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Um neue Werkstoffe ging es in der Uhrenindustrie lange vor allem bei der Konstruktion leistungsfähigerer Werke. Jetzt sollen die Gehäuse mithilfe von Hightech-Stoffen leichter werden, stabiler – oder einfach schöner.

Die „Monovortex“ von Roger Dubuis wiegt fast nichts. Mit 47 Millimetern Durchmesser ist sie ein Stück Uhren-Avantgarde, voll revolutionärer Mikromechanik, doch das Gehäuse baut die Manufaktur aus ihrem neuartigen Faser-Verbundstoff „MCF“. Die ersten federleichten Luxusuhren, die vor etwa 15 Jahren vorgestellt wurden, waren verblüffend, weckten aber wenig Begehrlichkeit. Sie wurden erst interessant, als ihre weiteren Qualitäten zum Vorschein kamen: enorme Stabilität und Tragekomfort. Vor allem aber brauchte es für ihren Erfolg eine Uhrenindustrie, die mit Stolz Hightech in ihre Produkte integrierte.

Inzwischen haben darin Traditionshäuser genauso Übung wie junge Marken. Oris zeigte auf der „Watches and Wonders“ eine neue Version der „Propilot Altimeter“, einer Uhr mit mechanischem Höhenmesser. Ihr Carbongehäuse entsteht im 3-D-Druck. Entwickelt wurde das Verfahren gemeinsam mit 9t Labs, einem Spin-off der ETH Zürich. Richard Siegrist, bei Oris zuständig für Materialentwicklung, erklärt die Vorteile des Werkstoffs. „Das neue Material funktioniert im Prinzip wie armierter Beton. Die Orientierung der Fasern ist dem Lastfall des Gehäuses angepasst. Sie werden kreisförmig entlang dem Gehäuse und zur Verstärkung entlang den Bandanstößen angeordnet.“ Solche Gehäuserohlinge benötigen weniger Nachbearbeitung als das sonst übliche Sandwich-Verfahren. „Und unser Material lässt sich am Ende aufschmelzen und wiederverwenden“, ergänzt Siegrist. Bei einer Toolwatch für den Outdoorbereich liege das Thema Nachhaltigkeit doch nahe.

Im Ofen sinternde Carbon-Strukturen: Der Gehäusebau wird im Manufakturen und Labors ganz neu erfunden.

Stabilität, Kratzfestigkeit, Leichtigkeit, Allergiefreiheit – bei der Frage, von welchen vernünftigen Argumenten sich die Kunden überzeugen lassen, sind sich Hersteller mit Hightech-Gehäusen im Programm einig: Die Kaufentscheidung sei immer auch abhängig von emotionalen Impulsen. Das Material muss faszinieren. IWC arbeitet seit Jahren mit Keramik und dem selbst entwickelten, widerstandsfähigen Ceratanium. In der Uhrenindustrie entstünden Produkte mit lauter rationalen Faktoren, die aber purer Freude dienten, sagt IWC-Chef Christoph Grainger-Herr. „Die Menschen reagieren emotional auf das Produkt, suchen aber zugleich nach rationalen Ebenen. Nicht nur, um eine Anschaffung als nützlich zu rechtfertigen. Sondern weil sie Substanz finden wollen hinter dem, was sie so berührt.“ Und wenn die Uhr einmal herunterfalle, auf eine Steinplatte, „dann bewährt sich das Material – rein rational“.

Ceratanium

Dass die Branche insgesamt irrational sei, meint Ricardo Guadalupe, CEO von Hublot. „Wir müssen anders sein als die anderen. Und das machen wir seit jeher über das Material. Wenn wir etwas Ungewöhnliches präsentieren können, die Ersten sind mit einer echten Neuheit, dann haben wir eine gute Chance auf Erfolg.“ Hublot hat im Premiumbereich die Keramikgehäuse eingeführt, die heute 50 Prozent der Produktion ausmachen, und ist stolz auf die Entwicklung einer roten Variante, deren Herstellung man hat patentieren lassen. Mit der Universität Lausanne arbeitet man an neuen Metalllegierungen. Zur Zeit sei für Hublot Saphir das spannendste Thema, weil es auch das Design inspiriere. „Und die Produktion ist so heikel, dass ich glaube, dass uns da der Vorsprung vor anderen Marken noch etwas erhalten bleibt“, sagt Guadalupe. Es habe eine Weile gedauert, den Kunden zu vermitteln, dass Hightech-Gehäuse teurer sein könnten als Edelmetall-Ausführungen. „Dann mussten wir auch noch erklären, dass der Saphir fragiler ist als Stahl‘, erinnert sich der CEO.

„Aber heute verstehen die Käufer, dass Technologie wertvoller sein kann als Gold.“

Im Plasma_Ofen erhält Keramik bei Rado ein metallisches Finish
Ein gezüchteter Saphir
Neue Goldlegierung
Keramikulver

Den signifikanten Preisunterschied zwischen Edelstahl- und hochwertigen Keramikgehäusen – mindestens 30 Prozent – erklärt Adrian Bosshard, Präsident von Rado. Sein Unternehmen ist seit Jahrzehnten erfahren im Einsatz von Hightech-Werkstoffen und einer der größten Kunden von Comadur, der Swatch-Group-Materialforschung: „Stahl können sie mit CNC-Maschinen in die gewünschte Form bringen. Die Keramik verlangt zunächst die präzise Herstellung des Rohmaterials. Nötig sind spezielle Spritzgussmaschinen und Öfen. Das bedeutet sehr viel mehr einzelne Prozesse.“

Rado: Process step

Die Kunden seien definitiv bereit, den Mehrpreis für das höherwertige Produkt zu investieren, hat Bosshard festgestellt. Sie würden zu gleichen Teilen von der Formgebung der Uhren wie von deren Materialität angezogen, vom Tragekomfort, „und davon, dass die Uhr über Jahre wie neu bleibt“. Den nächsten Entwicklungsschritt zu noch mehr Kratzfestigkeit deutet Bosshard nur an:

 „Spuren auf der Hightech-Keramik hinterlässt nur ein Diamant, weil er noch härter ist. Und es könnte darum sein, dass wir mit Diamant etwas vorhaben, zumindest Talking Pieces machen.“

Bei Hermès hält man sich nicht lange damit auf, die Qualitäten der neuen „Ho8″-Gehäuse hervorzuheben. In das Aluminium-Glasfaser-Gemisch habe man noch etwas Schieferpulver gegeben: aus optischen Gründen. Das klingt alles so, als sei Stahl ein fast schon nostalgischer Werkstoff, gut für Vintage-Kollektionen, aber ohne Zukunft. Das sieht Richard Siegrist von Oris jedoch ganz anders: „Edelstahl ist ein super Werkstoff, der hat Potenzial, bei der Verbesserung der Kratzfestigkeit zum Beispiel.“ Und, wie Chopard mit seinem „Lucent Steel“ vormacht, in Sachen Nachhaltigkeit. Eben auch etwas, das Kunden zunehmend schätzen.

Text
Jan Lehmhaus