Neue Mode

Widerstand durch Freude

Angelika Kammann arbeitete lange Zeit als Designerin im In- und Ausland. Zurück in Deutschland gründete sie ihr eigenes Label, Société Angelique.

Ein neues, deutsches Label mitten in der Pandemie zu gründen, klingt –pessimistisch betrachtet – nach drei Gegenargumenten in einem Satz. Modische Neuzugänge werden hierzulande traditionell mit vergleichsweise wenig Zuwendung bedacht, zumal in Zeiten wie diesen. Andererseits: Wann, wenn nicht jetzt, wäre die Chance, die Dinge einmal grundsätzlich anders zu denken? Auftritt Angelika Kammann im Konferenzraum eines Hotels in Berlin-Mitte, wo sie die erste Kollektion ihres Labels Société Angelique präsentiert. Und nein, es handelt sich nicht um ein weiteres Pflänzchen aus dem Hauptstadt-Biotop. Im modisch völlig unverdächtigen Mönchengladbach befindet sich der Firmenstandort. Kammann stammt von dort und kehrte nach einer internationalen Karriere in der Branche Anfang 2020 dorthin zurück. Die hochgewachsene Frau mit den blonden Locken weiß, was sie will und deshalb auch genau, was sie nicht mehr will:

„Als Designerin wird man immer in eine Ecke gedrückt: Dies darfst du nicht und jenes auch nicht. Letztendlich aber geht es um Kommunikation.“

Auch deshalb plant sie – neben einem Online Shop – den direkten Kontakt zur Kundin mit Pop-up-Ausstellungen und offenem Atelier. Die 47-Jährige hat einiges zu vermitteln. An Erfahrungen und an Ideen für die Zukunft. Ihre Entwürfe überzeugen aus mehreren Perspektiven. Da wäre zunächst die gestalterische: „Summerspace, Torreros in Utopia“, so der Titel der Erstlingskollektion, feiert die weibliche Silhouette mit Stilmitteln klassischer Frauen- und Männerbekleidung: von Femme-fatale-artigen, körperbetonten Kleidern und Röcken bis hin zur Aneignung maskuliner Garderobenstücke wie oversized Anzügen, Westen, zweireihigen Blazern aus Wollstoff und gestreiften Hemden aus knisternder Baumwolle, die wie gestärkt wirken. Auch verspieltere Entwürfe finden sich in der Kollektion: Ein auffälliger bunter Blumenprint auf Viskose mit Wassertropfen und 3-D-Elementen auf schwarzem Grund wurde zu einem hochgeschlossenen, weich fließenden Kleid verarbeitet und dient auch als kontrastierendes Element bei einem Trenchcoat. Ein golden schimmerndes Kleid mit asymmetrischem Saum und V-Ausschnitt ist über und über mit kleinen, bunten, scheinbar unbeabsichtigten Farbklecksen versehen wie der Fußboden im Atelier eines Malers. Ähnlich bunt und vielfältig sind auch die Inspirationen der Designerin: Historische Torero-Kostüme aus dem 16. Jahrhundert mit gerundeten Ärmeln bringt sie ins Spiel genauso wie den Filmklassiker „In the Mood for Love“ oder die Androgynität von David Bowie. Der Farbspritzer-Print ist ein Verweis auf den amerikanischen Tänzer und Choreografen Merce Cunningham und dessen Stück „Summerspace“, für das der Künstler Robert Rauschenberg das Bühnenbild entwarf.

Das alles könnte in einem überambitionierten Kuddelmuddel enden, tut es aber nicht. Das Ergebnis ist stringent und wirkt nach mehreren Saisons Corona-Schluffigkeit wie ein Paradigmenwechsel: „Zurück zum Schicken, aber lässig“, beschreibt Kammann ihren Stil. Die Methode der kulturell vielfältigen Extraktion von Ideen und deren Weiterverarbeitung bis daraus etwas Eigenes entsteht, erinnert an die Herangehensweise des belgischen Designers Dries Van Noten. In dessen Pariser Ausstellung „Inspirations“ aus dem Jahr 2014 habe sie viele Stunden verbracht, erzählt sie.

Kammanns eigener Weg begann mit einer Schneiderlehre in Krefeld. Sie spezialisierte sich auf Strick, stieg zunächst bei Strenesse auf und verließ Europa 2005 gen New York, wo sie für ein Start-up entwarf. Nach fünf Jahren kehrte sie zurück nach Deutschland, ging zu Escada und arbeitete später auch als Senior- Strickdesignerin für Wolfgang Joops Marke Wunderkind. Nach Jahren, in denen sie immer wieder an die Grenzen ihrer eigenen Gestaltungsmöglichkeiten stieß, war die Arbeit mit dem eigenwilligen deutschen Designer „ein Traum“ und Weckruf:

„Wolfgang Joop hat etwas in mir wach gekitzelt, was wahrscheinlich schon immer in mir geschlummert hat.“

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein, aber im Jahr 2021 darf sie es nicht mehr sein, wenn man ein neues Label lanciert. Denn Schönheit in der Mode bezieht sich inzwischen mindestens genauso stark auf die inneren wie die äußeren Werte der Kleidung: „Mehr Qualität, weniger kaufen“, fasst Kammann ihre Philosophie zusammen. An jedem ihrer Kleidungsstücke hängt ein QR-Code, mit dem sich nach- vollziehen lässt, was in ihm steckt: Das Material (nachhaltig natürlich), der Ort der Fertigung (ausschließlich Europa) und ein kleiner Hinweis in eigener Sache. Zum Beispiel: „Joy is a form of resistance“ (Freude ist eine Form des Widerstands). Wenn das die neue Rebellion ist, passt es.

 

Text
Heike Bluemner
Fotografin
Rafaela Proell