Schiaparellis Haute Couture

DANIEL ROSEBERRY „Hübsch ist nicht unser Wort“

Elsa Schiaparellis Haute Couture war speziell. Der neue Designer ist’s auch.

Dass eine neue Ära für das Haus eingeläutet ist, zeigte sich bei seiner ersten Haute-Couture-Schau im Juli vergangenen Jahres nicht nur an den Roben: Anstatt hinter den Kulissen zu bleiben, saß Daniel Roseberry an einem Zeichentisch mitten auf dem Laufsteg, während die Models um ihn herum defilierten. Er trug Kopfhörer und Kapuzenpulli und skizzierte die Kollektion, die neben ihm gezeigt wurde. Zum Auftakt ertönte ein 80er-Jahre-Schmachtfetzen, den alle kennen, aber nicht so: „Up Where We Belong“, ohne Joe Cocker und Jennifer Warnes, sondern unplugged gesungen von der Komponistin des Superhits, der Kanadierin Buffy Sainte-Marie. „Ich wollte so meine kreative Reise zu Elsa Schiaparelli beschreiben. Intuitiv und ganz roh: von einem kalten Kellerstudio in Chinatown New York in die oberste Etage des Place Vendôme in Paris“, sagt Roseberry, während er durch die feudalen Salons des Showrooms führt.

Sein Atelier befindet sich zwei Stockwerke darüber. Es ist die Originaladresse, an der Elsa Schiaparelli in den 20er- und 30er-Jahren die Haute Couture revolutionierte, indem sie die Prinzipien des Surrealismus, der Kunst ihrer Epoche, auf die Mode übertrug. Roseberrys sanfte Stimme hallt in den hohen, mit vergoldetem Stuck verzierten Räumen aus dem frühen 18. Jahrhundert, seine Sneaker lassen das Parkett knarzen. Nichts an dem 33-Jährigen in Jeans und Cord-Jackett wirkt schrill und exzentrisch, Begriffe mit denen man den einstigen Spiritus Rector des Hauses, die 1,50 Meter kleine „Schiap“, stets beschrieben hat: die den feinen Damen Schuh-Hüte auf den Kopf setzte, Mäntel aus Cellophan für Peggy Guggenheim schneiderte, den Reißverschluss in die Haute Couture einführte oder Kleider in „Shocking Pink“ entwarf. Und die die Motive ihrer Künstlerfreunde – Dalí, Jean Cocteau oder Man Ray – auf Stoff bannte und so als Erste Kunst zum Anziehen fertigte: Das „Hummerkleid“ war die berühmteste Robe, weil sich Wallis Simpson darin in der „Vogue“ ablichten ließ.

Roseberry widersteht der Kopie: „Ich will das allzu Offensichtliche vermeiden, sondern eher den Geist von ,Schiap‘ in die Gegenwart übertragen“, sagt er. „Kunst mit Mode zu verquicken ist mittlerweile doch schon so Mainstream, dass es fast langweilt. Und schockieren kann man mit Kleidern oder Looks auch kaum noch. Schockieren kann man nur mit radikaler Transparenz, wenn man beispielsweise seine wahren Gefühle preisgibt.“ Deshalb setzte er sich selbst auf die Bühne und ließ das Publikum die Musik hören, die er selbst hörte, als er die Kollektion entwarf. Und schämt sich auch nicht für die geliebten Schnulzen, die man auf seiner Playlist im Computer eigentlich lieber versteckt. „Es kostete mich viel Mut, mich damit vor ein großes Publikum zu setzen“, gibt er zu.

Daniel Roseberry’s Schiaparelli Debut 2019

Fast ein Jahrzehnt arbeitete der Modeschöpfer im Hintergrund, als Designdirektor von Thom Browne, einer sehr tragbaren und sehr amerikanischen Prêt-à-porter-Marke, die wenig mit der Flamboyanz eines Haute-Couture-Hauses wie Schiaparelli zu tun hat. Umso erstaunlicher war die Wahl von CEO Diego Della Valle, ausgerechnet ihn als Kreativdirektor einzusetzen. „Er sagte mir: Daniel, es ist Zeit, Mut zu zeigen.“ Roseberry lächelt. Und nahm es wörtlich. Das 2012 vom Tod’s-Chef wiederbelebte Haus und Atelier an der Place Vendôme hat bereits drei Designer kommen und gehen sehen. Roseberry will einen anderen Weg als seine Vorgänger beschreiten, die oft mit Motiven und Zitaten aus der Vergangenheit spielten. Der Texaner möchte den Esprit von „Schiap“ abstrakter definieren und kann sich vorstellen, in Zukunft eher mit Musikern zu kollaborieren als mit bildenden Künstlern. „Erstens hat das noch keiner gemacht, und außerdem finde ich Musikhören viel inspirierender: „Weil es etwas ist, das man am intensivsten allein erlebt.“ Das Spiel mit ungewöhnlichen Materialien jedoch, das Sampling von verschiedenen Techniken, von grob bis raffiniert, wie Elsa Schiaparelli es bewusst als Gegenpol zur seriösen Schneiderkunst und Haute-Couture-Tradition etablierte, will er fortführen.

„Elsa machte Mode für smarte, mutige, kantige Frauen, und das möchte ich auch: Frauen begeistern, die mehr als nur eine schöne Traumrobe wollen. Hübsch im herkömmlichen Sinn ist nicht unser Wort.“

Elsa, die herbe Italienerin, war es übrigens auch nicht. Als Mädchen habe sie sich sogar Blumensamen in Ohren und Nase gesteckt, um einmal als schöne Rose zu erblühen, erzählt er amüsiert eine Anekdote aus ihrer Autobiografie. Erst als sie aufhörte, nur schön sein zu wollen, wurde sie erfolgreich. Und der von Natur aus diskrete Roseberry will dafür in Zukunft noch mutiger werden. „Meine Metamorphose ist mir schon jetzt fast nicht geheuer“, sagt er lächelnd. „Im Frühjahr vergangenen Jahres schlief ich noch, ohne Job, auf der Luftmatratze in der New Yorker Wohnung eines Freundes, und jetzt blicke ich an der Spitze eines Haute-Couture-Hauses auf die Place Vendôme in Paris.“

So ähnlich muss sich die Frau, auf deren Spuren er nun wandelt, auch gefühlt haben, damals, 1927, als die Jetset-Lady, von ihrem adligen Liebhaber verlassen und fast mittellos, aus den USA nach Paris zog. Und es im Sturm eroberte. Auch Roseberry ist auf einem guten Weg. Für seine zweite, die Frühjahr/Sommer- 2020-Kollektion, folgte er der „doppelten Fantasie“, die Fotos von Madame Schiaparelli bei ihm ausgelöst hatten. Introvertiert, extrovertiert: Die Frau, die sich am Tag eher pragmatisch kleidete und am Abend als mondäne Gastgeberin legendärer Partys für ihre Surrealistenfreunde auftrat. Als der Applaus aufbrandete nach dem Defilee stand Roseberry dieses Mal noch backstage und lächelte.

Spring/Summer 2020. Backstage

Text
Silke Bender