SO WIRD EIN SCHUH DRAUS

 Was wirklich nachhaltig ist? Wertige Schuhe, die sich immer wieder reparieren lassen. Philip Cassier macht sich Gedanken über die Rückkehr von Eleganz und Pflege bei einem Spaziergang durch Berlin.

Und dann kniet Anna Rakemann vor ihrem Kunden nieder. Es handelt sich um einen erforderlichen Arbeitsschritt. Die Maßschuhmacherin will wissen, wie es um die Füße des Klienten bestellt ist. Gerade für Novizen mag es sich seltsam anfühlen, dass da jemand ist, der Zehen, Spann und Ferse abtastet. Aber Rakemanns Ton sorgt dafür, dass sich noch je der hier entspannt hat. Der Kunde kann seine Füße sogar plötzlich besser leiden als vorher. Hochwertiges Schuhwerk für Männer war in den vergangenen Jahren auf dem Rückzug. Im Homeoffice hatten rahmengenähte Modelle keine Verwendung mehr. Die sind schließlich dafür gemacht, ihrem Träger auf der Straße und im Büro Halt zu geben.

Doch schon vor Covid hatten Designer gemerkt, dass man mit Sneakers nicht nur die junge Generation froh machen kann. Ganze Unternehmen wie Balenciaga legten sich eine neue Identität zu, Kooperationen trieben die Preise in die Höhe. Und am Ende sah und sieht man die Teile auch von der Generation 50 plus zum Smoking kombiniert – wobei hier gilt: Was Brad Pitt über den Rest der Welt erhebt, erhebt nur Brad Pitt über den Rest der Welt. Trotzdem war man nicht mehr nur in einer Stadt wie Berlin die individuellste Figur im Raum, wenn man bei Abendevents in klassischen schwarzen Oxford-Schnürern auftauchte. Nun aber wandelt sich das Bild wieder: Froh, der Heimarbeit zu entrinnen, legt das Publikum bei Veranstaltungen mehr Wert aufs Formale. Nicht dass Uniformität herrschen würde aber Männer tauchen wieder in schlichten Schuhen aus Glattleder auf, an denen wohl selbst Beau Brummell seine Freude gehabt hätte – und der hatte im frühen 19. Jahr- hundert das Understatement erfunden. Bei den Frauen ist Ähnliches zu beobachten: Nachdem Absätze lange als geradezu reaktionär galten, waren sie nun nicht nur auf den Laufstegen der Frühjahrskollektionen vermehrt im Einsatz. Über Jahrzehnte hatten schon die Dresscodes dafür gesorgt, dass eine kaufkräftige Klientel wie Banker oder Anwälte zumindest im Be rufsleben in Lederschuhen unterwegs war. Design und Mode aspekte blieben weitgehend außen vor – manche Formen lassen sich allerdings auch schlecht verbessern. Oxford, Derby, Brogues, Loafer, diverse Boots – bei allem Respekt vor Sneakers – es gibt einfach Eigenschaften, die nur handwerklich gefertigte Lederschuhe bieten. Mit mindestens 400 Euro sollte man rechnen.

 

So gar nicht altmodisch: Schumachermeister Udo Robakowski, Inhaber von „Schuh Konzept“, in Berlin

Allerdings sind Schuhe eben nicht nur ein Accessoire, sondern man bewegt sich in ihnen fort: „Ich würde einem Mann immer empfehlen, in zwei Dinge zu investieren: In ein Bett und in Schuhe. Meistens befindet er sich nämlich in dem einen oder anderen“, sagt beispielsweise George Glasgow von George Cleverley. Die Londoner bieten neben Maßarbeit auch Konfektion erster Güte an. In der Werkstatt über dem kleinen Geschäft in der Royal Arcade kann man lernen, wie ein Schuh entsteht: Alles beginnt mit dem Buchenholzleisten, um den herum das Modell entsteht. Die Leute mit der Feile, die ihn zurichten, gelten als die Stars ihres Gewerbes; und wenn sie versagen, kann der Schuh nie passen. Der „Clicker“ schneidet dann mit einem extrem scharfen Messer das Oberleder nach Schablonen zu, der „Closer“ näht den Oberschuh zusammen – und der „Maker“ hat den härtesten Job: Er näht die Sohle von Hand Stich für Stich mit dem Rahmen zusammen, eine Arbeit, die einfach wirken mag, aber jede Muskelgruppe in Anspruch nimmt. Nach diversen Anproben, Kontrollen und Korrekturen muss der Kunde auch das Endergebnis noch ein wenig einlaufen, bis es wirklich sitzt.

Doch so schnell sich dieser Prozess beschreibt, er erfordert Aufwand. Ein Sneaker lässt sich schnell zusammenkleben, in einem Maßschuh können bis zu 100 Stunden Arbeitszeit stecken. Das erklärt die – je nach Leder – vier- bis fünfstelligen Preise. Wer sich das nicht leisten kann oder will, sollte auf Konfektion ausweichen. Firmen wie John Lobb, Crockett & Jones, Ludwig Reiter oder Carmina ahmen die Prozeduren nach. Die Italiener wie Santoni, Tod’s, Sergio Rossi, Gucci, Dolce & Gabbana können es natürlich auch.

Und wenn echter Luxus sich dadurch auszeichnet, dass er ein langes Leben hat, dann stehen die Schuhmacher mit an der Spitze der ganzen Bewegung. Dafür ist beispielsweise das Berliner „Schuh Konzept“ seit 1998 eine sehr gute Adresse. Im Geschäft in Ku’damm nähe verkaufen der Chef Udo Robakowski und seine Partnerin Anke Ploenes allerbeste Konfektion für Frauen und Männer – vor allem aber kümmert sich der gelernte Schuhmacher um alles, was zu reparieren ist. Viele der umliegenden Boutiquen geben Reklamationen in seine Hände, denn sie wissen: Robakowski hat sich der Nachhaltigkeit verschrieben wie kaum ein anderer. Gerade bei den Männern kann er fast alles für getragene Schuhe tun egal, wie abgelaufen welche Sohle auch immer ist, er oder jemand aus seinem vierköpfigen Team wird eine neue annähen. Die „Gläserne Reparaturwerkstatt“ gilt als die Nummer eins in Deutschland, zumal Materialien und Maschinen aus der Industrie stammen, wodurch sie dort die Schuhe nahezu in den Originalzustand zurückversetzen können. Das Oberleder wiederum braucht vor allem Pflege, um nicht auszutrocknen, aber auch diese Prozedur ist bald schnell erledigt. Gute Schuhe, sagt Robakowski, kann man mühelos zehn Jahre lang in Gebrauch haben. Deshalb hat der Schuhmacher einige nützliche Informationen für jene jungen Weltretter parat, die im unverottbaren Lifestyle-Sneaker darüber philosophieren, dass ihnen die Tiere leidtun, die für Maßschuhe sterben mussten. Was nicht bedeutet, dass Robakowski nicht auch Sneaker-Pflege im Angebot hat.

 

Udo Robakowski ist Schuster und repariert und verkauft in seinem Charlottenburger Geschäft Schuhe. Seine Hündin Frieda gehört dazu.

Doch leider hören noch immer zu wenige Menschen jemandem wie Udo Robakowski zu. Manche Gerberei musste in den vergangenen Jahren schon aufgeben, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt. Umso besser ist es, die zu unterstützen, die noch am Markt sind. Wie Anna Rakemann: Die Berlinerin macht jeden Arbeitsschritt selbst. Es kann bis zu einem Jahr dauern, bis das Ergebnis zur Abholung bereitliegt. Aber gerade dieses Warten ist es ja, wir kennen das von berühmten Handtaschen, was die neuen Schuhe wirklich exklusiv macht.

 

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Philip Cassier
FOTOGRAF
Arlene Gawrisch