Starschnitt

Song aus Seoul

Der koreanische Vorname Kang bedeutet Strom, Fluss, etwas Fließendes. Dass der erhabene Name 27 Jahre später auch für einen der Hit-Garanten bei einem Streamingdienst stehen würde, hatten die Eltern wahrscheinlich nicht im Sinn. In jedem Fall hat Song Kang etwas Mitreißendes, nicht nur bei Netflix.

Ein eiskalter, sonniger Vormittag, wie so oft in Seoul im Februar. Im Studio zieht derweil schon mal die Nacht auf, mit einer riesigen Plane mit einem Foto vom hippen Stadtteil Sinchon. Die Idee, den Schauspieler Song Kang dort direkt zu fotografieren, haben wir verworfen. Weil es nachts wirklich sehr kalt ist und vor allem weil er ein solcher „Hottie“ ist, dass es unter seinen Fans einen ziemlich lauten „Love Alarm“ auslösen dürfte, wie die Netflix-Serie heißt, mit der der bald 28- Jährige 2019 in die Hallyu-Star-Umlaufbahn katapultiert wurde und seither dort als Fixstern seine Filmrunden (u. a. „Sweet Home“, „Neverthe- less“, „Navillera“, aktuell: „Forecasting Love and Weather“) dreht. Doch der frühe Ruhm ist das eine, im wahren Leben, soweit man ein Modeshooting so nennen kann, ist der Prada-Botschafter bodenständig, höflich, lustig, neugierig und auf den Punkt beim Fotografieren. Fasst gleich mit an, als es gilt, die Plane auf dem Boden zu wässern für den Pfützen-Effekt. Sicher, er hat eine Umkleide für sich, Vertraute und Manager um sich herum, Diskretion und Scham sind in Korea nicht Allüren. Aber zur Begrüßung springt er sofort vom Schminkstuhl auf und verbeugt sich. Er ist groß, überraschend muskulös und ein wenig schüchtern, was sich später geben wird.

Inga Griese: Wie wählen Sie Ihre Rollen aus? Sie haben einen eher untypischen Ansatz, wie es scheint.

Song Kang: Erst schaue ich mir die Handlung an, dann die Figur, um zu sehen, ob ich wirklich zu ihr passe. Und ob es mir Spaß machen wird. Erfolg steht nicht im Vordergrund, für mich ist es bei der Arbeit wichtig, dass ich glücklich bin. Denn ich möchte ihrer nicht überdrüssig werden. Navillera etwa war wirklich eine schwierige Rolle, aber ich habe Freude daran gefunden.

In „Navillera“ spielen Sie, ohne Double, einen Balletttänzer, der mit sich hadert, aber dann Erfüllung darin findet, einem alten Mann dessen Lebenstraum zu ermöglichen und ihm das Tanzen beibringt. Am Ende stehen beide für einen rührenden Auftritt auf der Bühne, und Sie werden zum großen Star. Was hat Sie dabei glücklich gemacht?

Es war eine schwierige Herausforderung, Ballett zu lernen, aber ich fand, es war eine gute Gelegenheit. Als ich mich in Chaerok hineinversetzt habe, konnte ich seine Gefühle wirklich nachempfinden. Ich würde so eine Rolle gern noch einmal versuchen.

 

Frottee-Hoodie und Hose: Prada

Tanzen Sie noch?

Nein. Es ist zu fordernd, ich mache jetzt Pilates.

Mit Ihrer Größe war das wahrscheinlich schwierig.

Ja, aber weil ich lange Arme und Beine habe, habe ich vielleicht eleganter ausgesehen, als ich eigentlich bin. (lacht)

In der neuen Netflix-Serie „Forecasting Love and Weather“ müssen Sie nicht sportlich sein, Sie sind ein manischer Meteorologe.

Er ist ein naiver und lustiger Charakter, aber wenn es um’s Wetter geht, wird er sehr ernst.

 

Wetter ist ein gutes Allerweltsthema, wenn man zum Beispiel bei einem Abendessen sonst nicht weiß, worüber man reden soll.

Ich bin nicht so der Unterhalter. Wenn ich mich nicht wohlfühle, verharre ich einfach in dieser unangenehmen Situation. (Er schiebt die Arme zusammen und senkt den Kopf und lächelt). Ich versuche nicht, Wasser zu reichen oder zum Beispiel zu fragen, ob es gut schmeckt, um die Stimmung aufzuhellen.

Die Serie „Love Alarm“ war ein großer Erfolg, es geht um Technikhörigkeit und die Konflikte, die eine App auslöst, die Personen benachrichtigt, wenn jemand in der Nähe romantische Gefühle hat. Für Ihre Hauptrolle gab es 1200 Mitbewerber, wie war das Casting?

Am Ende der Schlange, dachte ich nur: ‚Okay, ich spreche vor und gehe nach Hause.‘. Als ich auf Platz 10 war, wurde ich extrem nervös, hatte einen ganzen Schwarm Schmetterlinge im Bauch. Aber ich versuchte, mich zu beherrschen und auf die Rolle, ihren Charme zu konzentrieren. Als ich tatsächlich den Raum betrat, war die Nervosität weg.

 Ich habe gelesen, dass der Produzent sagte, Sie wurden wegen Ihres unschuldigen und sentimentalen Eindrucks ausgewählt. Mögen Sie es, so gesehen zu werden?

Er hat nicht unrecht. Ich verspüre keinen Druck, andere Aspekte von mir zu zeigen.

Jacke wie Hose: Prada

Womöglich werden sie deswegen so geliebt, bisweilen sehr lautstark. Wie gehen Sie mit der Popularität um?

Manche Leute sind vielleicht gestresst von ihrer Popularität, aber ich bin ohnehin ein totaler Stubenhocker; ich liebe es, zu Hause zu bleiben, freue mich über kleine Dinge, lese, schaue manchmal YouTube. Aber wenn ich mal ausgehe oder essen gehe, merke ich, dass ich beobachtet werde. Schon deswegen versuche ich nicht durch Kleidung aufzufallen. Wobei ich immer dankbar bin für meine Beliebtheit.

Sie sind Markenbotschafter für Prada. Wann brezeln Sie sich auf?

Für Drehbuchlesungen oder Meetings.

Auch mal zu Hause, einfach so?

Gute Idee. Ich werde es heute mit den ganzen Prada-Looks versuchen.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Es kommt darauf an. Manchmal habe ich Lust auf figurbetonte Kleidung und manchmal mag ich Übergrößen. Mal mag ich es förmlich, mal leger. Wenn mir zum Beispiel in einer Serie ein Charakter gefällt, folge ich seinem Stil. Aber normalerweise gehe ich nur ins Fitnessstudio, also trage ich oft Sportkleidung.

 

Song Kangs Paillettenanzug, vor der Kulisse von Sinchon, ist von der bei Boygroups beliebten, koreanischen Marke Lemeteque, die als Slogan führt: „Unsere Kleidung ist für die, die nach Freiheit streben“

Das Interesse an Mode und Branding hat sich in den vergangenen 20 Jahren generell und auch kommerziell betrachtet grundsätzlich verändert. Auffällig ist, dass immer mehr koreanische Schauspieler nicht länger nur als regionale, sondern als globale Botschafter von den großen Luxusmarken verpflichtet werden. Ist das auch ein Zeichen dafür, wie ernst sie inzwischen genommen werden?

Ja, meine Senioren-Kollegen erzählen, dass es früher nicht so war. Die Streaming-Dienste haben diese globalen Hits möglich gemacht und ich bin wirklich dankbar, dass ich an dieser Renaissance der K-Inhalte mitarbeiten darf.

Sie haben mehr als 13 Millionen Follower allein auf Instagram. Schmeichelt Ihnen das?

Da ich die meiste freie Zeit zu Hause verbringe, spüre ich meine Popularität nicht direkt. Über die soziale Medien kann ich mit meinen Fans kommunizieren. Ich freue mich darüber, aber bilde mir nichts darauf ein.

Haben Sie noch Freunde aus Ihrer Kindheit? Wird es allmählich kompliziert, ein Privatleben zu führen?

Ich habe fünf, sechs wirklich enge Freunde von früher. Seit zwei oder drei Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen, aber wir telefonieren immer. Sie geben mir eine andere Art von Energie als die Freunde, die ich beim Arbeiten kennengelernt habe. Wenn ich etwas Trost brauche, gehe ich immer zu ihnen.

Was macht es mit einem, wenn die Popularität früh einsetzt?

Verändert hat sich nur mein Blickfeld. Dass ich mehr von älteren Schauspielern lernen muss, um weiterzukommen. Ich höre gern auf ihre Ratschläge, welche Art von Einstellung ich als guter Schauspieler haben sollte, welche Manieren, was richtig und was falsch ist.

Schauspieler haben so eine Art Werkzeugkasten, mit dem sie arbeiten, der füllt sich mit Erfahrung. Wenn wir in Ihren Kasten schauen würden, was findet sich da?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt einen Werkzeugkasten habe, aber ich versuche, nicht in der Vergangenheit zu verweilen, sondern in der Gegenwart zu sein. Ich versuche also, alles in meinem täglichen Leben wahrzunehmen. Wenn ich mit einer Person spreche, notiere ich mir oft die Art und Weise, wie sie spricht, oder den Akzent, den sie hat, und später kann ich das nutzen, wenn ich andere Figuren spiele. Das gilt übrigens auch anders herum. Was ich beim Schauspielen spüre, kann ich auch im wirklichen Leben nutzen.

Wie haben Sie zum Beispiel die Rolle als Meteorologe vorbereitet? Jeden Abend den Wetterbericht gesehen?

Ich sah viele Dokumentationen, um mir ein Grundwissen anzueignen. Ich habe aber auch eine Frage an Sie: Ich habe gehört, dass man in Europa, selbst wenn man darauf wartet, dass die Ampel grün wird, einen Fremden anspre- chen kann: „Das Wetter ist heute aber schön, nicht wahr?“ Ist das wirklich so? Was ist das für eine Sache in Europa mit dem Wetter?

Diese Netflix-Serie wird wahrscheinlich ziemlich erfolgreich sein. Wetter und Liebe gehen immer. Apropos, der Winter in Seoul ist herrlich, zwar eiskalt, aber sehr sonnig.

Ich glaube, ich würde Deutschland lieben, ich bin ein großer Fan von bewölktem Wetter.

In koreanischen Serien regnet es immer, bevor es richtig romantisch wird und das Paar sich unter dem Regenschirm endlich küsst.

Stimmt, das liegt wohl an der gemütlichen Atmosphäre, die ein Regentag oder ein verschneiter Tag schaffen.

In „Nevertheless“ sagt die Kunstlehrerin zur Hauptdarstellerin Nabi, sie könne ja nach Amerika gehen, aber Korea sei der beste Ort zum Leben für einen Koreaner. In dem Kontext war das nicht sehr nett, aber was denken Sie: Stimmt das?

Ich genieße es auf jeden Fall zu reisen. Aber die kulturellen Unterschiede und die Sprachbarriere sind sicher ein Grund dafür, dass sich Koreaner in Korea am wohlsten fühlen. Selbst für mich ist es immer wie eine Umarmung zurückzukommen, wenn meine Heimat, meine Freunde und das Essen, das mir vertraut ist, auf mich warten.

Können Sie kochen?

Kimchi-Eintopf und Ramyeon.

Ramyeon, das sind die Nudeln, die bei Verliebten zum Abschlepp-Ritual gehören, oder?

Haha! Ramyeon ist praktisch und alle lieben es. Was wäre das für ein Essen in Deutschland?

Womöglich ist das eher: „Kommst du noch auf einen Drink?“ Bei uns heißt es zwar auch, die Liebe geht durch den Magen, aber ehrlicherweise essen wir eher, um zu leben, im Gegensatz zu dem, was ich oft von Koreanern höre, dass sie leben, um zu essen.

Manchmal muss ich für meine Rolle eine strenge Diät einhalten, weil mein Gesicht auf der Leinwand sonst pummelig aussehen könnte. Aber ich bin wirklich froh, wenn ich etwas Leckeres essen kann.

 

 

 In „Nevertheless“ sehen Sie sehr gut aus und flirten gern, ohne sich festlegen zu wollen. Gilt das auch für Sie selbst?

Nein, ich bin eher das Gegenteil von Jae-eon, denn ich bin schüchtern. Ich stehe nicht auf neue Dinge, sondern bleibe lieber in meiner Komfortzone und treffe mich mit vertrauten Freunden, mit denen ich mich wohlfühle.

 Neben den vielen historischen Serien, und den „Dramas“ sind koreanische Horror- und Zombiefilme sehr erfolgreich. Es heißt, Sie würden zur Entspannung Horrorgeschichten lesen. Was ist daran reizvoll? Die fiktive Alternative zu dem echten Grauen?

Ich lese viel zur Entspannung, aber verschiedene Genres, darunter auch Horror und Krimis. Eine Horrorszene elektrisiert mich, ich grusel mich dann auch bei dem Gedanken, was wäre, wenn mir so etwas wie im Buch passieren könnte. Aber Krimis sind mir unheimlicher, weil sie etwas Realistisches haben. Und ja, es gibt wirklich gute koreanische Zombie-, Horror- und Mystery-Inhalte, aber es gibt auch andere Genres, in denen Korea wirklich gut ist. Haben Sie „Sweet Home“ gesehen?

Ja, die ersten beiden Episoden. Vor allem, in Vorbereitung auf unser Gespräch, weil Sie dafür sehr gelobt wurden. Ist ja harter Stoff.

Ha, ha!

Sie wollten eigentlich Architekt oder Möbeldesigner werden. Entwerfen Sie jetzt stattdessen Filmfiguren?

Es ist fifty-fifty. Fünfzig Prozent des Charakters kommen aus mir selbst, dem, wer ich bereits bin, die andere Hälfte von mir entwirft den Charakter. Ich glaube, ich kann nur eine Figur sein, die mit mir selbst verwandt ist.

Sind Sie ein schwieriger Typ?

Kommt drauf an, wie man es sieht. In einer Hinsicht bin ich den Deutschen vielleicht ähnlich: Ich hinterfrage gern. Wenn mich zum Beispiel jemand bittet, dies oder jenes zu tun, will ich erst wissen ‚Warum?‘

Möchten Sie für immer Schauspieler sein?

Ich versuche, im Moment mein Bestes zu geben, Glück zu finden und bescheiden zu sein. Früher habe ich immer den Erfolg für die Zukunft angestrebt, aber wenn ich dann etwas nicht schaffe, was ich mir vorgenommen hatte, bekam ich viel Stress. Deshalb ziehe ich es jetzt vor, mehr im Augenblick zu leben.

Apropos: Im Gegensatz zu deutschen oder amerikanischen Produktionen scheinen die Kuss-Szenen in den koreanischen Filmen sehr echt. Ist das so?

(Lacht) Klar!

 

Interview
Inga Griese
Fotos
Sinae Kim
Styling
Haerim Im
Haare
Da-Young Hwang
Make-Up
Eun-Kyung Lee
Videos
Jae-Woo Beak
Production
Markenfilm Asia