist da dieses Lächeln, das den ganzen riesigen Raum einnimmt – und ganz egal, wie lange man Mona Lisa anblickt, man wird nie dahinter steigen. Das darf man allergrößte Kunst nennen – und wenn die sich mit Kunsthandwerk vereint, sind wir wohl tatsächlich mit beim Besten angelangt, das die Zivilisation derzeit zu bieten hat.

Text
Philip Cassier
Fotos
Vacheron Constantin; Philip Cassier & Alexander Pfeffer